Meeting in Cloud 9

Maria Magdalena hatte wie immer für Orangensaft, Mineralwasser und Kekse gesorgt, an allen Plätzen lagen Bleistifte und Notizblöcke bereit, auch wenn sie so gut wie nie benutzt wurden. Es hatte Vorteile, wenn im Meeting meist nur allmächtige Götter saßen. Man sparte erheblich am Protokoll.

Es war der 1. Oktober 2019, Konferenzraum Cloud 9, die Stimmung war gedrückt, die aktuelle Situation verzweifelt.

„Ich bin mit meinem Latein am Ende“ gab Professor Atan zu, der seit einiger Zeit seinen Vornamen Stefan nicht mehr abkürzte – die Presse war in den letzten zweihundert Jahren einfach lausig gewesen.

Gabriel nickte. „Jo, Feuer und Schwert sind absolut out. Man bringt damit nur Leute um, aber es ändert sich nichts.“

„Ich hätte da nen Vorschlag…“ sagte Noah.

„Halt’s Maul“ sagte Jesus „seit 3000 Jahren willst Du immer alle nur ersäufen.“

„Ist nicht so schlimm, ich hab’s auch überlebt.“ murmelte Noah.

„Wie oft noch – wir haben nicht genug Wasser um alle Landflächen ausreichend hoch zu bedecken. Ich hab’s zehnmal durchrechnen lassen – es reicht einfach nicht.“ Der Mann mit dem langen, weißen Bart am Ende des Tisches runzelte die Stirn, draußen zogen dunkle Wolken auf.

„Tschuldigung, ich dachte ja nur an eine kleine Drohung mit ein bisschen Überflutung.“ Noah duckte sich, er wollte am Nachmittag mit der Familie draußen grillen und seine Frau würde ihm mit einer gewissen Berechtigung Vorwürfe machen, wenn das ins Wasser fiele.

„Das haben wir jetzt auch schon hundert Jahre probiert – es hört keiner hin.“ Jesus seufzte.

„Vielleicht hättest Du Greta als Deine Tochter vorstellen sollen? Gottes Enkelin und so? Zwei, drei Wunder – in Schweden gibt es genug Wasser zum drauf rumlaufen. Und sie war nah genug dran, um Trump per Wunderheilung zu Vernunft verhelfen zu können. Vor laufender Kamera – das wäre doch was gewesen!“ Atan grinste.

„Stefan, wenn Du was Produktives beizutragen hast, würde ich das sehr begrüßen. Das mit Gottes Verwandtschaft haben wir vor 2000 Jahren probiert – das hat auch nicht lange geholfen. „

„Es ist mein Job, Cheffe. Ich bin der Geist, der stets verneint und so weiter. „

„Das erinnert mich an was – Goethe ist immer noch sicher in der tiefsten Nebenhölle verwahrt?“

„Klar doch…“ Zumindest war an der Tür ein Schild, auf dem „Tiefste Nebenhölle“ stand. Der Cheffe war zwar allwissend und allmächtig, aber man musste ihm ja nicht alle Details unter die Nase reiben. Die Kartelabende mit Wolfi wollte Atan auf jeden Fall nicht missen.

„Können wir zurück zum Thema kommen?“ drängelte Jesus. „Wir haben hier einen Planeten, der ziemlich sicher in relativ kurzer Zeit erledigt ist. Einen Neuen bauen dauert etwas. Wenn uns nicht ratzfatz was einfällt müssen wir das ganze Projekt abschreiben und ich muss euch nicht erklären, was das für Folgen für das ganze Unternehmen hat. Atan ist mit allem, was er in den letzten hundert Jahren ausgegraben hat, gescheitert. Atombombe, Giftgas, Faschismus – alles hat nur viele Tote verursacht, am Grundproblem aber nichts geändert.“

Atan schnaubte. „Deine Friede-Freude-Eierkuchen-Taktik war auch nicht erfolgreicher. “ Jesus funkelte ihn an. „Der Konsum bei Hippies und Alternativen ist um fast 40% geringer. Das hätte gereicht.“ Atan grinste „Du kannst hier niemand was vormachen. Schau Dir Deine globetrottelnden Althippies an.“

Ein gewaltiger Donnerschlag erschütterte das Gebäude, draußen rauschte ein Wolkenbruch herunter. Alle am Tisch zuckten zusammen und sahen zum Chef. In den Nachhall des Blitzes drang ein leises Klopfen an der Tür des Besprechungsraums. Vorsichtig öffnete sich die Tür.

„Cäsar!“ dröhnte der Chef “ was suchst Du hier! Wir haben hier eine wichtige Besprechung!“ Der nächste Blitz zuckte, Donner rollte, die Flaschen auf dem Tisch klirrten aneinander.

„Tut mir leid Chef, aber zwei Kumpels von mir hätten da ne Idee. Jossip und Mao haben sich mit Sauerbruch zusammengesetzt und haben da was ausgebrütet, das funktionieren könnte…..

Der Rest ist Geschichte. Am 20.Oktober bekam der Große Vorsitzende von der Hölle einen Tag Ausgang und ging in Wuhan unerkannt über den Markt.

6 Replies to “Meeting in Cloud 9”

  1. Genial! Sehr gut geschrieben und dargestellt.
    Erinnert mich sehr an einen Buch von Terry Pratchett und Neil Gaiman: Good Omens.
    VG
    Willy

  2. Die Kurzgeschichte spiegelt sehr gut das aktuelle Weltgeschehen (Klimawandel und COVID-19) wieder. Klasse geschrieben und Das Weltbild schön in Worten umgesetzt.

  3. Ok, Wasser geht gar nicht. Seit Guttenberg haben die da oben Probleme mit Plagiatoren und wissen natürlich genau, daß Noah bei Utnapischtim im Gilgamesch – Epos abgekupfert hat. Aber auch ohne Wasser – Wuhan ist ein guter Versuch, schaun mer mal.
    Und nu, Belletristik statt Sachbuch? Kohle dabei ist deutlich besser, glaube mir; habe selber ein paar Sachbücher gemacht, ist echt zäh. Buttati, sagt man bei uns, also leg los; Virtuosität ist da, Respekt keiner und wer literarischen Veitstanz beherrscht so wie ich ihn bei dir vermute, braucht auch keine Plagiate.

    1. Irgendwann baue ich aus einem der dreihundert Fragmente, die ich auf der Platte habe, einen fertigen Roman. Und ja, da kommt mehr bei rum, als bei den Fotobüchern. Aber es fehlt noch die innere Notwendigkeit. Dass eine Figur und eine Geschichte erzählt werden muss – und groß genug ist, damit sie einen Roman trägt.

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