Kennt jemand das noch? Das ist ein „Quelle-Karton“. Kein wirklich alter, die hatten dieses neckische Muster noch nicht drauf, sondern aus den 70ern. Quelle war mal das größte Versandhaus Europas. Wie sind die so groß geworden? Zum Beispiel dadurch, dass Grete Schickedanz, die Chefin, sich sozial engagierte. Sie setzte eine Betriebsrente durch, die erst Jahre später gesetzlich verankert wurde. Die Quelle hatte schon in den 60er Jahren Betriebskindergärten und förderte großzügig Schulen. Die Mitarbeiter bekamen fetten Personalrabatt (Das waren so A5-Zettel, „Einkaufsscheine“ genannt, mit denen man 20% auf so ziemlich alles bekam.), die Leute wurden anständig bezahlt und dadurch, dass die Quelle mit der Post zusammenarbeitete, bekam die Post Umsatz und die Quelle gute Konditionen. (Otto hatte damals Hermes aufgebaut, deswegen sind die Hermes-Leute bis heute noch schlechter bezahlt als die Posterer.) Durch die Quelle-Agenturen und Quelle-Sammelbesteller konnten auch viele kleine Krauter am Land kleine Existenzen aus dem nichts aufbauen. Das Quelle Kundendienstlager in Nürnberg war ein ganzer Wohnblock voller Ersatzteile und man bekam von allem alles – inklusive Schaltbilder. Das Zeug taugte.

Einkaufsabteilung Kinderstrickwaren in Fürth, 1983

Die Hauptverwaltung war in Fürth an der Nürnberger Str. 95 – das wird gerade saniert für das Landesamt für Statistik. Zu Quelle-Zeiten war das witzig: im Erdgeschoss alles piekfein mit rotem Teppich. Je weiter man nach oben kam, desto karger wurde die Ausstattung. Der Aufzug ging nur bis in den dritten Stock, die Abteilung hier unter dem Dach im fünften Stock war nur noch durch eine schmale Stiege zu erreichen.

Computer gab’s natürlich nicht – 1983 schon gleich gar nicht, Handarbeit war angesagt. International tätig war man trotzdem, denn schon damals kamen die Klamotten aus Fernost – vorzugsweise Hongkong. Da die Vertreter zwar mit den fetten Koffern anreisten, aber das Zeug nicht wieder zurücktransportieren wollten, hatte ich den Vorzug, dass ich reihenweise Klamotten hatte, die in Deutschland nie jemand gesehen, geschweige denn angezogen hatte.

Um’s Haar wäre ich auch noch im Katalog gelandet, denn Models waren damals schon gesucht:

Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, aber das Zeug war damals anscheinend zumindest bei den Eltern angesagt. Das meiste kratzte ohne Ende. Hier gibt die Einkäufersubstitutin den Models die letzten Anweisungen. Alle drei kucken echt glücklich drein – Im Hintergrund ein Durchlichtschirm auf das ein Dia projiziert wurde – kein Mensch brauchte Greenscreen, ein Brett als Geländersimulation reichte vollständig.

Die Fluktuation bei Quelle war gering – trotz der Abstellkammern als Büros. Oder vielleicht gerade deshalb. Das Zeug war gut, preiswert und jeder Haushalt hatte die Quelle-Bibel daheim. Egal was man kaufen wollte, erstmal in den Katalog kucken, was das bei Quelle kostet – und dann konnte man über Anschaffungen diskutieren.

Übrigens war Quelle auch bester Kunde im sozialistischen Ausland. Vom Faltboot von Pouch (Danke für die Korrektur!) bis zur Taschenlampe und den Kameras.

Dann stieg Grete Schickedanz, die gute Seele des Betriebs aus. Verschiedene Ehemänner der Töchter ruinierten den Laden, dachten, sie könnten sich dadurch, dass sie den Laden an die Börse brächten, ne goldene Nase verdienen – 1999, Dotcom-Blase – und fusionierten mit dem Rekordhalter in Pleiten: dem Karstadt-Konzern. Weil Internet total geil, haben Sie ihr E-Commerce auf Intershop aufgesetzt, weil das bei Konkurrent Otto schon nicht funktionierte. Suuper Idee. Als dann die Twin-Towers zusammengefallen sind, hat sich die komplette Quelle-VIP-Riege auf ihre Finkas verkrochen, nicht dass ihnen Bin-Laden noch nen Jet aufs Hirn schmeißt. Da war niemand mehr erreichbar. Entsprechend hat es dann noch bis 2009 gedauert, bis der Laden dicht war.

Da war’s dann aus mit dem Weinchen im Büro.

Warum erzähle ich das? Auch die größten Firmen können problemlos zusammenbrechen, wenn die Führung mehr Interesse am Geld, als an den Mitarbeitern und dem Produkt hat. Wer sich um Produkt, Kunden und Mitarbeiter kümmert, der überlebt.

Ich warte darauf, dass solche Kartons wieder hergestellt werden:

Der ist etwa hundert Jahre alt. Funktioniert immer noch. Das nenne ich nachhaltig.

18 Replies to “Versandhandel”

  1. Das gleiche nur kleiner gab es 100 km nördlicher in Burgkunstadt mit dem BAUR Großversand. Rabatt gab es 15% für Firmenangehörige. Da arbeitete mein Vater, hat Küchen ausgefahren und aufgestellt. Eine der letzten war meine eigene.

    Aufstieg und Niedergang sehr ähnlich.

  2. In meiner Kindheit hatte ich auch vieles aus dem Quelle Katalog. Die Qualität war gut, mein Privileg Waschmaschine hielt 22 Jahre und gab vor einer Woche ihren Geist auf. Bin gerade am Gucken, welche sie ersetzen kann und auch lange hält. Miele ist ja qualitativ leider nicht mehr so das Wahre.
    Danke für den netten Einblick in die damalige Zeit Reinhard.

  3. Den Quelle-Produkten hing das Negativ-Image an, dass sie teilweise von Gefängnisinsassen der DDR hergestellt wurden.

    Heute sind die Bedingungen, unter denen viele unserer Konsumgüter in Asien gefertigt werden, auch nicht viel anders. Was sich geändert hat ist, dass nun auch die Mitarbeiter von Galeria oder Amazon – ja sogar der Paketbote – im eigenen Land ausgebeutet werden.

    Der Karton hat sich verändert, der grausige Inhalt wird trotzdem von uns gekauft, obwohl wir um dessen Herkunft und den Produktionsbedingungen wissen und dank Internet & Co eigentlich in einer viel kleineren Welt leben, wo alles dichter beieinander ist und das Interesse an Lebensbedingungen und Umweltschutz in den Herstellerländern uns mehr tangieren sollte, als den Versandhauskunden der alten Bundesrepublik.

    1. Über die Zwangsarbeit in Gefängnissen hatten wir es schon. Ein paar Zahlen. Seinerzeit haben im Westen 6000 (!) Firmen von dieser Zwangsarbeit profitiert. Von Siemens angefangen über Ikea bis Aldi. (Um nur einige zu nennen, die es noch gibt) Es gibt bis heute keinen Entschädigungsfonds. Die Zwangsarbeit im Westen dauert noch bis heute an. Umsatz 2011: 180 Millionen Euro und damit in etwa so hoch wie mit der DDR (nach Schätzung der Stasi-Behörde 200 Millionen D-Mark) Profiteure: BMW, MtU, Völkl….. Ein paar Minuten Recherche lehrt einen das Gruseln. Aber da wir ja im Orwellschen Zeitalter leben, sind das keine Zwangsarbeiter mehr, sondern Teilnehmer an Resozialisierungsmaßnahmen. Und deshalb gibt es auch keinen Mindestlohn und keine Beiträger zur Rentenversicherung…. Zum Einstieg: https://www.deutschlandfunkkultur.de/gefaengnis-gefangenenarbeit-dumpingloehne-100.html

  4. Schön geschrieben! Erinnerungen an meine Kindheit werden wach. Was gab es bei uns nicht alles von Quelle und Privileg… Ich hatte mit 18 einen richtigen Ghettoblaster, klang gut und laut, war deutlich günstiger als das Modell von Telefunken.
    Kleiner Hinweis: die Mopeds aus Österreich schreiben sich PUCH. Das hier erwähnte Faltboot aus dem Osten schreibt sich POUCH und wird bis heute produziert, wird jetzt ohne Quelle-Vertrieb verkauft und hat sich im Preis verfünffacht: https://www.poucher-faltboot.de/. Ich hatte damals auch eins, mit Besegelung, für 500,- DM erworben. Das Klepper aus Bayern kostete damals schon 2.000,- DM …
    Tja, die “gute alte“ Zeit – man kommt ins Schwärmen …
    LG, Saint-Ex

    1. Nach meiner Bundeswehrzeit habe ich im Quelle Rechenzentrum Eingang Adam-Klein-Strasse gearbeitet, 12 Std Schichten 1000DM Brutto, pro Wechselschicht 180DM Zulage (damals Steuerfrei) mit den Überstunden bin ich damals mit 1550DM Netto heim gegangen war Anfang der 70 viel Geld da hat eine 65qm Wohnung mit Balkon und Garage noch 175DM gekostet.
      Die EDV Abteilung war 2000qm groß im 4.Stock die Geräte so schwer das die darunter liegenden Stockwerke extra Abgestützt waren, damals das modernste
      Rechenzentrum weit und breit.

  5. Für mich eine faszinierend auch die Revue Spiegelreflexkameras von Quelle. Auf Klassenabschlussreise von Papa mitgenommen und die Menschen ließen sich gerne fotografieren. Immer offenblendig fotografiert, das Sucherbild wurde ja dunkel beim abblenden, was ich später erst verstand.
    Und ja im Ort gab es ein kleines richtiges Quelleladengeschäft. Objektive und Kameras – für mein Budget – recht hoch und schön in der Vitrine anzuschauen.
    Das Quelle Konkurs ging, sich nicht neu erfand bei ihrem Potenial und auch den vielen Mitarbeitern, stimmte mich damals nachdenklich.

  6. Oh ja!
    Und unsere Privileg-Microwelle (inc. Heißluft und Grill) hält glücklicherweise noch immer.
    Und wie stolz war ich in meiner Jugend auf den (längst defekten) wissenschaftlichen Taschenrechner.
    Und dann hatte Quelle meiner Erinnerung nach auch noch Stabblitzgeräte mit Tele-Vorsatz, wohl von Metz(?).

    Reinhard, Du hast ferne Erinnerungen zurückgerufen …

    Eckhard

          1. Vielen Dank für das Angebot :=))
            Das „Original“ liegt mir aber selbst vor (hatte man damals einfach) – Bilder liegen also schon vor.
            Danke + LG

        1. Der Teleblitzvorsatz ist vermutlich in einer meiner vielen Kisten – wenn ich mal bis dahin grabe, kann ich vom Televorsatz ein Foto machen.

    1. Oh ja, da wird einiges aufgeweckt!
      Ich kann mich auch dran erinnern, dass damals in den 70ern Olympus damit geworben hat, dass die Kameras nur im Fachhandel unter der Marke Olympus verkauft werden. Bei Quelle gab’s eine Kamera, die einer der Kompakten von Olympus zum Verwechseln ähnlich gesehen hat. Einziger sichtbarer Unterschied war der Namenszug „Revue“ 😉
      Womit wir wieder beim Ausgangspunkt wären …
      Einer meiner Mitschüler war Unterhosen-Model bei Quelle. Seine Eltern arbeiteten dort. Ein hartes Los für einen Jugendlichen, wenn die Mitschüler ihn immer in weißem Feinripp vor Augen haben.

  7. Ja, aufm Land kamst du in den 70ern nicht an Quelle vorbei. Bei uns aufm Dorf gab es: nichts. Aber den Quelle Katalog. Egal, ob Taschenrechner, Schuhe, Klamotten, Radiorecorder (!!!), Fahrrad. Die große, bunte Welt des Konsums kam damit in die kleine, graue, abgelegene Enge nach Hintertupfingen. Ach, ja…..

  8. Ja, den Quelle-Katalog kannten wir auch – war ein beliebtes Demonstrationsobjekt bei Schneidern (aber nicht immer unbedingt der aktuellste), da konnte man sich raussuchen, was es bei uns nicht zu kaufen gab und für Anfertigung als Anregung dienen sollte (besonders beliebt bei Jugendweihe- oder Tanzstunden-Abschlussball-Kleidern).
    Ziemlich abgewetzte Exemplare machten dann auch unter Hobbyschneidern (eine Nähmaschine stand fast in jedem Haushalt) ihre Runde – war eine ziemlich nachhaltige Nutzung …. nur vom Katalog – an die Katalogwaren kamen ja nur wenige ran…..

    Andy
    imnostalgiemodus

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