GfO: Porträtbrennweite

Ich höre es immer wieder, die Foren sind voll davon und die ganzen Fotoinfluencer werden nicht müde, es zu betonen. Lange Brennweiten bei Porträts resultieren in komprimierten “Pfannkuchengesichtern”. Man hat tunlichst Kleinbild 35mm zu verwenden oder 50mm. Maximal. Die Ewiggestrigen dürfen noch die “klassische Porträtbrennweite von 85mm” benutzen.

Mein Lieblingsporträtobjektiv ist das 150mm f/2. Ich fotografiere damit Gesichter jeder Gewichtsklasse und alle sind begeistert. Es gibt nach oben keine Grenze bei den Porträtbrennweiten. Wenn das 90-250 nicht so schwer wäre, wäre das auch prima. Ich habe auch mit dem 300 f/2,8 schon tolle Porträts gemacht.

Der Opa erzählt Käse? Ich habe mich heute (wieder mal) drangemacht, das zu demonstrieren. Ich habe das mit zwei Models schon mal durchexerziert, weil ich es wissen wollte. Aber die Bilder veröffentliche ich nicht, ich habe es den beiden versprochen. Also heute Marlene durchgehend mit f/2,8:

12mm, Abstand Nase-Sensorebene: 29cm
17mm, Abstand Nase-Sensorebene: 39cm
25mm, Abstand Nase-Sensorebene: 47cm
40mm, Abstand Nase-Sensorebene: 90cm
45mm, Abstand Nase-Sensorebene: 1m
60mm, Abstand Nase-Sensorebene: 1,3m
75mm, Abstand Nase-Sensorebene: 1,8m
100mm, Abstand Nase-Sensorebene: 2,3m
150mm, Abstand Nase-Sensorebene: 3,2m
200mm, Abstand Nase-Sensorebene: 4,1m
250mm, Abstand Nase-Sensorebene: 4,9m

Wie man sieht, tut sich jenseits von 75mm kaum noch was, was die Anatomie betrifft. In Wirklichkeit hat das natürlich nichts mit der Brennweite zu tun, sondern mit dem Abstand. Jenseits von 2m ändert sich die Perspektive auf ein Objekt mit etwa 20cm Höhe kaum noch. (Die entsprechenden Auswirkungen auf Ganzkörperfotos sind Stoff für ein komplettes Seminar. Das ist hier nicht abzuhandeln.) Was sich noch ändert, sind die Verhältnisse Kopf/Schultern. Wir haben hier eine Objektgröße von 40cm. Damit diese Verhältnisse natürlich sind und nicht ein zu großer Kopf auf zu kleinem Oberkörper sitzt, sind 4m Abstand notwendig – oder eine Verlagerung der Kamerahöhe, die hier immer etwa auf Höhe der Nase ist.

Häufig höre ich von Influencern “Dann verliere ich den Kontakt zum Model.” Das höre ich nie von Models, dass sie den Kontakt zum Fotografen verlieren würden. Im Gegenteil. Viele Models haben in ihren Verträgen drinstehen, dass eine Kleinbildbrennweite von 35mm zum sofortigen Abbruch des Shoots führt. Die Mädels sind heilfroh, wenn der Fotograf Abstand hält und ihnen nicht auf die Pelle rückt.

Abgesehen von der absurden Verzerrung der Anatomie passiert bei kurzer Entfernung noch etwas Böses, wenn das Opfer in’s Objektiv kucken soll: Die Person fängt an zu schielen. Für einen intensiven Blick, der den Betrachter fesselt, braucht es aber möglichst parallele optische Achsen in den Augen. Das vom Model fixierte Objekt sollte also möglichst weit weg sein. (Den Trick haben früher Porträtmaler gerne angewandt. Das sind dann die Gemälde von denen die Führer in den Museen immer sagen “Der Blick folgt Ihnen durch den ganzen Raum.”)

Wo das herkommt mit diesen kurzen Brennweiten? Da gibt’s viele Theorien. Angefangen bei zu kleinen Studios über den früheren Mangel an brauchbaren, langbrennweitigen Zooms bis zu Fotografen, die es cool finden, Models zu begrabbeln. Kann man sich raussuchen. Pfannkuchengesichter haben aber definitiv nichts mit langer Brennweite, sondern mit Licht zu tun.

Ja, ich hatte das gleiche Thema vor zwei Jahren schon. Aber alles was älter als ein halbes Jahr ist, liest ja anscheinend niemand mehr…..

15 Replies to “GfO: Porträtbrennweite”

  1. Schön, dass Du alles mit aussagekräftigen Bildern untermauerst.
    (Das 150mm/ 2,0 nutze ich auch gern für Portaits und freue mich immer wieder, dass sich die Gelegenheit geboten hatte, im oly-e forum eines zu “ergattern.)
    Gruß Lutz

  2. Danke für die prima sachliche Erörterung des Themas.
    Wer sich sein Geld mit Klicks verdient, muss halt jede Woche eine neu Sau durchs Dorf treiben, sonst kann er/sie die Raten für den BMW nicht bezahlen – und da wird dann halt jeder alte Käse wieder aufgewärmt.
    Ich habe mir unterdessen abgewöhnt, den ganzen seichten Sermon überhaupt noch zu lesen, und schaue mir keine Video-Reviews von Gear an, wo fast immer nur Bekanntes nachgeplappert wird und der Großteil der Zeit der Selbstdarstellung des Autors dient (“Today I will show you ….”) – Zeitverschwendung!
    Reinhard, bitte bleib Deiner Linie treu – Qualität ist wichtiger als Quantität.

  3. Heute muss man schon fast dankbar sein, wenn mit 35mm (Kleinbildkamera) gearbeitet wird. Richtig schlimm sind die Gruppenbilder mit dem Weitwinkelzoom unter 24mm: Grotesk verzerrte Proportionen und Eierköpfe. Tag für Tag in jeder Tageszeitung zu „bewundern“. Portraits von Menschen bei der Arbeit Können mit 35mm durchaus gut sein und eine gewisse Nähe vermitteln. Wichtig ist ein Mindestabstand von 1m, besser 1,5m. Die Brennweite regelt den Bildausschnitt.
    150mm an FT sind mir persönlich für Portraits zu unhandlich, aber mein altes SMC Takumar 1,8/55mm macht sich an mFT gut.
    Auf Influencer zu hören lohnt kaum, das meiste ist maximal Stammtischgelaber. Wobei es am Stammtisch meistens Gelächter für allzu offensichtlichen Unfug gibt.

  4. Die 12mm (mFT) drückt einem Olympus / OMDS ja zwangsweise mit jedem Standardzoom aufs Auge. Manchmal wäre weniger mehr.

  5. Die übergrosse Nase auf den ersten Fotos ist Gewöhnungssache. Was ich aber besonders eindrücklich finde, ist der Grössenunterschied des rechten Auges. Erst mit den längeren Brennweiten wirkt es natürlich.

    Ein oft genannter Vorbehalt gegen sehr lange Brennweiten betrifft frontale Portraits. Man ist sich eine gewisse Ohrengrösse bei üblicher Distanz gewohnt. Da die Ohren weiter weg als die Augen sind, wirken sie kleiner. Je grösser der Aufnahmeabstand ist, desto kleiner wird dieser Unterschied des Abbildungsmassstabs. Die Ohren sehen aus, wie wenn sie auf Augenebene vorgerückt wären. Als Alter muss ich dazu lachen, denn die Ohren wachsen ein Leben lang und es gilt je älter, je grösser. Gut ist: Nur auf Fotos rücken die Ohren nach vorne. Da kommt es auf ein bisschen Tele auch nicht mehr an. Mal ganz abgesehen davon, dass frontale Portraits selten grosse Kunst sind und es dann auf die angesprochenen Proportionen auch nicht mehr ankommt.

    Kleines Rechenbespiel zu oben, damit man nicht zu viel nachdenken muss:
    – Gesprächsdistanz ca. 80 cm, Abstand zu Ohren 90 cm, Ohrenabbildungsmassstab 12% kleiner, was unser “Normal” prägt
    – Objektiv 50 cm vor Gesicht, Abstand zu Ohren 60 cm, Ohrenabbildungsmassstab 20% kleiner, “Hamsterohren”
    – Objektiv 500 cm vor Gesicht, Abstand zu Ohren 510 cm, Ohrenabbildungsmassstab 2% kleiner, Ohren wirken grösser als gewohnt und deshalb weiter vorn

  6. Also ich für mein Teil habe bei Porträts gute Erfahrungen mit dem 45mm/1.8 und dem 60mm/2.8 gemacht. Wenn mich das zum “Ewiggestrigen” stempelt, dann ist das halt so.

  7. Ich verwende für Portrait sehr gerne das 45mm. Früher war’s das 50mm Macro, aber das fährt halt eine Ewigkeit mit dem Fokus. Auch mit der Tonne (dem 150mm f2.0) hab ich Portraits gemacht, die alles andere als für die Tonne waren 😉 Flache Gesichter waren nie dabei.
    Wer Gruppenaufnahmen mit dem 7-14mm am kurzen Ende macht kann sich sicher sein, den Hass von zumindest 80% der abgebildeten Personen auf sich zu ziehen. So will keiner aussehen, auch wenn dann alle locker ins Bild passen.
    Nicht alles, was gestern gegolten hat muss heute falsch sein und neu erfunden werden. Ja, man darf einen Stil entwickeln und Neues versuchen, aber nicht alles muss jedem gefallen.

    1. Meine Erfahrung: Auch bei Gruppenaufnahmen mit dem 7-14 mm 2.8 kommt es am Ende auf den Abstand zwischen Sensor und vorderster Reihe an. Wenn man genügend Abstand, gegebenenfalls freien “Rand“ außen rum, lässt, sind die Menschen auch nicht sonderlich verzerrt. Trotzdem schön, wenn man sie alle aufs Bild bekommt… meine Gruppenbilder von Tagungen und Seminaren mit dem 7-14er sind jedenfalls bisher immer sehr gut angekommen.

  8. Ich habe mal einen Porträtfotokurs gemacht, da hieß es: Brennweite 85mm oder mehr (im Kleinbild-Format) verwenden, darunter entstehen Verzeichnungen. Ich fühlte mich mit dem Oly 45mm 1.8 ganz gut aufgehoben, bis mir gesagt wurde, ich hätte zwar einen ähnlichen Bildwinkel, aber die Verzerrung wäre so wie bei 45mm im Kleinbild-Format. Stimmt das?

    1. Hmpf. Nochmal: nicht das Objektiv verzerrt. Es ist die Perspektive. Wer Dir das erklärt hat, hat Dich entweder auf den Arm nehmen wollen, oder hat absolut überhaupt keinen Plan.
      Leider ist das ziemlich üblich, dass Leute Kurse halten und selbst keine Ahnung haben. Ich habe ja viele Kurse mit der Kamera begleitet, weil ich die für Olympus dokumentieren sollte. Und was ich da gehört und gesehen habe, hat mich erschüttert. Du stehst da hinter dem Stativ an der Kamera und denkst. “Nein, ich sage jetzt nichts. Und das muss ich alles später rausschneiden….” Deshalb habe ich ja ne Zeitlang selber Seminare gemacht. Weil ich zeigen wollte, dass es besser geht.

  9. @Matthias,

    mit deinem 45mm Oly musst du dich für das Portrait etwa dort hinstellen wo dein Kursleiter sich hinstellt mit seinen 85mm. Also gleicher Standort, gleiche Perspektive, gleiche Proportionen ergeben das gleiche Foto, jetzt mal unabhängig von der bildwirksamen Blende.

    Was war das bloss für ein Kurs, wo du nicht selber fotografieren und einen Bildvergleich bekommen konntest von den Kleinbildnern. Sowas gehört eigentlich dazu.

  10. Alles schön und gut aber das 150/2.0 war ein FT Objektiv und leider gib es für MFT keinen vergleichbaren Nachfolger.
    Warum eigentlich? Das MFT 75/1.8 wäre die einzige Alternative.

    1. Ja, warum eigentlich? Das ist ja das Thema. Genau diese Brennweiten fehlen! Aber es hilft doch nichts, zu behaupten, man müsse Porträts mit 25mm machen, nur weil man halt gerade nur 25mm im Angebot hat…. Wenn man nur einen Hammer hat, ist jedes Problem ein Nagel….

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