Marketing und Mylio

Heute mal wieder ein längerer Artikel, weil es um mehrere Themen geht. Bei meinen Recherchen auf LinkedIn bin ich über einen Artikel eines „Wolfgang Heinen“ gestolpert, der behauptet, fotografierende Manager wären besser als andere. Weil man beim Fotografieren genau hinkucken müsse und das wären Skills, die man auch als Manger braucht. Der Artikel ist üblicher LinkedIn-Manager-Blafasel, da lohnt es sich eigentlich gar nicht, drüber zu schreiben. Der Herr hat letztes Jahr auch noch davon phantasiert, dass die Kamerabranche im Aufwand sei und sich die augenblicklichen Absatzzahlen von etwa 5 Mio Kameras pro Jahr (inkl. Kompakte) demnächst mehr als verdoppeln würden. Und er sei stolz darauf, die Zukunft des Kameramarktes mitzugestalten und hat davon berichtet, das er sich in Washington mit David Vaskevitch, dem ehemaligen CTO von Microsoft getroffen hat. Das sei ein „Buddy“ von Bill Gates und voll der Pionier. Und der habe eine App/Programm entwickelt, die mittels KI und (hier weitere Buzzwords einfügen) ohne Cloud auf Deinem Rechner alle Bilder verschlagwortet und alles total Boah ey.

Der Artikel war von vor nem Jahr, ich hatte von dem Programm „Mylio“ nie gehört, also auf die Website (gibt’s in Deutsch) und gleich den überall angebotenen „Gratis-Download“ angeschubst. 160MB später eine Installation versucht, die Anwendung fordert Zugriff ins Internet (Häh`? Ich dachte, ohne Cloud?) und Zack „geben Sie ihre Email-Adresse ein“. Und ohne Bestätigung der Mailadresse keine Installation. Also mal ein bisschen recherchiert bei den üblichen bezahlten Influencern. Die das Programm natürlich alle selbst einsetzen und total supi finden. Kurzer Check: KI-Erkennung des Bildinhaltes, einfache Bildbearbeitung, Gesichtserkennung und sogar eine Texterkennung. Vielversprechend. Also doch ne Mailadresse hinschicken?

Weiter recherchiert und siehe da, es gibt eine Gratisversion und eine Bezahlversion für 9 Dollar 99. Pro Monat. Die Gratisversion verwaltet nur Bilder auf Deinem Computer und im Notfall und mit Tricks auf per USB angeschlossenen Festplatten. Für ein lokales NAS brauchst Du das „Plus“-Abo. Die KI schrubbt tagelang auf Deiner Festplatte rum, teilweise funktioniert kommentarlos gar nichts, bestimmte RAWs werden nicht angezeigt. Die Userkommentare im englischsprachigen Forum sind eher so mittelprächtig.

Die Firma sucht dringend Softwaretester. Kein Wunder. Allerdings dürften sie da keine Probleme haben, denn „Mylio ist ein Arbeitgeber, der sich der Chancengleichheit verpflichtet fühlt und ein Arbeitsumfeld schafft, das die persönliche und berufliche Entwicklung seiner Mitarbeiter fördert, unabhängig von Alter, Hautfarbe, Behinderung, Familienstand, nationaler Herkunft, Rasse, Religion, Geschlecht, sexueller Orientierung oder Veteranenstatus.“ Kucke an, ich dachte, die Amis lieben ihre Army?

Das EULA (Die Lizenzvereinbarung für Endkunden) ist nach den Gesetzen von Washington, und man darf mit der Software keinen Content produzieren, der Tiere beunruhigen könnte. Und man räumt MyLio eine All-Inklusive-Life-Time-License ein, an allem Content, den man mit Hilfe der Software veröffentlicht. Abos verlängern sich automatisch. Solltest Du zufällig Krimbewohner, Kubaner, Iraner, Nordkoreaner, Sudanese oder Syrer sein, oder gar dort wohnen, darfst Du die Software nicht benutzen. Und Du solltest natürlich sämtliche Sanktionsgesetze der USA kennen. (Hier gibt es eine durchsuchbare Liste. Für Deutschland gibt es 91 Sanktionen, selbst für die USA selbst gibt es 72.) Hat man irgendwelchen Ärger mit MyLio muss man zuerst die Support-Email anschreiben. Es gibt sogar einen Absatz, der regelt, dass man in der EU nicht so einfach die Software dekompilieren darf. Man muss da zuerst in Amiland Rücksprache halten. Natürlich werden Informationen, die MyLio über Dich erhält, inklusive EXIFS an alle möglichen Kumpels verschenkt und vertickt. Und natürlich hält sich MyLio an das US-EU Privacy Shield-Abkommen – das bereits 2020 vom EuGH gekippt wurde.

Und, natürlich, jenseits der Dumme-Enduser-Oberfläche-klick-hier-bezahl-und-halt-die-Fresse ist alles in Englisch.

Nur um mal klarzumachen, was das für ne Firma ist. Warum wundert mich das nicht, wenn ein Buddy von Billy sowas ankurbelt? Und ein selbsternannter Steuermann des Kamerabusiness das promotet?

Die Management-Ebenen im „Imaging-Business“ scheinen mir mittlerweile eine dysfunktionale Bubble zu sein, die jeden Kontakt zur Wirklichkeit und ihren Kunden verloren hat. Man unterhält sich vorsichtshalber nur noch mit bezahlten Influencern und plant mit Wunschzahlen. Selbst Beschwerden von Händlern lässt man locker abtropfen. Denn „die Zukunft ist ja der herstellereigene Onlinehandel“. Vor Corona hat ein großer Zulieferer mal eine Marktstudie in Auftrag gegeben um herauszubekommen, welche Kapazitäten er planen muss, um die zu erwartende Nachfrage zu bedienen. Er war der Einzige in der ganzen Branche, der sowas gemacht hat. Die Ergebnisse waren verheerend und sind durch die tatsächlichen Zahlen dann noch unterboten worden.

Überall wird versucht, sich möglichst vom Kunden zu entfernen, rechtliche Regelungen zu umgehen und jede Möglichkeit zu nutzen, noch bei irgendwem drei Cent weniger zu zahlen oder drei Euro mehr zu verlangen.

Ein Händler hat sich bei mir beschwert, dass seine neue Kundenbetreuerin (nicht von OMDS) Außendienst mit HomeOffice verwechselt. Die schickt von dort nur noch Werbemails raus. Persönlicher Kontakt beim Händler? Nö. Werbebling, SPAM und ansonsten in Deckung bleiben. Und wenn einer daherkommt und sich beschwert – net mal ignorieren. Wozu gibt es Mailfilter und Abwesenheitsbots.

PS: Für alle, die jetzt denken: „9,99 pro Monat? Ist es mir wert!“ In dem Augenblick wo Billys Buddy die Firma pleite gehen lässt, verkauft oder einfach die Server abschaltet, ist die Herrlichkeit vorbei.

Zum Bild: Das ist natürlich die Nordkappkugel. Zumindest wie sie 2015 aussah. Die KI ist der Meinung, das sei ein Radioteleskop. Das Nordkapp ist ein mustergültiges Beispiel für Marketing. Am Nordkapp ist ein Riesenandenkenladen, der Felsen kostet richtig kräftig Eintritt, ist nicht mal die nördlichste Spitze der Insel und schon gleich gar nicht des Festlandes. Und im Wesentlichen ist dort ein riesiger Parkplatz zu besichtigen und wenn man Dusel hat, ein Sonnenuntergang. Ja, OK, der ist im Norden. Das sieht man aber auf den Fotos nicht. Trotzdem ist dort zur Mitternachtssonne die Hölle los. Tolles Marketing.

9 Replies to “Marketing und Mylio”

  1. Hallo Reinhard,
    die kurze Story mit dem Außendienst war die Beste!

    Zur Info: beim Besuch des Nordkapps (Stand Herbst 2022) kostet der Eintritt auf den Felsen und zur Kugel nichts. Frag aber nicht nach dem Drumrum… Aber Norwegen ist prinzipiell eine andere Preiszone 😉

    1. Ja klar, Felsen ist Gratis. Nur das Parken kostet. Wer per Pedes vom letzten Campingplatz die 13km auf der E69 latscht, der kommt umsonst rein. Ich habe dort schon Fahrradfahrer gesehen. Aber noch nie jemand zu Fuß.

      1. Parken und die Toilette (beheizt, fl. Warm/Kalt Wasser) daneben ist kostenlos! Nur die Nordlandhallen kosten Eintritt.
        Und wenn man erst Mitte August hinfährt ist es deutlich leerer. Mit etwas Glück hat man auch die Chance auf ein Foto mit tollem Sonnenuntergang (Tipp von R.W.).

        1. Dann ist da mittlerweile ernsthaft was geändert worden. Als ich 2015 das letzte Mal dort war, war da ein Kassenhäuschen und Schranke und man hat richtig, richtig gezahlt, nur um überhaupt aufs Gelände zu kommen. Früher war das Ticket 48 Stunden gültig, dass man noch mal hinfahren konnte, wenn es Nebel hatte. 2015 verlor das Ticket mit der Ausfahrt seine Gültigkeit. Dafür waren die Nordlandhallen gratis.

          1. Kassenhäuschen und Schranke ist noch (August 2022). Aber wenn man sagt dass man nur Parken will gibt es das Ticket kostenlos (seit 2021). Da gab es einen Gerichtsurteil dazu.

  2. wenn’s landschaftlich schön ist machen die 13 km nix, das geht gut zu Fuss. Dann kann man Links und rechts vielleicht ein paar Bilder aufnehmen. Müsste nur meine Frau davon überzeugen im Hohen Norden wandern zu gehen 😉

    bzgl. KI und Bilderkennung – Google Lens hat dein Bild als Norkap erkannt. die App ist zwar auch nicht der Weisheit letzter Schluss, recht häufig stimmen aber die Antworten

  3. Also dass Softwarehersteller sich in ihren “Lizenzabkommen” alles Mögliche wünschen bzw. verbitten, ist eigentlich nichts Neues. Klassisch ist z.B. auch, dass der Hersteller den Benutzern verbieten will, schlecht über die Software zu reden oder (nachteilige) Benchmark-Ergebnisse zu veröffentlichen (wo sind wir hier, in Nordkorea??). Was davon hierzulande aber tatsächlich gilt oder gar einklagbar ist, steht auf einem völlig anderen Blatt.

    Klar ist, dass man sich bei allen Abo-basierten Angeboten davon abhängig macht, dass der Hersteller geruht, den Dienst weiter anzubieten. Für die Hersteller sind die Abos sehr nützlich, denn (a) führt das zu einem garantierten monatlichen Cashflow, im Gegensatz zum herkömmlichen Kaufmodell, wo die Leute einmal bezahlen und dann möglicherweise nie wieder bzw. man sie beknien muss, sich (kostenpflichtige) Upgrades zu holen, und (b) vermeidet man ärgerliche Konsequenzen eines Sachkaufs, etwa dass die Leute die Software weiterverkaufen und man jemand Neues in die “gebrauchte” Lizenz eintreten lassen muss, dem man sonst auch eine komplett neue Lizenz hätte verkaufen können. Als Anwender muss man sich halt überlegen, ob man das will, bzw. was man im Fall des Falles, dass der Hersteller den Dienst einstellt, zu tun gedenkt. Mein Ding wär’s ja nicht; ich setze, wo ich kann, auf “Open Source”.

    1. Noch ein kurzer Kommentar zu den Abos: Dabei geht es nicht nur um einen regelmäßigen, sondern auch um einen regelmäßig ansteigenden Cashflow. Letzterer ist für die Aktionärskommunikation ganz wichtig, denn jede AG muss ja jedes Jahr 13% Umsatz- und X% Gewinnwachstum ausweisen. Mit den Abomodellen kann man das Deko-Wachstum besser steuern als mit Einmalverkäufen.

      Sch… auf den Customer Value (war in den 90ern noch en vogue). Heute leben wir im Zeitalter des Shareholder Value. Natürlich nennt man es aber Stakeholder Value. Die Kunden sollen schließlich nicht direkt darauf gestoßen werden, dass ein Unternehmen einen Sch… auf sie gibt.

  4. Ich habe Mylio einige Zeit genutzt und fand es für meine Ansprüche gut. Allerdings damals noch gratis bis 20’000 bei wenigen weiteren Einschränkungen. Fotos. Vorteile (für mich): keine Cloud (!), nachdem man es eingerichtet hat, muss man sich kaum mehr um die Sicherung kümmern, Verwaltung basiert auf der vorhandenen Ordnerstruktur, die Bilder werden nicht in einen Katalog importiert. Leider wurde die max. Anzahl Bilder bei einem grösseren Update auf 5000 Bilder beschränkt. Den Abo-Preis von ca. CHF 9.-/Mt. war es mir dann nicht mehr wert.
    Ich habe es noch auf der Platte, für etwa den halben Preis würde ich es durchaus weiter nutzen.

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