Seit etwa zwei Wochen beschäftigt mich mal wieder YouTube. Ich bin über ein Video von Rezo gestolpert, der einen neuen „Cutter“ sucht. Um das zu erklären: Die bekannten „YouTuber“ haben immer jemanden hinter der Kamera, der dann den ganzen Mist raus- und irgendwelche albernen Effekte reinschneidet. Die meisten „Gags“ wären ohne die „Cutter“ nur halb oder gar nicht lustig. Und sein Stammcutter macht nun sein eigenes Ding.
Da ich Rezo für seinen CDU-Move und sein Pressevideo seinerzeit ziemlich gefeiert habe, habe ich mir gedacht – Cool Alter, bewirbst Du Dich. Also habe ich angefangen, das Video zu schneiden, das er zu diesem Zweck zur Verfügung gestellt hat. Dann hat Rezo ein „Reaction-Video“ gemacht, bei dem er sich Bewerbungen von anderen angesehen hat. „Reaction-Videos“ ist seit einiger Zeit der neue heiße Scheiß – jemand macht was, und jemand reagiert darauf und filmt sich dabei. Und dann filmt jemand, wie er auf die Reaktion reagiert. Auf die Tour braucht niemand mehr kreativ sein, sondern nur noch dumm zu kucken. Dieser Reaction-Live-Stream hatte gut 30k Zuschauer. Darunter auch mich – ich habe nebenher die Küche geputzt.
In diesem Video haben Rezo und der Cutter erklärt, wie man es richtig macht: Handwerk ist nicht gefragt, man muss es falsch machen, damit es authentischer aussieht. Und die Witze sind natürlich ein Ergebnis des Cutters. Und die Mucke muss gut sein – da lege er Wert drauf. Und die Thumbnails – ganz wichtig. (Das Reaction-Video wurde übrigens zwischenzeitlich gelöscht – da haben sich wohl ein paar Leute echt auf den Schlips getreten gefühlt…)
OK. Ich bin lernfähig. Also habe ich mich hingesetzt und mir das Videomaterial angesehen, das er zur Verfügung gestellt hat. Eine knappe Stunde drei Typen menspreading auf nem Sofa mit einem Cutter direkt davor, keine Masken, kein Abstand. Kann man machen. Muss man aber nicht. Eine Kamera. Falscher Weißabgleich. Kurze Brennweite, also kleine Köpfe, große Knie. Der eine kratzt sich demonstrativ am Gemächt, und die ersten fünf Minuten geht es drum, wer versehentlich neben die Schüssel kackt. Frühpubertistenhumor von Erwachsenen. OK. Schauen wir mal, was wir draus schneiden.
Als Erstes auf b/w umgestellt, weil der falsche Weißabgleich des Materials fast nicht zu korrigieren ist (Graukarte ist voll „Handwerk“ – geht wohl gar nicht.). Das flache, schattenarme Licht ist in b/w total supi – also erstmal Kontraste aufgerissen. Und dann Ausschnitte gemacht, bis der Arzt kommt. Und dann aus dem ganzen Sumpf den die Drei (Vier) von sich geben, ein paar krasse Sätze rausgefischt.
Den Titel habe ich natürlich geklaut – von Sex, Lies and Videotapes…..
Das Ergebnis ist nicht witzig. Überhaupt nicht. Als ich das fertig hatte, habe ich mir ernsthaft gedacht, ob ich mit so nem Typen überhaupt was zu tun haben will. Aber ich hatte mir schon eine Vorstellung von mir ausgedacht, die ich dann doch drehen musste, sonst wäre ich geplatzt.
Die ist mit vier Kameras gedreht, E-M10IV, PEN-F, E-M5II und E-M1II. Alle auf ArtFilter Bleach Bypass. Ton mit einem LS-P2. (Übrigens: ich habe ja parallel den Ton mit den Kameras aufgezeichnet. Der Unterschied ist extrem. Die internen Mikros sind ja ganz OK, aber die Signalverarbeitung dahinter ist bei den Kameras ein Graus – lasst es bleiben, an die Kameras Videomics anzuschließen.) Und ja, ich habe keine Graukarte verwendet, weil der Filter die Farben sowieso brutal verändert und ich vor allem mich und das Verhörteam in unterschiedlicher Farbe haben wollte – also die 2900 K der Schreibtischlampe mit 6500 K auf das Team kontrastiert. Die Kameras auf 3500K eingestellt.
Und nein, ich werde natürlich bei Rezo nicht das Schneiden anfangen. Erstens habe ich keinen Bock, nach Aachen zu ziehen und zweitens wird er sich die Sprüche wohl nicht abgewöhnen, nur weil eine Kalkleiste mißbilligend die Mundwinkel verzieht. Ganz abgesehen davon, dass er nach der Vorstellung niemals auf die Idee kommen wird, mich auch nur zu kontaktieren. Die Nummer von mir ist meilenweit von allem entfernt, was Rezo normalerweise macht.
Copright: Natürlich ist das Videomaterial von Rezo copyrighted. Aber er hat es offiziell zur Verwendung freigegeben.
Schließlich habe ich dann noch als Journalist ein bisschen gegraben und bin auf ein echt wildes Netzwerk aus Verbindungen zwischen den „YouTubern“ gestoßen – weil ich die Connection Sido, Mai und Rezo etwas strange fand. Eine Chemikerin und Science-Bloggerin, ein Rapper, der Naidoo verteidigt und ein Flachwitzmeister, der während Corona zum Pillen werfen nach Berlin in nen Club fährt und zum Mitmachen aufruft. In diesem Netzwerk ist eine völlig irre Melange aus Doppelmoral und Geldmaschine unterwegs. Verrückt.
Oder, wie es in Rezo-Pidgin heißen würde: Weird. Richtig hart wack.
Rezo ist einer der reichweitenstärksten Influencer bei YouTube, Zielgruppe unter 18. Er nutzt seine Reichweite dafür, die CDU wegen ihrer Klimapolitik zu dissen und den deutschen Journalisten ins Gewissen zu reden – was im Prinzip alles prima ist – aber seltsam rüberkommt, wenn man weiß, dass er mit dem FUNK-Netzwerk der ÖR verbandelt ist, für die Zeit schreibt und best friend mit Leuten ist, für die ein Auto erst bei 300PS anfängt. Er wirft sich für Drosten in die Bresche und bezweifelt die Sinnhaftigkeit von Schulöffnungen kurz vor den Ferien. Aber in seinen Videos und seinem Handeln wird Corona ignoriert. Er schreibt seitenlang zu #MeToo reißt aber in seinem Kanal Sprüche wie oben im Video. Rassismus ist in seinen Texten bei der Zeit immer mal wieder Thema – aber dass die Nazis gerade dabei sind, den öffentlichen Raum in Deutschland zu erobern ist ihm ziemlich Latte – nirgends ein Wort dazu. Was ziemlich problematisch ist, weil er schon nach früheren sexistischen Videos und Diskussionen über die Bedeutung des Begriffs „Lebensraum“ schweren Gegenwind bekam. Und er Anfang Februar beim Neujahrsempfang des SPD-nahen Vereins D64 die Verhinderung der nächsten Nazi-Diktatur den Politikern zuschob – sein Umfeld „könne da viel weniger reißen“. Was sich etwas seltsam von jemand anhört, der ein Video „die Zerstörung der CDU“ gemacht und damit die Europawahl beeinflusst hat.
In der augenblicklichen Situation ist Wegducken und Fresse halten keine Option mehr. Das kostet Menschen das Leben und die Gesundheit. (und ruiniert die Wirtschaft.)
Geisterfahrer darf man nicht tolerieren. Man geht ihnen großräumig aus dem Weg und hetzt ihnen die Ordnungskräfte auf den Hals. Weil sie sonst Menschen umbringen, die einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort waren.
Maske auf. Abstand halten. Vor allem von Leuten, die Reichskriegsflaggen schwenken.
Hättest ihm wenigstens die blauen Haare lassen können 🙂
Wenn schon, denn schon.
Hey Reinhard, habe eine ähnliche Erfahrung gemacht, laut YouTube Studio wurde mein Video entweder garnicht angeschaut oder unter 30 Sekunden … die Absagemail klang auch nach Standardfloskeln – copy & paste für Alle
Jo. Natürlich Standardmail. Erbärmlich.
https://www.youtube.com/watch?v=zxnNZ09qaL4
Anderes T-Shirt wegen der Kamera. Weird.