Shutter Shock bei der E-M1

Seit Monaten geistert ein Phänomen durchs Netz: „Shutter Shock“. Darunter versteht man die Erschütterung, die der ablaufende Verschluss verursacht – und bei bestimmten Belichtungszeiten im Bild sichtbar sein soll.

Kleines Problem: es gibt einige, die das Phänomen sehr beharrlich beschreiben – und ziemlich viele, die das noch nie hatten und es auch nicht reproduzieren können. Zu letzterer Gruppe gehörte ich. Demzufolge dachte ich bereits an eine Art Massenhysterie.

Nun hat im oly-forum der User „Noctiluchs“ das Thema aufgebracht und „Knackfrosch“ und ich haben uns mal an die Erforschung des Phänomens gemacht.

Folgende Fakten waren relativ schnell klar:

  • Wird die Kamera aufs Stativ montiert, ist kein Fehler feststellbar.
  • Das Problem tritt nur bei Belichtungszeiten zwischen 1/50 und 1/320 auf.
  • Das Problem tritt nicht auf, wenn größere Objektive und/oder der Batteriegriff montiert sind.

Knackfrosch hatte das Problem mit dem 75-300 reproduzieren können, also schien es da irgendwas zu geben.
Der nächste Versuch  war, eine E-M1 hinten an eine möglichst labile Konstruktion mit einer langen Brennweite zu montieren, in der Hoffnung, dass der Shutter Shock die Konstruktion in Schwingung versetzte. Ohne Erfolg. Die Bilder waren einwandfrei. Ich verdächtigte bereits Olympus, gelegentlich „Möhren“ auszuliefern, bei denen irgendwas anders war als bei meiner eigenen Knipse.

Die wilde Konstruktion: 90-250 mit EC-14 und E-M1 auf einem völlig ausgezogenen Manfrotto 7322CY. Anfassen verboten. Aber kein Shutter Shock.

Schließlich habe ich dann die Vorgaben von „Noctiluchs“ befolgt, meine E-M1 vom Batteriegriff befreit und das 45er drangeschraubt. Damit habe ich dann einen Linienstern fotografiert – und siehe da: da war sie, die Unschärfe. 15° gegen die Senkrechte geneigt.

Interessant war nun Folgendes: je verzweifelter ich versuchte, die Kamera ruhig zu halten, desto krasser wurde das Ergebnis. Mit der Kamera locker am Handgelenk war die Unschärfe kaum noch zu sehen.  Bei Serienauslösung Highspeed mit 1/200 fing dann die Unschärfe an zu wandern – zwischen 15° und 45° gegen die Senkrechte. Einige Bilder waren sogar knackscharf.

Die Ergebnisse ließen nur einen Schluss zu: die Hand verstärkt unbewusst die Bewegung der Kamera. Der Fachbegriff dafür ist „endosynaptischer Eigenreflex“.  Zu diesem Thema gab es auch im Automobilsektor Untersuchungen, dort hatte man das Problem, dass die Hand des Autofahrers bei einer plötzlichen Bewegung des Lenkrades, diese Bewegung nicht etwa blockierte, sondern in der ersten Phase die Bewegung verstärkte. Erst in der zweiten Phase wurde dann gegengelenkt. Der endosynaptische Reflex verstärkt also die gefühlte Bewegung – und natürlich desto stärker, desto größer der „Kraftschluss“ zwischen Kamera/Lenkrad und Hand ist.

Soweit war die ganze Sache klar – im Forum sind wir mit den Ergebnissen nach draussen und wir wurden von den Usern soweit auch erstmal bestätigt. Unter gleichen Bedingungen – nackte E-M1 mit 45er – war das Verhalten reproduzierbar – je nach Handhaltung mal mehr, mal weniger.

Damit hätte ich die Sache auf sich beruhen lassen können – mission accomplished. Aber da war doch noch was: denn die Kamera hatte, als ich sie auf dem Schreibtisch per Funk Serienbilder hatte machen lassen, vibriert. Also gab es einen Einfluss des Verschlusses auf die Kamera – denn schließlich musste ja auch die Hand eine Bewegung haben, auf die sie reagieren konnte. Aber wie kann man die Bedingungen in der Hand simulieren, ohne eine Hand?

Die Lösung ist: die Kamera wird simpel auf ein Stück Schaumstoff gelegt, ausgerichtet, und dann per Smartphone ausgelöst. Und Peng: da ist die 15°-Unschärfe wieder. Gering, aber sichtbar.

Also wurde die E-M1 nun auf eine 20mm dicke Schaumstoffplatte gelegt. Es handelt sich dabei um extem flexiblen und weichen Schaumstoff, der jeder Erschütterung der Kamera gnadenlos nachgibt und knapp zwei Sekunden nachschwingt.

Da nicht alle Olympus-Kameras eine Möglichkeit für WiFi-Auslösung haben, habe ich die Testprozedur auf Selbstauslöser umgestellt.
Folgende Optionen wurden also getestet: Anti Schock mit 4 Sekunden, was das Schliessen des Verschlusses entkoppeln soll. Einfache Auslösung mit Selbstauslöser und Selbstauslöser und Anti-Shock-kombiniert. Und das wiederum kombiniert mit einer Auslöseverzögerung auf „Kurz“, was den Federaufzug vom Auslösen entkoppelt.
Fotografiert wurde bei Beleuchtung mit 1KW Nitraphot, so dass ich problemlos 1/200 bei Blende 2,8 und ISO 200 verwenden konnte. Das weiße Papier wurde unterbelichtet, so dass mir garantiert nichts ausfrisst.
Das verbesserte und verfeinerte Target wurde mit einem 1200dpi-Laser in höchster Auflösung gedruckt, die Linien sind Haarlinien.
So sieht das Target bei 1/1000 und Offenblende aus. Der 100%-Crop ist hinterlegt. Die Linien bei 0,25mm sind klar unterscheidbar.

Für das Moiré ist natürlich dasWeb verantwortlich, und nicht ich.
Und so sieht das Target bei 1/200 aus:

Hier sind die 0,25mm-Linien, die extra in 15° gekippt sind, um die maximale Shutter-Shock-Unschärfe zu bekommen, gerade noch als Einzellinien zu erahnen. Hier wurde die Auslöseverzögerung auf „kurz“ gestellt und der Anti-Schock, also die Verschlussvorauslösung auf 4 Sekunden. IS steht auf Auto. Bei weiteren Versuchen hat sich herausgestellt, dass weder die Auslöseverzögerung noch der Antischock eine signifikante Auswirkung auf das Bildergebnis hat.
Und hier das Ganze Freihand geknipst, während ich durch den Sucher gelinst und die Kamera mit beiden Händen möglichst sicher gehalten habe:

Die 0,25mm-Linien sind ununterscheidbar, das ganze Bild ist deutlich unschärfer.

Fazit: die Kamera produziert, wenn sie ein sehr leichtes Objektiv montiert hat, einen ShutterShock. Das ist Tatsache. Dieser wird aber erst wirklich schlimm, wenn man versucht, ihn durch „Festhalten“ der Kamera zu eliminieren. Die beste Haltung bei sehr leichter Kamera ist also die „Kompaktknipsenhaltung“ mit den Fingerspitzen und Fotografieren übers Display – wenn es um die „kritischen“ Verschlusszeiten von 1/100 bis 1/250 geht. Darunter oder darüber spielt der Shutter Shock keine Rolle.
Jedes Gramm mehr, das an der Kamera befestigt ist, eliminiert diese Verwacklung. Mit einem Batteriegriff und entspannter Haltung ist es mit dem Shutter-Shock vorbei, bei schwereren (FT)-Objektiven sowieso.

Dass einige Fotografen ihre persönlichen Rezepte zur Eliminierung haben: Anti-Schock auf 1/8s oder dergleichen – und damit gut zurecht kommen, hat also nichts mit der Kamera selbst zu tun, sondern mit der Rückkopplung auf ihre Hand.

Weitere Untersuchungen zum Thema Shutter-Schock folgen, es ist anzunehmen, dass alle extrem leichten Kameras von dem Problem betroffen sind, ich habe auch schon von Kunststoff-DSLRs gehört, die das haben sollen. Aber das wird etwas dauern, ich werde in den nächsten Tagen mal die Kameras testen, die ich hier habe. Da wird es dann aber, wenn nicht wirklich etwas revolutionäres dabei rauskommt, keine pen-and-tell-Beiträge geben, sondern einen etwas längeren Artikel als PDF, den ich verlinke, sobald er fertig ist.

Update: Man sollte jemand fragen, der sich mit sowas auskennt: natürlich heißt das nicht „endosynaptisch“ sondern „monosynaptisch“. Danke doktorfisch für die Korrektur! 

Update2: Mittlerweile hat noch ein Kollege mittels Oszi Versuche angestellt. Der hat auch weitere Kameras getestet – nicht nur Olys. Ergebnis: der „Shutter Shock“ ist bei allen (!) Kameras vorhanden. Und bei allen Objektiven, die er testen konnte. Die Ausprägung liegt im Endeffekt an der Resonanzfrequenz der Kamera/Objektiv-Konbination. Im Extremfall kann sogar das Stativ in Resonanz mit dem Verschluss treten. Das Phänomen ist also nicht Olympus-spezifisch und schon gleich gar nicht E-M1-spezifisch. Nach den Messwerten ist die E-M1 sogar unempfindlicher als andere Kameras. 
Thema Stabi: der hilft gegen den Shutter-Shock eher, als dass er schadet. Er kann zwar nicht die erste Auslenkung unterdrücken, aber er beruhigt die Kamera schneller als ohne Stabi. 

Update3: wir sind immer noch fleißig am Testen und Messen und hoffen, die Ergebnisse in den nächsten zwei Wochen auseinandergedröselt zu haben. Wir melden uns dann mit dem, was wir herausgefunden haben.
Update 4: Nach mehreren tausend Bildern und deren Auswertung haben wir festgestellt, wo das Problem nun wirklich liegt – und wie man es in den Griff bekommen kann. Wir haben dazu einen Artikel im neuen oly-e-paper geschrieben. Das kann man sich runterladen unter oly-e.de

One Reply to “Shutter Shock bei der E-M1”

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