
Das Museum Ludwig in Köln hat vor zwei Wochen eine Ausstellung zum „Lächeln in der Fotografie“ eröffnet, die der Frage nachgeht, warum die Leute auf den alten Fotos nie gelächelt haben. Im Werbetext heißt es „Bis zum späten 19. Jahrhundert war das Fotografiertwerden eine Prozedur, die größte Bewegungslosigkeit erforderte […] was zu starren und leblosen Gesichtsausdrücken führte. “ Grund: natürlich der berüchtigte „Kopfhalter“. Aber heute kann man natürlich eine solche Ausstellung nicht machen, ohne auf damalige „Konventionen“ hinzuweisen, die abhängig von „Klasse, Gender und Kontext“ gewesen sein. „Gefühle gehörten besser ins Private und nicht auf ein Bild.“
Ich habe hier zwei Bilder von 1866 von der gleichen Person. Einmal im Studio:

Und einmal im „Real Life“:

BTW: das ist meine Ururgroßmutter, wenn ich mich nicht verzählt habe. Und ja, ein Teil meiner Verwandtschaft stammt aus Schleswig. Ich habe also wohl dänische Vorfahren. (Für Bundesbürger, die mit der Geschichte Schleswigs nicht so vertraut sind: Schleswig war bis zum unprovozierten, illegalen Angriffskrieg durch Willy den Ersten von Preußen dänisch. Aber weil er seine Kriege in Deutschland gewonnen hat, nennt man die heute „Einigungskriege“ und ist auf das Ergebnis fett stolz.)
Wie man sieht: Lächeln ist keine Frage der Kultur oder des Geschlechts oder der Zeit. Lächeln ging auch damals, sogar vor der Kamera.

Hier haben wir einen Nürnberger Fotografen, der 1901 immerhin leises Lächeln duldete. Es war also wohl weniger die Kultur der Fotografierten, die das Lächeln verhinderte, als der bei Fotografen angesagte Style.
Privatfoto von 1908:

Okay, man trug hochgeschlossen, aber ansonsten sieht das schon nach ziemlich feuchtfröhlich aus. Hier wurde wohl eines der neumodischen Magnesium-Blitzlichter eingesetzt. Es gibt davon eine ganze Serie, also war das wohl kein „Schnappschuss“ sondern ein geplanter Photoshoot. 9×12.
Während die Leute in den Privataufnahmen heftigen Spaß hatten, habe ich bis 1932 (!) bei den Studiobildern nur verkniffene Gesichter gesehen. Anscheinend saßen in den Studios noch die Hoffotografen und trauerten den Zeiten nach, als sie sich noch so nennen konnten.
Erst 1933 fangen die Leute auf den Studiofotos an zu lachen.

Dabei haben die hier rein politisch gar nichts zu lachen. Der Herr links ist der Vorsitzende der Dachdeckergewerkschaft und daheim sitzen lauter Sozen und Kommis. Die Fotos aus dem privaten Sektor dieser Familie sind eher gedrückt.
Also: Wann kam das Lächeln in die Fotos? Als die Fotografen gelernt haben, lächeln zuzulassen. Es war kein technisches Problem. Es war kein kulturelles oder Geschlechterproblem bei den Abgelichteten. Es war schlicht Arroganz bei den Knipsern. Ein Bild hatte nach Lehrbuch auszusehen. „One style fits all“. Auf den Menschen eingehen? Nö. Kunde da hin, vor die Kulisse neben die Säule und dann los.

Das ist übrigens die gleiche Type, die sechs Jahre vorher noch mit dem Mädel auf dem Schoß posierte.
Also nach dem, was mein Archiv so hergibt, glaube ich nicht mehr an die Geschichte mit dem Kopfhalter. Auch als man die längst nicht mehr brauchte, änderte sich die Ästhetik nicht. Erst als die vernagelten Fotografenschädel aus der Kaiserzeit langsam ausstarben, war Platz für das Lächeln auch im Fotostudio.
Die Ausstellung macht übrigens den Stummfilm dafür verantwortlich. Da wäre Lächeln notwendig gewesen, um Inhalte zu transportieren. Und dann hätten auch die Fotografen nachgezogen. Der Stummfilm war aber 1933 bereits mausetot. Schon 1929 kam der erste komplett mit Ton gedrehte, deutsche Film raus: Melodie des Herzens. Schon 1927 „The Jazz Singer„. Und 1922 gab es schon erste Lichttonstreifen.
Der Stummfilm fing 1895 an. New York, Paris, Berlin. Hat sich das auf Lächeln auf den Fotos ausgewirkt? Naja, ich würde eher sagen, dass es die Klimaerwärmung war, die zeitgleich begann. Oder das Telefon. Oder das Automobil…. Irgendwas war’s auf jeden Fall. Meine Theorie steht oben.
…dazu kommt noch, dass die Zahngesundheit auf einem bedenklichen Niveau war. Wer will sich schon mit verfaulten Zähnen ablichten lassen und diese auch noch zeigen. Deshalb bleibt auf den Bildern der Mund immer geschlossen. Das ‚Colgate-Lächeln‘ kam später.
Interessante Theorie. Habe ich anhand von Privatfotos überprüft. Nope. Die haben auf den Privatfotos alle Strahler80-Grinsen. Gerade der Herr mit dem Säbel – da habe ich ein Foto von ihm und seiner Frau, die beide Zähne zeigen. Perfetto.
Aber kann natürlich sein, dass die Fotografen tatsächlich bei allen auf geschlossenem Mund bestanden, weil sie keine Lust hatten, die Fotos zu retuschieren – was damals völlig üblich war. Da sind Negative und sogar Abzüge mit dem Pinsel retuschiert worden. Kind hat sich bewegt? Schärfen wir mit dem Pinsel nach. Da weiße Zähne nachmalen wäre die leichteste Übung gewesen. Ist aber eben Aufwand. Also halten alle die Futterluke zu.
Das Retouschieren wurde in ausführlichen Ausbildungen vermittelt. Der ehemalige Laborchef „meines“ Labors wollte nach dem Krieg eine Fotografenlehre in Berlin machen. Das ging aber nicht, weil diejenigen Vortritt hatten, die wegen Militärdienst keine Lehre machen konnten. So lernte er als Zwischenschritt retouschieren. Ein ganzes Jahr nur Wolken und Dinge malen. Er hat mir auf Mittelformatdias kleine Fehler retouchiert und auf Cibachrom-Prints ganze Weidenzäune entfernt, ohne dass man kleinste Reste sehen konnte.
Der Aufwand für Fotos und Repros war viel grösser als heute. Er hat erzählt, dass man für ein Van Gogh-Buch einen Maler aus Zürich extra ins Louvre geschickt hatte, um das Braun im Original nachzumalen, damit die Farben für den Druck gestimmt haben. Bei heutigen Reproduktionen dieses Bildes findet man in den Brauntönen von Violett bis Grünlich alles.
Die Prints aus dem genannten Labor haben auch entsprechend gekostet. Ein 20 x 30 Cibachrom/Ilfochrom war in der Qualitätsstufe mir Retouchieren und Lichtermasken bei 50.-, 40 x 50 bei 100.-. Trotzdem gab es lange Wartezeiten, weil so viele Fotografen ihre Prints dort bestellten. Heute existiert es nicht mehr.
Naja, schaut man sich die Portraits aus frühreren Jahrhunderten an, bekommt selbst Mona Lisa die Lippen nicht auseinander. Mit der Fotografie wurden Portraits nicht nur für die „Elite“erschwinglich. Da weiß man, wo die Mode herkommt, die Fotografen haben den Markt bedient.
Beim Passfoto darf man heute auch nicht mehr lächeln, weil das die Biometrie irritiert. Frag mich, wer damals irritiert war 😉
Es könnte aber auch aus der Mode kommen, dass man Erinnerungsfotos mit frisch verstorbenen machte. Die haben schöne ruhig gehalten aber alle kaum gelächelt und es war wohl einfacher, den Rest der Gruppe dazu zu bewegen, den Mund zu schließen .
Es ist heute (im Unterbewusstsein) vielleicht wie damals mit den Formen der Dramen im Theater: Ernst und Heiterkeit, Tragödie und Komödie.
Tragödien thematisieren ernste Konflikte und enden in einer Katastrophe, während Komödien heitere und lösbare Konflikte mit einem glücklichen Ausgang bieten. Tragödien stellen oft moralisch höhere Figuren dar, die an einem unlösbaren Konflikt scheitern, während Komödien menschliche Schwächen und oft „schlechtere“ Charaktere zeigen, die ihre Probleme meist durch Zufall oder Klugheit überwinden (Wikipedia).
Interessante Theorie. Wenn man sich die Literatur damals ankuckt, dann ist das gar nicht so abwegig. Fontane, Mann, Storm, Zola. Da habe ich noch nichts gelesen, was zum Grinsen animiert.
Kabarett wurde erst 1880 in Paris erfunden und bis man im Kaiserreich über Politiker lachen durfte, musste man warten, bis das Kaiserreich nicht mehr existierte….
Den Simplicissimus gab es ab 1896. Da wurden Politik und auch der Kaiser ordentlich durch den Kakao gezogen.
So ganz todernst wie uns die Zeit heute erscheinen mag haben sie die Leute nicht immer genommen.
Der Simplicissimus ist eine schwierige Angelegenheit. Er bewegte sich irgendwo zwischen PR-Gag, Gelddruckmaschine, ernsthaftem Engagement und Regierungslinie. Trommelte 14/18 für den Krieg und ab 33 für die Nazis. Natürlich hat das auch damit zu tun, dass die Autoren und Zeichner von irgendwas leben mussten. Und keiner wirklich Lust hatte, sich in den Schützengraben zu legen.
(Das Projekt simplicissimus.info ist übrigens seit etwa einem Jahr Offline. Server.error)
Und ich will damit auch nicht das Engagement der Autoren und Zeichner schmälern. Niemand ist scharf drauf, für die Wahrheit zu sterben. Man war 33 noch der Meinung, die Hitlerei sei eine vorübergehende Angelegenheit. Kaum jemand sah den Krieg kommen – kaum jemand glaubte daran, dass jemand so bescheuert sein kann, sich mit Russland anzulegen.
Was ich aber wirklich glaube: „lustig“ war der Simplicissimus nicht.
Agreed.
Nehmen wir Otto Reutter. Sind auch die meisten seiner Lieder erst in den 20ern erschienen, so hat er schon um 1898 angefangen “komische Lieder” vorzutragen.