GfO: 180-Grad-Shutter

Das Thema Märchen und Mythen. Bei Videoleuten sind ja ganz viele „Must-Haves“ unterwegs. Man braucht Gimbals, Rigs und Schwebestative. Und natürlich einen Field-Monitor. Und ein Aufsteckmikro. Und einen Sklaven, der das ganze Zeug immer einstellt und bereit hält.

Und natürlich muss man auf den 180-Grad-Shutter achten. Also unbedingt mit dem halben Kehrwert der Framerate belichten. Also bei 1/60s mit 1/125s. Sonst macht man krass was falsch. Ich erkläre jetzt nicht, wo das herkommt, da gibt’s diesen Artikel, der das wunderbar aufdröselt. Kurze Zusammenfassung für Lesefaule: Die 180-Grad-Verschluss-Regel kommt aus analogen Zeiten, als man noch zwischen den einzelnen Belichtungen einen Weitertransport des Filmes hatte. Da musste natürlich der Verschluss geschlossen sein. Und die meisten Kameras benötigten für den Weitertransport eben 1/48s. Also konnte man nicht länger belichten als 1/48s, weil man sonst die 24 Bilder pro Sekunde nicht schaffte. Bei Kameras mit schnellerem Transport und verstellbarem Verschluss konnte man auch länger belichten. Belichtete man kürzer, wurden die Bewegungen abgehackt, weil man eine gewisse Unschärfe braucht, damit das Auge, das 70fps kann, nicht mehr einzelne Bilder wahrnimmt.

Der 180-Grad-Shutter ist also bei den digitalen Kameras ohne Verschluss – richtig. Sinnlos. (Die Gradzahl kam ja, von einem sich drehenden Kreissegment. Bei unseren Olys dreht sich nix.) Da blubbert jemand, der darauf hofft, dass die anderen nicht wissen, um was es geht. Aber halt – der Kollege vom Link sagt doch, die Regel sei gar nicht so daneben?

Jepp. Wenn man mit 24fps filmt, könnte man ja mit 1/24s filmen. (Die neuen Olys können das!) Das ist bei LowLight natürlich knorke, weil man eine Blende mehr Licht kriegt. Das Problem ist, dass bei schnellen Bewegungen eben überhaupt kein Bild des Filmes mehr halbwegs scharf ist und das sieht dann komisch aus. Eben weil wir ja 70fps sehen und unser Gehirn mit unscharfen 24fps nicht so gut klarkommt. Also nimmt man da dann 1/50s. Das verhindert, dass die Bewegungen abgehackt sind und die Schärfe reicht dem Gehirn, weil es ja auf 70fps eingestellt ist. Das hat aber nichts mit einer längst überholten Verschlussmechanik zu tun, sondern mit unserem eingebauten Rechenknecht.

Filmt man nun – aus welchen Gründen auch immer – mit 60fps – sollte man dann mit 1/125s belichten? Wozu? Kann man machen. Man kann aber auch mit 1/60s belichten. Die Bewegungen werden eine Spur flüssiger und man gewinnt eine Blende Licht. Das oben genannte „Unschärfeproblem“ hat man ja mit Belichtungszeiten kürzer als 1/50s nicht mehr.

Ich selbst filme grundsätzlich mit 1/30s und 30fps. Außer ich weiß genau, dass ich später „SloMo“ brauche. Dann mit 60fps oder, wenn ich definitiv diese Szene als Zeitlupe drehe, eben mit den 120fps der OM-1. Warum 1/30s? Simpel: Ich drehe ganz viele Dokus und Bandvideos, bei denen ich nicht immer die Gewalt über alle Lichtquellen im Bild habe. Und gelegentlich ist halt irgendwo im Hintergrund eine gepulste LED oder eine Leuchtstoffröhre. Und die flackert bei 1/60s. Gruselig. Nicht zu reparieren. (Es gibt Schnittprogramme die das halbwegs hinkriegen – aber knapp daneben ist halt trotzdem vorbei.) Die Szene ist Tonne. Wenn das ein wichtiges Interview war, ist das heftige Nagen am eigenen Hinterteil angesagt. Mit 1/30s ist das weg. Und ja, ich habe tatsächlich Bewegungsspuren bei extrem schnellen Bewegungen. Nur bewegt sich weder bei Interviews noch auf der Bühne irgendjemand wirklich so schnell, dass das auffallen würde. Und wenn der Sänger das Mikro am Kabel durch die Gegend schleudert, dann sieht ein Verwischeffekt cool aus. Es ist sogar so, dass dieser Verwischeffekt den Rolling-Shutter-Effekt kaschiert, der bei den elektronischen Verschlüssen der Videokameras auftritt.

Also: begrabt den 180-Grad-Shutter. Belichtet so lang wie möglich. Und je langsamer die Bewegungen sind, desto kürzer könnt ihr belichten (Außer ihr habt eben verdächtige Lichtquellen). Wenn ihr partout 60fps drehen wollt, checkt euer Setup dreimal! Und macht Probeaufnahmen, die ihr euch genau ankuckt. Manchmal ist die Rettung, auf 1/100s zu belichten, das hilft aber gemeinerweise nicht immer. Wenn ihr keine SloMo braucht – und wenn es keinen dramaturgischen Grund für eine SloMo gibt, dann braucht ihr sie auch nicht – dann braucht ihr auch nicht in 60fps drehen.

(Es wird von manchen Leuten gerne damit argumentiert, dass 24fps übrigens einen „natürlicheren“ Eindruck liefern als 30 oder gar 60fps. Denn durch das Flackern würde man die Realität des Filmes besser akzeptieren als mit 48fps. Dieser Unsinn kommt von einem amerikanischen Prof, der im Auftrag amerikanischer Kinos, die nicht auf 48fps umstellen wollten – kostet ja Geld – ein Gutachten erstellt hat, dass höhere Frameraten voll des Teufels sind. Er argumentiert da mit Hirnforschung. Leider ist er mit der Argumentation allein auf weiter Flur.)

Aber natürlich – des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wer Spaß dran hat, kann es auch anders machen.

Die Fotos sind übrigens aus der Moritzburg bei Dresden. Dort gibt es jeden Winter eine Ausstellung zum Film „Drei Nüsse für Aschenbrödel“ mit Originalrequisiten. Als ich vor einigen Jahren dort war, war sogar Pavel Travnicek da. Der vor genau 50 Jahren den Prinz gespielt hat. (Vom 18. bis 22.1. jährt sich der Dreh zum 50. mal, die Moritzburg macht da eine Sonderaktion.)

8 Replies to “GfO: 180-Grad-Shutter”

  1. Reinhard, wahrscheinlich hast Du den Tippfehler gleich oben im 2.Abschnitt schon bemerkt. Der Kehrwert von 1/60 ist natürlich nicht 1/125 sondern 60.
    Für mich ist der Artikel zwar technisch interessant, aber ich mache (bis jetzt) keine Videos.
    Gruß Lutz

  2. Hallo Reinhard,

    woher hast du die Information, dass das menschliche Auge 70 fps wahrnimmt?

    Ich habe im Internet verschiedene Zahlen gefunden, 22-90 fps im Wikipedia-Artikel
    „Flimmerverschmelzungsfrequenz“ (siehe mitgeschickte URL), aber auch diverse
    andere Zahlen (30-60 fps, bis zu 100 fps, usw.) in diversen anderen Internet-Artikeln.

    Laut Wikipedia ist die Flimmerverschmelzungsfrequenz auch vom Alter des Menschen
    und von der Lichtintensität abhängig. Ob sich die Flimmerverschmelzungsfrequenz
    auch im peripheren und fovealen Sehen unterscheidet?

    Ich würde gerne mehr über dieses Thema wissen, finde aber keinen vernünftigen
    Artikel im Internet. Was ist deine Quelle?

    1. Gelegentlich bin ich analog unterwegs und lese gedruckte Physiologie-Nachschlagewerke….. 😉
      Im Ernst: Jeder hat ne andere Anatomie. Es gibt auch Leute, die bei unserem 50Hz Zeilensprung-TV nie ein Flimmern wahrgenommen haben.

  3. Im Grunde habe ich das technisch alles verstanden. Ich hätte jetzt aber gedacht, dass man die Belichtungszeit entsprechend der Netzfrequenz auf 1/50 stellen sollte (auch wenn man 30fps filmt), damit es nicht flimmert. Oder habe ich jetzt etwas falsch verstanden?

    1. Das Problem ist, dass Du mit 1/50s bei 30fps jeweils zu unterschiedlichen Zeiten der Sinuswelle belichtest. Wenn Du mit 50fps und 1/50s belichtest, landest Du immer am gleichen Punkt der Halbwelle und belichtest genau eine Halbwelle lang. Damit hast Du – zumindest theoretisch – immer die gleiche Belichtung. Bei 29,97fps und 1/50s landest Du bei jedem Frame an einem anderen Punkt der Halbwelle.
      Deshalb verwende ich bei 30fps 1/30s, weil ich damit immer eine volle Halbwelle, also die volle Beleuchtung abkriege, egal zu welchem Zeitpunkt ich die Belichtung beginne. Das scheitert nur dann, wenn ich eine Lichtquelle habe, die nur jede zweite Halbwelle verwendet. Aber sowas ist mir eigentlich schon länger nicht mehr untergekommen. Und das könnte man nur mit 1/25s erschlagen.

      1. Bei 50Hz Netzfrequenz braucht es um flimmerfrei zu filmen:
        25fps: ist die Belichtungszeit egal
        30fps: 1/33.333333333s, 1/50s, 1/100s
        60fps: 1/100s

        Bei 60Hz Netzfrequenz:
        25fps: 1/40s, 1/60s, 1/120s
        30fps: ist die Belichtungszeit egal
        60fps: ist die Belichtungszeit egal

        1. Jein. Bei 1/30s und 30fps flimmert es auch nicht. Und wenn Du bei 25fps und Flimmerbeleuchtung die Belichtungszeit verkürzt, kriegst Du zwar kein Flimmern, aber Streifen ins Bild. Auch nicht nett. Das ist sensorabhängig. Bei der PEN-F und 25fps zum Beispiel fangen die Streifen schon bei 1/60s an, unangenehm aufzufallen. Gerade noch mal getestet: auch bei 30fps und 1/100s flimmert es. Bei 1/50s ist es zumindest bei meiner Testleuchtstoffröhre sauber. Aber keine Garantie, dass das bei allen so ist.

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