Wer im DVF – Deutschen Verband für Fotografie – ist, wird es vielleicht in der neuen Mitgliederzeitschrift gelesen haben: Excire, meine Lieblingsbilderverwaltungssoftware, ohne die das Objektivbuch überhaupt nicht möglich gewesen wäre, bastelt jetzt an einem Blechdepp, der Bilder bewerten kann – oder zumindest so tut als ob.
Das ist jetzt nicht wirklich was sonderlich Neues, da gab’s schon vor zehn Jahren irgendwelche Unis, die solche Bildbewertungssoftware ins Netz gestellt haben. Da hat man sich dann in den Foren immer ein paar Wochen drüber lustig gemacht, was die KI so besonders gut findet und die Leute haben damit geprahlt, welche Punktzahlen sie mit ihren Bildern bei der KI erzielt haben.
Nun hat der DVF – und dafür muss man ihm dankbar sein – mal die Beiträge eines Fotowettbewerbs parallel von einer Jury und der „KI“ von Excire bewerten lassen.
Die Jury war mit Vertretern der Industrie (Fotohändler und zwei Vertreter von Canon – Olympus hat zwar die Preise gestiftet, aber offensichtlich keine Jury…) besetzt und die Bilder, die ausgesucht wurden, unterschieden sich doch von denen, die die KI auf die ersten Plätze gesetzt hat. Bis auf die Kamelsilhouetten – das klassische Motiv scheint auch nach hundert Jahren noch nichts von seinem Reiz verloren zu haben.
Dr. Ing Thomas Käster von der Excire-Firma hat 250.000 Bilder bewerten lassen, im Schnitt 200 pro Foto, sind 50 Millionen Bewertungen. Da ich mal nicht annehme, dass sie tausende Fotografen angeheuert haben, die sich monatelang selber geschossene Bilder ankucken, dürfte das wie immer gelaufen sein: Man greift ein Fotoportal ab. Fotocommunity, flickr, irgendsowas. (Getty hat jetzt übrigens eine KI-Firma verklagt, weil die KI so schlau war, das Getty-Wasserzeichen in die „neu geschaffenen“ Bilder einzubauen.)
Nun verhält sich die KI von Excire also wie der durchschnittliche flickr-User, der die Fotos seiner Kumpels geil findet. Überraschung: Ein Urlaubsbild mit dem Wohnmobil macht Platz 1.
Kann eine KI innovative Bildkonzepte gut finden? Nö. Die hat noch niemand positiv bewertet, also ist das Mist. Die KI ist im wirklich übelsten Sinne „konservativ“ und fortschrittsfeindlich. „Was der Bauer nicht kennt, dass frisst er nicht.“ (Und um Himmels Willen, nichts gegen Landwirte! Das was da viele machen ist längst HighTech und Innovation.)
Welche Sinn hat also KI bei der Bilderbewertung? Man bekommt die Information, wie nahe man mit seinen Bildern dem Massengeschmack von vor zwei oder drei Jahren kommt.
Bedenklich wird es, wenn Wettbewerbsausrichter sich entschließen, die aufwendige und teure Jurierung in Zukunft den Blechdepp erledigen zu lassen. Ist ja Wurst, die Jury eckt sowieso immer an und ob ein Computer oder Menschen die Fehler machen – shitegal, der Computer ist billiger. Und die Fotografen können in Zukunft ihre Chancen bereits im Vorfeld mit ihrem eigenen Excire checken – Win-Win.
Schöne neue, alte Welt.
Das Ende der Fotografie als Kunst.
Für mich ist das, warst du hier beschreibst, die logische und technische Fortsetzung der StudiVZ-, Facebook- und Instagramm-Kultur: wenn schon junge Menschen während ihrer geistigen Entwicklungsphase vor allem danach schielen, wie und mit welcher Idee oder Aussage sie ein Like produzieren können, ist der Weg in die Konformitätsgesellschaft unabdingbar vorgezeichnet. Während den Zeiten unserer Jugend galt es ja durchaus noch als schick, auch mal weniger ausgetretene – oder sogar ganz neue – Wege zu denken und zu gehen. Und bei manchen von uns Silberrücken hat sich das ja bis heute gehalten 😉 . Bei den neuzeitlichen Utopisten wie Orwell und Huxley wurde der Konformismus noch zentral gesteuert. In unserer Zeit entsteht er in den Köpfen direkt. Ist für das staatlich-gesellschaftlich-wirtschaftlich-mediale System deutlich einfacher und auch nicht angreifbar – es herrscht ja Meinungsfreiheit… . Die beschriebene KI-Software passt da wunderbar in die Linie. Schöne neue Welt…
Also wenn ich mich z.B. so auf Instagram umschaue, sehe ich innerhalb von 5min deutlich mehr Diversität und Kreativität als in so manchem kommerziellem Markenforum innerhalb von Jahren 😉
Was ein interessanter Effekt ist: Auf Insta sind die Leute in ihrer jeweils eigenen „Bubble“. Sie sind zwar durch die Richtlinien von Meta eingeschränkt, aber innerhalb dieser Grenzen versuchen natürlich viele schon aus Trotz möglichst nah am Rand langzuschrammen. In Markenforen ist die „Bubble“ ein markenzentriertes Klientel. Wenn der Hersteller erklärt, die Kamera ist was für Naturfotografen, wird es natürlich im Wesentlichen Naturfotos geben. Blumen, Bienen, Klapperstörche halt. Weil man ja zeigen will, was das Equipment kann. Macht man Fotos, die man auch mit dem Handy machen könnte, so kreativ sie sein mögen, kriegt man entsprechende Kommentare….
Demokratische Fotowettbewerbe sind Mechanismen, die eine spezielle Bubble in Foren weiter festigen können.
„Like for like“ (wer mir eins gibt, kriegt auch eins) – auch ein Konzept, dass Bubbles fördert, egal ob in Foren oder irgendwelchen anderen Social Media Plattformen.
@ Saint-Ex: Ja zu Allem und noch dazu: Wenn es nur der Weg in die Konformitätsgesellschaft wäre … es ist weit mehr; es ist der Weg in eine von Ideologie gesteuerte Zielecke.
So langsam kann man Angst kriegen. Das größte Problem sehe ich darin, dass wir in Zukunft viele Ergebnisse von KI zu sehen bekommen (egal ob als Text oder als Bild …), ohne dass der Ursprung erkennbar ist. Die Qualität und Verlässlichkeit der Ergebnisse bleibt dann ebenso im Dunkeln.
Da wir auch diesen Geist nicht wieder in die Flasche schubsen können, müssen wir uns als Gesellschaft über den Umgang damit Gedanken machen (schon wieder so was Schwieriges). Vielleicht ein Qualitätssiegel „von echten Menschen gemacht …“? Und das wird dann wieder gefälscht werden … Eine Lösung habe ich auch nicht.
Dann gibt es „menschenidente Formulierungen“, so wie es jetzt „naturidente Aromen“ gibt 😉
da haben die Menschen ja wieder einen Zug auf den alle aufspringen und keiner hat eine Ahnung wo die Bremse ist.
@Blende8: nicht mal wohin der Zug fährt
Eigentlich ist das ja nur die konsequente Umsetzung unserer derzeit gängigen Schönheitsideale. Die haben auch weniger mit dem ganz individuellen Geschmack zu tun, sondern damit was z.B. die Bekleidungsindustrie möglichst einfach und billig herstellen kann (Curves kosten unmengen von Stoff, jein Witz), was die Kosmetikindustire möglichst billig herstellen und gut verkaufen kann …
Zukünftige Wettbewerbsbilder zeigen dann also vermeintliche Schönheitsideale von Mensch bis Urlaubsziel, zwangsweise kombiniert mit den handelsüblichen Regeln zur Bildgestaltung. Urgs.
Erweckt bei mir noch weniger Lust, irgendwelchen Clubs beizutreten oder bei deren Wettbewerben mit zu machen.
Ich wandle mich langsam vom Pessimisten zum Optimisten – ich sehe immer mehr Menschen die genau aus solchen Mustern ausbrechen, weil sie sie bewusst oder intuititv erkennen. Um so stärker eine Bewegung in eine bestimmte Richtung, um so stärker auch die Gegenbewegung, wenn nicht sofort dann später. Schön wäre wenn sich das Ganze statt aufzuschaukeln wieder einpendeln würde.
Kann sein dass da meine eigenen Bubble in die wahrgenommene Bewertung reinspielt, dass sich also nur meine eigene Wahrnehmung verändert hat. Ich habe nun mal keinen anderen Zugang zur Welt.
Nützlich wäre auch, wenn wir bald erkennen wo die wirklich wichtigen Prios sind, sonst nützt alles einpendeln schlussendlich nix…
„Welche Sinn hat also KI bei der Bilderbewertung? Man bekommt die Information, wie nahe man mit seinen Bildern dem Massengeschmack von vor zwei oder drei Jahren kommt.“
Intelligent angewendet, kann das der wahre Nutzen sein: Den Massengeschmack von vor zwei Jahren herausfiltern und sich bei der Bewertung auf die möglicherweise innovativen Bilder konzentrieren.
Wir sind noch ziemlich am Anfang der massenhaften Nutzung von KI. Unfehlbarkeit dürfen wir von einem von Menschen gemachten System nicht erwarten.
Bildbewertung ist eine eher harmlose KI-Anwendung. Richtig schwierig wird es bei autonom gesteuerten Straßenfahrzeugen: Gelegentlich liefert die Bilderkennung „lustige“ Ergebnisse, das kann gefährlich werden. Uns selbst geht es da nicht anders, mit ein paar Gläsern Wein oder Übermüdung kommt man in einen Zustand, wo wir Dinge wahrnehmen, die nicht da sind oder umgekehrt.