Linearer Lebenslauf III

1999 habe ich in meinem Verlag ein Buch über Hexenverfolgung in Franken herausgebracht. Beim Endlayout sind Dinge passiert, bei denen ich schon selbst geneigt war zu glauben, dass da der Gottseibeiuns im Spiel war, aber wirklich strange wurde es erst, als das Buch vom Drucker kam.

Der Drucker, ein älterer Herr aus Andernach, lieferte die Kartons mit einem uralten Bundeswehr-Bully in Tarnfarben an, trug einen an allen Ecken abgewetzten Anzug, starrte uns in unserem Büro an als wären wir irgendwie vom Mars und erklärte uns dann, er werde von Bertelsmann verfolgt. Und wir wären seine letzte Rettung.

So mit der Zeit stellte sich heraus, dass er ein Druck- und Bindesystem erfunden hatte, mit dem Kleinauflagen – also „Print on Demand“ möglich geworden war. Und zwar so, dass man damit jede Art der Bindung realisieren konnte. Was es bis da gab, waren überdimensionale Laserdrucker mit hartem Kleber (Hot-Melt) hintendran, bei denen beim Lesen der Rücken brach und die Einzelseiten Freiheitsdrang bekamen. Und weil sein System kaum Maschineneinsatz erfordere, sondern viel Handarbeit und trotzdem billiger als die bisherigen Methoden war, seien Bertelsmann und alle Druckmaschinenhersteller hinter ihm her.

Der Mann stellte sich als Volker Magdalinski vor – aber erst jetzt habe ich erfahren, dass er in den späten 60ern einen Verlag in Berlin hatte und dort die „Rote Garde“ gründete. Er tauchte etwa 1970 dort unter nachdem er eine Wandzeitung, betitelt „Das Hauptquartier bombardieren“ veröffentlicht hatte – und eben 1999 bei uns in Pyrbaum wieder auf.

Einen Verlag, in dem programmiert wurde, kannte er noch nicht. Also erklärte er uns zwei Stunden lang, dass Heidelberger Druck seine Papiertonne durchwühlte um hinter sein Geheimnis zu kommen und als er dann wieder abzog, sahen wir uns erst mal ein bisschen an, weil keiner so ganz realisierte, was das nun so genau war.

Schräge Sachen faszinieren mich aber, und so habe ich mich mit ihm zusammengesetzt, erklären lassen, was er da so trieb und dann hat es bei mir angefangen zu rumoren. Für die sehr spezielle Druckvorlagenherstellung brauchte es Software. Haben wir geschrieben. Dann ging’s drum, die ganze Sache zu finanzieren. Also habe ich ein System entwickelt, bei dem man einfach sagen konnte „dieses Buch will ich haben“, und wenn sich im Internet 30 Leute gefunden hatten, wurde ein Reprintvorgang angestoßen. Crowdfunding. 1999. Damals gab’s „Let’s buy it„, die das „Powershopping“ „erfunden“ hatten – nur ging’s bei meinem System eben nicht darum, Dinge billiger zu kriegen, die’s schon gibt, sondern Dinge zu verkaufen, die noch gar nicht existieren….

Ich bin mit dem ganzen System zu Olms gefahren, seinerzeit der renommierteste Reprinter Deutschlands, habe es dem Cheffe, Dr. h. c. mult. W. Georg Olms vorgestellt – und das war’s dann. Der wollte nicht. Im November dann war ich mit der ganzen Nummer in der WDR-Computernacht im Nixdorf-Museum und seitdem steht ein Buch von mir dort – das erste Print-On-Demand-Buch mit Farbseiten. Science-Fiction-Stories. Die mittlerweile gar nicht mehr so „Fiction“ – und ziemlich outdatet sind. Wer die Sendung gesehen hat: ich hatte mir einen Tag vorher beide Bänder gerissen und war schwer auf Droge. Meine edlen, brandneuen Schuhe, in die ich wegen dem geschwollenen Knöchel nicht reinpasste, habe ich dort stehen lassen. Sie haben mich allerdings nur vom Gürtel aufwärts gefilmt, deshalb ist das nicht aufgefallen.

Im Herbst 1999 war ich dann auch das erste mal mit Magdalinski auf seinem Stand auf der Buchmesse und habe dort den alten Mohn kennengelernt, der sich auf einmal zu „Magda“ und mir aufs Sofa an unserem Stand gesetzt hat.

Ganz nebenbei habe ich dann angefangen, die Bücher in meinem Verlag nun selbst zu drucken.

Nein, das bin nicht ich….

Über die ganze Nummer hat dann sogar der „Deutsche Drucker“ in 10/2000 vom 9. März berichtet. Wer also kucken will, wie Magda damals aussah – da sind zwei Bilder von ihm drin. Und ich werde als „Software Unternehmen Verlag Reinhard Wagner“ genannt.

Leider fiel die Revolution im Buchmarkt aus und ich beschloss einen anderen Weg zu gehen….

9 Replies to “Linearer Lebenslauf III”

  1. Die Regale! Wie heißen die nochmal? Hatte mein Vater zur der Zeit auch in seinem Büro. In solchen Büros fühlt(e) man sich einfach wie daheim. 🙂

    Habe Teil I und Teil II auch gelesen. Was Du schon alles gemacht hast …

    1. Regale: guck mal bei Lundia. Massivholz, unbehandelt, unverwüstlich. Wenn an der Wand verankert, schon ein halbes Schwerlastregal.

  2. Ich bin wirklich beeindruckt und ziehe meinen Hut.
    Irgendwie sind die Geschichten anderer Menschen ja auch immer eine Reise in die eigene Vergangenheit. Ich entdecke Ähnlichkeiten.
    Herzliche Grüße aus Lüneburg
    Torsten

    1. Das ist ja das Lustige. Fast alle haben nach fast 60 Jahren ziemlich spannende Geschichten zu erzählen. Ist ja doch ein bisschen was passiert in der Zeit und nicht jeder war 40 Jahre Lagerist in einem Schuhladen.

  3. Hi Reinhard,
    Hab gelesen, dass Du Volker kennen gelernt hast. Wie Du Eure Begegnung beschreibst, hat er sich von 1979, als ich ihn kennenlernte, bis 1999 ÜBERHAUPT NICHT verändert. Den Anzug hatte er wohl damals schon (grün??) und schon damals wurde er vom CIA, dem KGB, dem MAD und diversen anderen Geheimdiensten verfolgt. Und schon damals war er voller neuer Ideen, Erfindungen und Idealen. Ich habe ihn leider in den 80ern aus den Augen verloren und hätte ihn gern nochmal getroffen. Habe ihm einen großen Teil meiner Persönlichkeitsentwicklung zu verdanken. Wenn Du eine Ahnung hast ob er noch lebt und wo, ich würde mich über eine Nachricht freuen.

    1. Leider ist er im Februar 2012 in Andernach gestorben. Er hatte schon einige Jahre vorher einen Herzinfarkt gehabt und bezeichnete sich selbst als „Leiche auf Urlaub“. Mangels Rente hat er im Endeffekt buchstäblich bis zum Umfallen gearbeitet.

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