Martin Wieprecht, von Dreiklang.de hat mir folgenden Beitrag zukommen lassen:
Night Of Light 2020
In der Nacht vom 22. auf den 23. Juni 2020 wurden in Deutschland und dem umliegenden Europa rund 10.000 Gebäude, von klein bis groß, rot angeleuchtet.
Was teils sehr schön und beeindruckend aussah war in Wirklichkeit ein Hilferuf der Event- und Veranstaltungsbranche.
Mit dem Ausbruch von Corona waren Veranstaltungen das erste, was komplett abgesagt, ja verboten wurde. Und eine wirkliche Freigabe ist nicht in Sicht.
Es geht nicht darum, die Wichtig- und Richtigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung von Covid19 anzuzweifeln oder gar zu kritisieren. Es geht darum, aufzuzeigen, wie viele Menschen in Deutschland, von Kleinstunternehmern bis zu Mitarbeitern * in riesigen Konzernen, ihren Lebensunterhalt mit Veranstaltungen verdienen.
Klar, jeder hat sofort Künstler im Blick, die nicht auftreten dürfen. Auch Techniker, die nicht arbeiten können.
Helfer, Kartenverkäufer, Reinigungskräfte, Bierstandbetreiber, Hausmeister sind dann schon nicht mehr so schnell im Kopf. Mitarbeiter von Messe- und Kongresszentren.
Zimmer“mädchen“ und Kellner in Tagungshotels. Die Floristin, die sich auf Event-Dekoration spezialisiert hat…
Ingenieure, Planer, Disponenten, Lageristen, Handwerker, Trucker bei Event-Technik-Firmen, Bühnen- und Messebauer. Werbeagenturen, die auf Messen spezialisiert sind. Gasthäuser und Locationbetreiber aller Größenordnungen…
Teile der Marketingabteilungen von Weltkonzernen sind ohne Beschäftigung, weil alle Messen bis auf weiteres abgesagt sind und niemand weiß, wann und wie bzw. in welcher Form es weiter geht.
Ein weltbekannter, deutscher Mikrofonhersteller muss mehrere Hundert Arbeitsplätze abbauen, weil eine komplette Jahresproduktion Bühnen- und Funk-Mikrofone (weltweit!) nicht gebraucht wird.
Und, und, und …
Und Fotografen!
Hochzeitsfotografie – faktisch komplett weggebrochen. Eventfotografie – komplett weggebrochen. Schulfotografie – ohne Schüler in den Schulen? Messe- und andere Dokumentationsfotografie – weggebrochen. Business-Fotografie – mit Masken? Selbst der „normale“ Reportagefotograf hat ja kaum noch Motive, so ohne Vereinssitzungen, Theater, Jazzclub, Ur-Omas 100. Geburtstag im Altenheim, Promi-Auftritten, Pressekonferenzen, …
Über 3,5 Millionen Menschen verdienen in Deutschland ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit auf und rund um Events und Veranstaltungen!
Es wird irgendwann weiter gehen. Vermutlich nicht größer, höher, schneller, weiter. Sondern kleiner und mit mehr Abstand. Viele Veranstaltungen werden nicht mehr finanzierbar sein, andere einfach keinen Sinn mehr machen unter den notwendigen Hygieneauflagen.
Es sind schon Arbeitsplätze weggefallen, Insolvenzen sind da. Und es werden noch viel mehr werden. 3,5 Millionen Menschen und ihre Familien bangen, ob sie dazu gehören werden…
Ich bin einer dieser 3,5 Millionen. Als Einzelunternehmer ohne feste Mitarbeiter und mit sehr schlanker Kostenstruktur werde ich schon durchkommen. Viele meiner langjährigen Kollegen leider nicht!
Und deshalb habe ich in besagter Nacht den Turm meiner Heimatkirche, der Emmaus Kirche Hamburg Hinschenfelde, rot beleuchtet.
Und ich habe initiiert, dass eine befreundete Firma den Turm der benachbarten Kreuzkirche in Hamburg Wandsbek rot illuminiert.
Wir sind viele! Wir haben uns gezeigt! Und deshalb hat Deutschland Rot gesehen. Von ein paar Fenstern in Bürogebäuden, wo betroffene Firmen ihren Sitz haben, über unscheinbare Lagerhallen von Dienstleistern bis hin zu Theatern, Arenen, Kongresszentren und Fernsehtürmen.
Die Politik ist aufmerksam geworden und hat reagiert. Von Bürgermeistern kleiner Ortschaften bis hin zur Bundesregierung ist jetzt endlich die nötige Gesprächsbereitschaft da. Förder- und Überbrückungshilfen sollen verlängert und ausgeweitet werden. Damit die Pleitewelle nicht zu groß wird und nicht zu viel Know-How verloren geht!
Die Aktion war ein Erfolg – wir werden allerdings dranbleiben und nicht nachlassen!
Erste Lockerungen in den Verordnungen sorgen für ein (sehr, sehr langsames) Wiederanlaufen der Branche.
*) Sämtliche allgemein personenbezogene Aussagen sind bitte gedanklich in der „m/w/d-Version“ zu behandeln!
Richten wir uns darauf ein, dass wir ne ganze Zeit kleinere Veranstaltungen haben werden – da die Fixkosten aber gleich bleiben, werden die Eintrittspreise steigen müssen. Ja, das sind dann natürlich „Corona-Preise“, die einem erst mal die Schuhe ausziehen werden. Aber geht trotzdem hin, die Veranstalter müssen irgendwie ihre Kredite wieder zurückzahlen. Und wenn das Know-How erstmal weg ist, dann gibt’s Konzerte nur noch mit miesem Sound und grottigem Licht, beim Caterer gibt’s nur lätschige Pommes mit Curry-Wurst und Blumen müsst ihr auf dem Balkon ziehen. Also, wenn es wieder so weit ist: bezahlt gute Qualität mit fairen Preisen. Ist wie beim Schnitzel.
Ach ja: Martin hat ausdrücklich m/w/d erwähnt. Gerade in der Veranstaltungsbranche ist diese Erwähnung nötig. Ob es Stagehands oder Security sind – da packen alle an. Und alle helfen zusammen.
Danke für deinen Beitrag Martin,
der „Normalbürger“ macht sich ja über sowas eher keine Gedanken. Dass hinter jeder Veranstaltung viele – teils unsichtbare – Hände stecken um diese zu einem Erfolg zu machen kann man nicht laut genug mitteilen.
Die künftigen Preise durchzusetzen wird sicherlich schwierig werden. Gerade in einer Gesellschaft, wo nur billig, billig, billig zählt.
Da hat aber in den letzten Wochen, nach meiner Erfahrung, schon ein Umdenken eingesetzt. Wenn sich das noch verstärkt, habt ihr irgendwann hoffentlich doch noch eine Chance, dass ihr wieder davon leben könnt.
Ob das alle in der Branche durchhalten können, wage ich allerdings zu bezweifeln.
Danke dir, Rudolf!
Ja, das „Verständnis“ für diese Branche ist so schwer, weil wir so verzweigt sind.
Wer hat schon auf dem Schirm, dass die Floristin nebenan ihre Laden-Miete nicht von den null bis drei Blumensträußen am Tag bezahlen kann, sondern zu 90% von Dekorationen auf den Veranstaltungen lebt.
Dass der Tourismuss brach liegt hat jeder sofort erkannt. Aber wie viele Hotels und Gaststätten einen großen Teil ihres Umsatzes, einige zu 100%, mit Veranstaltungen jeglicher Art und den dazugehörigen Übernachtungen machen, wissen wir ja nicht so auf Anhieb.
Jede/r hat sofort mitbekommen, dass die Luftfahrt samt dranhängender Industrie zusammengebrochen ist. Und für die Umwelt ist es sicherlich gut, wenn auch nach Corona so manches Meeting online stattfindet. Nur sind es nicht bloß die Flugzeuge, die dann nicht mehr gebraucht werden, sondern auch die Meeting-Locations, deren Personal, Veranstaltungsdienstleister, etc. Einige meiner Kollegen und auch ich generieren derzeit etwas Umsatz, indem wir unsere Kunden technisch für Online-Events fit machen. Nur ist das leider für uns bei weitem nicht so ergiebig, wie „reale“ Veranstaltungen. Immerhin etwas – aber nichts, was eine große Firma mit viel Equipment und Personal auslastet.
…
Es wird Umwälzungen in der Branche geben. Und derzeit ist noch nicht abzusehen, wie gravierend die ausfallen werden. Denn niemand weiß, wie lange wir noch überbrücken müssen!
grübelt
Martin
Einen dicken Daumen aufwärts! Als Freelancer bei einer Zeitung kann ich die obigen Zeilen sehr gut verstehen. In den Monaten März/April war „Tote Hose“, keine Vereinsfeiern, Ortschafts-/Gemeinderatsitzungen, reduzierte Seiten bei der Zeitung, die mehrheitlich mit Coronameldungen gefüllt waren.
Mein Mitgefühl gilt allen, die in dieser Situation ins Stolpern geraten sind.
Am 1. Juli hat der Bundesrat (Schweiz) die Erwerbsausfallentschädigung verlängert. Immerhin doch noch ein wenig positive Nachrichten, obwohl dies den Ausfall der Branche in keinster Weise entschädigt…
Nachdem Fotonoid vor ein paar Tagen den Gastbeitrag: Noid-Video so ein tolles Video mit Kemo the Blaxican reingestellt hat, habe ich jetzt für Ende November zwei Tickets für Deliquent Habits in Solothurn gebucht! Anscheinend wurde das Konzert nach März und Mai nun auf den November schon zum dritten Mal verschoben. Mal schauen, wie’s dann i.S. Covid-19 aussieht.
Wir freuen uns schon sehr darauf…
Gruess
Helmi