Schon mal gehört? Es geht darum, dass man sich die Kultur von Leuten aneignet und damit Kohle macht, die sich nicht wehren können. Wenn etwa ein Tal im Schwarzwald seit Jahrhunderten eine bestimmte Tracht hat, die in kleinen Nähereien auf Maß produziert wird und nun ein chinesischer Konzern die Klamotten auf den Markt schmeißt, weil irgendwer auf die Idee gekommen ist, diese Tracht wäre cool. Natürlich gibt’s auf das Design keinen Schutz, weil ja hunderte Jahre alt, aber die Bewohner des Schwarzwaldtals sehen auf einmal massenweise Leute mit ihren Klamotten rumlaufen, die keine Ahnung haben, dass da jede einzelne Naht und jeder Knopf eine bestimmte Bedeutung hat.
Das macht ein komisches Gefühl.
Noch nie von sowas gehört? Dirndl werden längst in China hergestellt und nur noch von ein paar Verrückten in Bayern.
Das geht auch andersrum: Was an Buddhastatuen in deutschen Vorgärten und Wohnzimmern steht, ist nicht mehr zu zählen. Wer je in Thailand war, hat vielleicht das große Schild am Suvarnabhumi-Airport in Bangkok gesehen: „Buddha is not for decoration.“ Man stelle sich einen Japaner vor, der in den gerechten Kies seines Zen-Gartens ein Plastikkruzifix steckt.
Klar so weit, um was es geht? Natürlich gibt es da, wie überall, groteske Auswüchse. So sind manche Jamaikaner stinkbeleidigt, weil Nicht-Jamaikaner Dreadlocks tragen. Nur dass bereits die Assyrer Dreadlocks hatten. Manche Aktivisten sehen weißen deutschen HipHop als strukturell rassistisch – weil HipHop eine rein schwarze Kultur sei. Das geht so weit, dass Weißen das Recht abgesprochen wird, zu Kolonialismus zu forschen – sie hätten ja keine persönliche Erfahrung mit Kolonialismus. Schräg wird es besonders dann, wenn „People of Color“ „alte weiße Männer“ dissen, weil die ja gar nicht wüssten, was Diskriminierung sei – und dabei dann gelegentlich jüdische Mitbürger treffen, die noch die Lager der Nazis von innen gesehen haben oder deren gesamte Familie ausgerottet wurde.
Dass Kultur so nicht funktioniert, sondern überhaupt nur über Austausch entsteht, sollte klar sein. Rock’n’Roll ist aus dem schwarzen Blues entstanden. Weil die beiden Weißen Bill Haley und Elvis Presley sich die schwarze Kultur „aneigneten“ Und dann haben Schwarze aus der Aneignung des weißen Kirchengesangs den Gospel entwickelt. Und indigene Amerikaner haben den Rock’n’roll mit ihrer eigenen Musik verbunden – man denke an Redbone. Die wiederum mit dem Covern von weißer Rockmusik – Rolling Stones – angefangen haben.
Es ist klar, dass eine Abgrenzung zwischen Kulturen zur Verhinderung von möglicher Aneignung zu Apartheid und übelstem Rassismus führt. Und im Endeffekt zu einer Verarmung und zum Aussterben von Kulturen. Einige Sprachen auf dieser Welt existieren überhaupt nur noch, weil externe Sprachforscher sie aufgeschrieben – sie sich angeeeignet – haben, bevor sie ausstarben.
Es werden weiße Hiphopper, die selbst als Migranten Gegenstand von Diskriminierung waren, dafür kritisiert, dass sie auf der Bühne im Hintergrund ein schwarzes GoGo-Girl rumhopsen lassen. Weil sie sich die Kultur von Schwarzen angeeignet haben und gleichzeitig auch noch Schwarze als Objekt darstellen. Nur macht es das nicht besser, wenn das GoGo-Girl weiß ist – nur dass halt das schwarze GoGo-Girl seinen Job los ist. „Tut mir leid, Du darfst bei mir nicht rumhopsen, Du hast die falsche Hautfarbe.“
Das Problem der Aneignung ist aber trotzdem vorhanden – bis selbst in kleinste Gemeinschaften, wenn Trends von Subkulturen durch Modelabels „entdeckt“ und im Mainstream verheizt werden – und zwar ohne Rücksicht auf die Subkultur, die auf einmal ihre Identität verliert. Ich bin Anfang der Achtziger mit einer abgetragenen Jeans rumgelaufen, bei der der Stoff so dünn war, dass sie über den Oberschenkeln riss. Ich war damals der Erste in Mittelfranken, der sowas in der Öffentlichkeit spazierenführte und habe sowas wie einen Minitrend begründet. Wer sich traute mit Rissjeans rumzulaufen, war ein Bekannter von mir und definitiv Subkultur. Ein paar Jahre später gab’s Jeans mit Riss von Luxuslabeln, und die Yuppies liefen rum wie ich – nur dass ich damals die Jeans als Statement gegen die Yuppies getragen hatte.
Um nun aber endlich den Spin zur Fotografie zu kriegen: Eine auch von Fotografen sehr häufig vorgenommene Aneignung ist die Verwendung von Warbonnets. Auch gerne als „Häuptlingskopfschmuck“ falsch bezeichnet. Warbonnets – Kriegshauben – sind kein Schmuck von Häuptlingen, sondern vergleichbar einer Galauniform eines Soldaten mit allen Orden. Genauso wie es da Verwundetenabzeichen und Tapferkeitsmedaillen gibt, hat jede Feder eines Warbonnets eine bestimmte Bedeutung und Geschichte. Da indigene Amerikaner in den letzten hundert Jahren eher weniger in Stammeskriege verwickelt waren, gibt es kaum jemanden, der mit Recht ein aufwändiges Warbonnet tragen dürfte. Wer es trotzdem tut, macht sich über die Leute lustig, die in der indigenen Bevölkerung mit einem gewissen Recht als Widerstandskämpfer angesehen werden.
Eine nackte, weiße Frau, die ein Warbonnet trägt, ist also in etwa vergleichbar einem Russen, der sich mit einer Sammlung gefälschter Bundesverdienstkreuze am Gemächt ablichten lässt. Kann man machen, muss man aber nicht. Und man versteht, dass Menschen, die ihr Bundesverdienstkreuz dafür gekriegt haben, dass sie Menschenleben gerettet haben, da etwas verschnupft reagieren. (Und ja, es gibt Bundesverdienstkreuzträger, die echt keine Werbung für diesen Orden sind.)
Also, wie bei vielen Dingen, über die heute empört diskutiert wird – es gibt keine einfache Wahrheit. Natürlich spielen Kinder Cowboy und Indianer. Und es gibt Indianervereine in Deutschland, bei denen Biodeutsche in Hirschfelltipis sitzen und vom großen Geist träumen.
Aber es gibt auch Sioux, die ihre Kultur des Quiltens teilen. Oder Willy Michl, der zum Indianer ehrenhalber ernannt wurde.
Nicht der Umgang mit „fremden“ Kulturen ist das Problem. Es ist der Respekt. Es gibt viele Fotografen, die in amerikanischen Reservaten einfallen und dort alles fotografieren, was sich nicht rechtzeitig versteckt. Und dann mit Fotos von heruntergekommenen Indigenen prahlen. Natürlich haben die Stämme ein Problem. Aber sie haben gerade deshalb Respekt verdient. Die Stämme nehmen Weiße auf, aber es ist üblich, dass man Geschenke mitbringt. Und zwar keine Glasperlen. Und wenn man aufgenommen ist, dann hat man ganz andere Einblicke, denn diese Menschen sind zuerst Menschen. Wundervolle Menschen.
Also: Respekt vor fremden Kulturen. Auch mir kann man „Aneignung“ vorwerfen, weil ich in Korsika eine blonde Polin in schwarze Klamotten gesteckt habe. Aber ich habe das nicht gemacht, um die Kultur zu veräppeln, sondern gerade um sie zu zeigen und zu respektieren. Und das wiederum haben die Leute vor Ort respektiert.
Interessant das dies wohl der einzige Beitrag ohne Kommentierung zu sein scheint. Haben wir alle die Schere im Kopf und Angst öffentlich dazu eine Meinung zu haben?
Das ist ne heiße Kiste. Das Thema dabei ist Respekt und Achtung. Das erfordert alles Augenmaß und Einzelfallbetrachtung. Das Einfordern von Respekt kann auch sehr schnell totalitäre Züge annehmen. Sieht man an den Mohammed-Karikaturen. Grenzen der Toleranz. All das spielt da mit. Ist ganz OK, wenn da mal keine Kommentare drunter sind.
Mir fällt gerade ein Beispiel ein, vor allem in der Filmbranche in dem ein Schauspieler eine gehörlose Figur darstellt. Leider werden solche Rollen den hörenden Schauspieler gespielt und meint, es reicht, Gebärdensprache einzustudieren.
Und die völlig falsche Darstellung geht so weit, dass der hörende gegenüber normal und schnell spricht und der „Gehörlose“ sofort verstanden hat, hat wirklich so gegeben. So ist das nicht die Realität und ist respektlos gegenüber die wirklichen Gehörlosen. Es gibt genügend Schauspieler die selbst gehörlos sind (hat gegeben zum Beispiel der Film „jenseit der Stille“).
Hallo Pit, ich suche Leute oder Gruppen, die sich mit kultureller Aneignung befassen, da ich ein Gebiet kenne, über das ich gerne mit Aktivisten diskutieren möchte. In dem Fall den ich kenne, wird „altes schamanisches Wissen“ der Andenkulturen von Weißen vermarktet, ohne dass die entsprechende Bevölkerung an den Gewinnen beteiligt wird. Da werden ein paar Mittelamerikaner auf die Seminare mitgenommen, mit denen es verboten ist zu sprechen, und die dann in den Pausen ein wenig Folklore / Handarbeiten verkaufen dürfen. Für Hinweise wäre ich dankbar! Viele Grüße, Wolfgang