RBF- Resting Bitch Face

Kennt jemand „Das Bildnis des Dorian Gray“? Klassiker der englischen Literatur, mehr oder weniger schlecht mehrmals verfilmt, meiner Meinung nach überhaupt nicht verfilmbar. Der netteste Versuch (nice try) war vielleicht die BBC-Verfilmung von 1976, die wenigstens versucht hat, nah am Buch zu bleiben. Die meisten anderen setzen im Wesentlichen auf die Abfolge von Leichen, die Wilde in schöner Shakespeare-Tradition über seine Story gepappt hat, damit sie wer liest.

Alle Verfilmungen scheitern  – müssen scheitern – an der Fiktion eines völlig harmlosen, hoch gebildeten aber unschuldigen 20-Jährigen mit idealen Gesichtszügen. Sowas läuft heutzutage nirgendwo mehr herum. Kein Schauspieler, der bekannt genug ist, dass man ihm die Titelrolle eines abendfüllenden Spielfilms gibt, ist so behütet aufgewachsen, dass er mit 20 Jahren nicht einem Zyniker wie Lord Henry locker Kontra geben könnte.

Was hat das nun mit RBF zu tun?

„Resting Bitch Face“ ist ein relativ neuer Ausdruck dafür, dass jemand ganz normal, wenn er anscheinend gar nichts denkt, böse, gelangweilt oder angewidert kuckt. Das Phänomen ist vor allem bei „Stars“ aufgefallen, die normalerweise nur mit strahlendem Lächeln im Gesicht – und eben manchmal auch ohne Lächeln  – fotografiert werden. Unsere Großeltern hatten da einen anderen Spruch dazu „Mach keine solchen Grimassen, irgendwann bleiben die stehen.“

Oscar Wilde thematisiert in seinem Buch, dass das Gesicht der Spiegel der Seele ist – und dass eben ein Gauner, bei dem das nicht funktioniert, leichtes Spiel hat, weil er eben alle jahrzentelang über den Tisch ziehen kann. Die Kosmetikindustrie macht allein in Deutschland 17 Mrd Euro Umsatz im Jahr um den Leuten zu ermöglichen, die Spuren des Lebens aus ihren Gesichtern zu tilgen – und weltweit lassen sich pro Jahr 23 Millionen Menschen operieren.

Unsere Vorfahren waren darauf trainiert, in den Gesichtern von Fremden zu lesen – denn der neu angekommene Höhlenmensch konnte ihnen die Story vom Pferd erzählen, man konnte ja nicht mal schnell in Facebook nachkucken, was er schon alles veranstaltet hatte. Wenn der eine fiese Visage hatte, dann musste er sich eine andere Höhle suchen. Und Populationen, die dieses „Gesichterlesen“ nicht draufhatten, starben relativ schnell aus. Es ist also eine unserer Grundfähigkeiten, dass wir unsere Gegenüber einschätzen können. Zu wie viel Prozent das angeboren und zu wie viel Prozent das durch Sozialisation erworben wird, da dürfen sich Wissenschaftler drüber streiten.

Wie kommt es jetzt aber, dass neuerdings, nach 5 Millionen Jahren Evolution, auf einmal Menschen auftauchen, bei denen das angeblich nicht funktioniert? Fukushima? Tschernobyl? Aluminium? Nö, der Grund ist simpel. Wenn jemand 20 Jahre lang versucht hat, cool, lässig und gelangweilt auszusehen, weil das eben das Ideal seiner Peergroup ist, dann kuckt er irgendwann mal so aus. Auch ohne dass er das will. Wenn jemand 20 Jahre lang jeden Tag ins Fitnessstudio geht, dann verändert sich sein Körper auch. Da braucht der keine Muskeln anspannen und der Versuch, schwächlich auszusehen scheitert wie bei Obelix, der versucht, einen Baum nicht auszureißen.

Es gibt Menschen, die sind ihr Leben lang fröhlich. Die kriegen was? Richtig. Lachfalten. Denen ihr Gesicht lacht auch dann, wenn sie gar nichts machen. Wenn jemand ein Leben lang Kaugummi kaut, dann kriegt er nun mal gut trainierte Kaumuskeln.

Nun haben aber doch Wissenschaftler RBF nachgewiesen? Ja. Mittels Gesichtserkennungssoftware. Nur kann diese nicht nachvollziehen, was der Probant gerade denkt, wenn er vorgeblich gar nichts denkt.

KI halt.

5 Replies to “RBF- Resting Bitch Face”

  1. Hallo Reinhard,

    obgleich der Dorian-Verfasser ja ins Zuchthaus kam, las ich recht schmunzelnd „Sowas läuft heutzutage nirgendwo mehr herum.“.

    Das ist doch völlig gleichgültig, ob es eine solche Person tatsächlich gibt – wie der vor fast 200 Jahren wunderschön formulierende, politisch so törichte Platen formulierte zu lebensrelevanten Kopfbildern

    „Wen der Pfeil des Schönen je getroffen“, …
    bzw.
    „Wer die Schönheit angeschaut mit Augen“, …

    Zu Platens Elend immer mit Todesnähe verbunden.

    Ich kann mich aus vergleichbaren Gründen noch sehr gut an eine Radiostimme im HR2 vor Jahrzehnten erinnern oder an einen zufälligen Anblick in Bologna nach dem Attentat.
    Es gibt fern aller Realitäten wundervolle eigene Bilder, die auch im Alter nicht ausbleichen und nicht zum Erhalt in ein aktuelles technisches Speicherformat konvertiert werden müssen.

    Selbst wenn Erinnerungsfotografie möglich wäre, für eine andere Person wäre das Abbild wohl in der Regel bedeutungslos.

    Sehr wohlig in der Sonne sitzend grüßend

    Eckhard

  2. „Eine Frau über 30, die keine Falten hat, hat nicht die richtige Creme, sondern die falsche Einstellung!“
    (Ist ein Zitat, aber ich weiß nicht mehr, von wem.)

    Glücklicherweise hat meine Liebste die richtige Einstellung und wunderschöne Lachfalten!
    Ich habe dafür die Skeptikerfalte zwischen den Augen. Aber auch dazu stehe ich!
    😉

    halbsonnige Grüße,
    Martin
    (der RBF bei Models auch nur bedingt sexy findet)

  3. RBF. Kenne ich schon eine Weile den Ausdruck. Ein gehässig-sexistischer Begriff, der wahrscheinlich von der Boulevard Presse erfunden wurde bzw. von ihr überwiegend verwendet wird.

    1. https://de.wikipedia.org/wiki/Resting_Bitch_Face
      Ich würde mal sagen, der Boulevard hat’s nicht erfunden (der erfindet generell recht wenig originelles). Und wenn man es genau nimmt, ist der Ausdruck auch eher nicht sexistisch, weil der Begriff BRF synonym ist und das heißt: „zickiges Gesicht im Ruhezustand“. „bitchy“ kann auch für „bissig“, „gemein“ oder „boshaft“ stehen.“
      Was der Boulevard in seiner Berichterstattung daraus macht – keine Ahnung. Ich les den Schrott nicht.

  4. Ich bin auch ein Betroffenener:

    „Guck nicht so enst!“ und „Warum guckst Du so grimmig?“
    – „Äh – nein! Ich schaue einfach nur entspannt!!“

    Danke, jetzt weiss ich wenigstens, wie das heißt.

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