GfO: Brennweite ist Brennweite

Gelegentlich kucke ich mir Webinare von anderen Fotografen an. Und dann sitze ich da und kriege Zustände. Da höre ich dann zum Beispiel eine solche grandiose Erkenntnis, ich zitiere (sinnerhaltend gekürzt):

“Brennweite ist Brennweite, das ist vollkommen egal. Und ich mach’s auch so. In der Porträtfotografie verwendet man meistens für Einzelporträts eine gängige Brennweite von 85 bis 100mm und ich verwende auch bei mFT regulär das 75mm-Objektiv weil es einfach vom Bildeindruck ähnlich ist einem 85er im Kleinbild nur mit dem Nachteil dass ich auf die doppelte Entfernung weggehen muss, damit ich das Motiv halt in der gleichen Größe aufnehmen kann. Das heißt ich muss weiter weg, habe aber einen vergleichbaren Bildeindruck wie bei einem 85er im Kleinbild.”

Nein. Und wenn Dir das noch nicht aufgefallen sein sollte, dann ist irgendwas falsch gelaufen.

Gerade beim Porträt kann der Unterschied zwischen einer 85mm Kleinbildbrennweite und 75mm MFT extrem sein. Der Bildeindruck ist NICHT vergleichbar. Warum?

  • Perspektive: Der Porträtabstand bei 85mm Kleinbild ist etwa 75cm. Bei 75mm mFT sind es 1,3 Meter. Abgesehen davon, dass manche Menschen sich schon unwohl fühlen, wenn ihnen jemand mit dem Ding so nah auf die Pelle rückt, ist die Perspektive und das resultierende Bild brutal anders.
  • Schärfentiefe. Ein KB 85mm f/1,4 liefert auf Porträtentfernung eine Schärfentiefe von 2mm. Das reicht nicht mal für eine Wimper. Ein mFT 75mm f/1,8 liefert auf Porträtentfernung eine Schärfentiefe von 8mm. Das ist nicht viel, reicht aber u.U. für Augen und Mund. (Jeweils 20MP-Sensoren vorausgesetzt.)
  • Hintergrund. Durch den unterschiedlichen Abstand zum Motiv verändert sich auch die Hintergrundunschärfe erheblich, durch den veränderten Bildwinkel der Hintergrundinhalt.

Oben 85mm f/2 Kleinbild, unten 75mm f/2 mFT. Gleicher Bildeindruck? No Way. Die verzogene Anatomie fällt besonders auf, wenn man die beiden Bilder kurz hintereinander auf den Schirm holt.

Es ist ehrenwert, für Porträts das 75mm zu nehmen. Das ist ein Superobjektiv dafür. Noch mehr Abstand und noch mehr Brennweite verbessern die Freistellung vor dem Hintergrund. Und ja, Brennweite ist Brennweite. Alles richtig.

Aber es ist eine fundamentale Weisheit der Fotografie: Perspektive verändere ich mit den Schuhen, den Ausschnitt mit der Brennweite und die Schärfentiefe mit der Blende. Und “freigestellt” wird mit dem Kopf.

Zur Perspektive vielleicht noch ein Wort. Ich habe gestern wieder ein hübsches Mädel im Studio fotografiert. Aufgabe: Laufsteg-Foto. Mädel läuft auf mich zu. Dabei gibt’s zwei Dinge zu beachten: das Licht passt nur in einem beschränkten Bereich der Laufstrecke und, vor allem, die Perspektive ändert sich rapide. Weil sich eben hier nicht der Fotograf bewegt, sondern das Motiv. Wenn ich verhindern will, dass das Mädel auf einmal deformierte Körperteile hat, muss ich mit meiner Brennweite oberhalb von 50mm bleiben. Das bedeutet mehrere Meter Abstand und ein großes Studio. Fangt mit dem 12-40 gar nicht erst an, so etwas zu machen.

2 Replies to “GfO: Brennweite ist Brennweite”

  1. Vergiss es, solche Leute wissen wahrscheinlich wirklich nicht, was Perspektive heißt. Wenn Du denen sagst, “die Perspektive ändert sich nicht dadurch, dass Du Dein Weitwinkel gegen Dein Tele tauschst, solange Du Dich nicht vom Fleck bewegst”, dann schauen die Dich nur verständnislos an.

    1. Jetzt weiß ich endlich was sie meinten, als sie sagten, die jungen Leute haben keine Perspektive mehr 😉

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