Ich hab ja in Hünerberg Norman kennengelernt, der mal in Calmbach bei Hittech Prontor gearbeitet hat und mir erzählt hat, dort gäbe es mitten in der modernen Firma noch das alte Firmengebäude. Das sei doch ein Foto wert, weil dort nämlich vor dem Krieg Kameraverschlüsse produziert wurden. Damals war das die Alfred Gauthier, Feinmechanische Werkstatt, Calmbach. Die Verschlüsse hießen Ibsor, Vario, Pronto und eben Prontor.
1931 hat sich Gauthier himself aus dem Geschäft zurückgezogen (Die Straße, in der Hittech Prontor liegt, heißt jetzt Gauthier-Straße) und Zeiss hat den Schuppen übernommen und dort Granatzünder produziert. Natürlich mit französischen und russischen Zwangsarbeitern. Nach dem Krieg wurde die Firma demontiert und hat sich wieder auf Kameraverschlüsse verlegt. Die Firma hieß dann Alfred Gauthier GmbH und hat 10.000 Verschlüsse täglich produziert. Die westdeutschen Zeiss-Kameras sind seit 1976 alle mit Verschlüssen aus Calmbach ausgerüstet worden.
Und dann ging das Monopoly los. 2006 hat die VTC Industrieholding die Firma von Zeiss gekauft und 2014 an die Hittech Group verkauft, die dort Medizinkram bauen lässt. Es kommt, wie es kommen muss, 2020 hat die Hittech Prontor GmbH Insolvenz angemeldet. Die Leute sollen auf Weihnachts- und Urlaubsgeld verzichten. Man wird sehen, was draus wird.
Früher hatte die Firma über 3000 Beschäftigte, jetzt noch 300. Das sieht man in Calmbach. Reihenweise vernagelte Geschäfte. Heruntergekommene Häuser. Das beste Restaurant am Platze ist anscheinend „Anna’s kloiner Hirsch“, in dem es trotz „Lockdown“ rappelvoll ist.
Gegenüber einer ehemaligen Reparaturwerkstatt, die nur noch als Abstellfläche eines Abschleppunternehmens dient und einer geschlossenen Schlosserei (Flachwitz) steht dieses Lego-Haus, flankiert von einer fußballfeldgroßen, völlig leeren, englischen Rasenfläche mit edlem, schmiedeeisernen Zaun.
In Calmbach gibt es zwei Dönerläden – einen großen und einen kleinen. Letzterer hat den definitiv kältesten Döner, den mir je jemand angedreht hat. Die Alufolie dient nur dazu, dass der Döner nicht von der Sonne versehentlich erwärmt wird. Dass der Laden überhaupt noch existiert, wirft ein Schlaglicht auf die Geschmacksnerven der Calmbacher. Also, Wanderer, so Du in Calmbach bist und Hunger hast, gehe zum Bäcker so Dir Dein Magen lieb und teuer ist.
Eine ehemalige Reparaturwerkstätte. „RTeam“. Der große Zettel in der Mitte ist eine Abbruchgenehmigung für das Haus, der kleinere Zettel links ist ein verblichener Aufkleber mit „Wer schützt uns vor den Grünen“ mit einem Motorrad und einem getunten Audi Quattro mit Heckspoiler drauf. Das Ende der Werkstatt dürfte wohl eher nicht durch den grünen Landesvater herbeigeführt worden sein.
Eines habe ich noch – auch wenn man in Calmbach unendlich fotografieren kann, wenn man auf schrägen Verfall steht. Ein Cafe aus den 80ern in ausgeblichenem Pink. Leider geschlossen. Mit den damals üblichen Stores an den Schaufenstern. Wo man hinkuckt. Aber das hier muss noch sein:
Interessante detaillierte Reportage mit Hintergrund. Da vergisst man fast, dass diese von einem Fotoprofi stammt. Text und Bilder ergänzen sich sehr gut.
Interessant……da war ich schon Jahre nicht mehr.
Als Profi kannst beim nächsten Mal in den Ochsen nach Höfen, da läuft es dir höchstens aufgrund der Preise kalt den Rücken runter……. 🙂
Gruß Uwe
Hallo Reinhard,
mal ganz ehrlich was veranlasst Dich so negativ über Calmbach zu schreiben und über die Bewohner? Kreativ wäre die schönen Dinge zu fotografieren. Die Inhaberin von Annas kloiner Hirsch bietet Essen zum Mitnehmen an um das tolle Lokal halten zu können. Ich wohne seit 2 Jahren in Calmbach und fühle mich sehr wohl hier. Bin gespannt auf Deine nächste Veröffentlichung und was Du alles Schönes hier findest.
Grüße Petra
Hallo Petra,
Ich habe den Artikel nochmal durchgelesen. Ganz ehrlich. Wo habe ich jetzt was Negatives geschrieben? Das Cafe Peter ist doch zu, oder habe ich da irgendwas falsch verstanden? Metzgerei Bühler – verrammelt. Gasthaus zur Sonne – nur die Sonne hängt noch dran. Schlosserei Tubach – eingeschlagenes Fenster. Beim „kloinen Hirsch“ haben mir die Leute gsagt, sie würden da jeden Tag Essen gehen, das Essen wäre prima. Also „erstes Haus am Platz“. Rappelvoll war es auch – es tut mir leid, das war halt so. Die beiden waren zu zweit schwer am Brutzeln. Die Geschichte von Prontor kann man überall nachlesen. Ich verstehe, dass Du Dich dort wohlfühlst. Aber ich hatte eben andere Eindrücke. Aber wir können einen Deal machen: Wenn die Pandemie vorbei ist, zeigst Du mir das schöne Calmbach. (Vielleicht ist bis dahin auch die riesige Grube vor eurem Kindergarten wieder zu. Das Relief davor finde ich übrigens interessant. Das linke Mädchen wirft dem rechten, tieferstehenden Mädchen den Ball voll auf die Nase. Die kippt schon nach hinten, ein Fuß in der Luft. Rein fotografisch interessant, weil das Relief sehr bewittert ist und deshalb schwer zu fotografieren. Vor allem, wenn man nach Mittag dort ist, weil das dann im Schatten liegt. )
nun, wenn man deine kulinarische Bewertung bierernst durchliest,
kann man evtl. auch rauslesen, das die komischen Hinterwäldler in Calmbach sich einen feuchten um die Lockdown-Regeln scheren und trotzdem zum Hirschen speisen gehen.
Und das sie sich den kältesten Döner des Landes andrehen lassen, anstatt mit dem Gaumen abstimmen und die Dönerbräter des Landes verweisen 🙂
Im Kontext des ganzen Artikels passt es aber noch, in meinen Gehirnwindungen jedenfalls………..
Gruß Uwe
Kann man rauslesen. Kann man. Problemlos.
😀
Also als erstes das Café Peter ist seit über 10 Jahren zu! In Calmbach gibt es insgesamt 3 Döner Buden. Das Legohaus mit den Rasen gehört einer sehr gut betuchten Familie . Ja es gibt viele Flecken die nicht schön sind aber statt man sich richtig informiert sucht man lieber solche stellen und schreibt ein mist zusammen. Wenn man sucht kann man jede Ortschaft schlecht hinstellen.
Ich bin da jetzt etwas irritiert, wie aggressiv Calmbacher sind, ich habe die Leute dort eigentlich als nett und freundlich erlebt. (Etwas arg sorglos, was Corona betrifft, aber sehr nett.) Dass das Cafe Peter seit ewig zu hat, sieht man. Habe ich was anderes behauptet? Und ich weiß, dass es mehr als eine Döner-Bude hat. Aber ich werde die Bude nicht mit Namen nennen, die Calmbacher werden wissen, welche ich meine. Dass die Legovilla keine Unterkunft für Arbeitslose Ex-Hittech-Mitarbeiter ist, sieht man – und ich glaube, ich habe das auch nicht behauptet. Und über Geschmack kann man streiten. Wir haben hier in der Oberpfalz auch solche Leute – https://pen-and-tell.de/2017/07/und-das-geld-geht-durch-den-kamin-oder-so/. Da habe ich auch drüber berichtet. Inwiefern ich „Mist“ geschrieben habe, hat mir allerdings noch niemand der aktiven Calmbacher hier erklären können. Allerdings scheine ich einen Nerv getroffen zu haben.
Ich weiß, dass man sich ungern von einem Dahergelaufenen sagen lässt, dass man ein Infrastrukturproblem hat. Aber seht’s mal so: Für einen Hobbyfotografen – und für die schreibe ich hier – sind Neubausiedlungen und neue Supermärkte eher nicht so spannend. Abgeranzte Hauseingänge, in denen sich Altpapier stapelt, vernagelte Scheiben, abgemeldete Schrottautos – oder eben auch Villen in abgefahrenen Farben – dagegen deutlich mehr. Und Fotografen sind immer hungrig – und da empfehle ich, außerhalb von Corona, den kleinen Hirsch und während der Pandemie die Bäckerei, aus der es lecker geduftet hat. Und wenn ihr es schafft, das Cafe Peter wieder aufzumachen – idealerweise genau in dem Zustand, in dem es ist, in diesem späten 70er-Charme, dann bin ich der Erste, der dort ist, fotografiert und begeistert berichtet.
Euren kleinen Konflikt finde ich richtig spannend. Jeder der mit offenen Augen durchs Leben geht – und das trifft wohl auf die Leser dieses Blogs besonders zu, wird das Gefühl kennen, dass er einen längst vertrauten Ort, beim ersten Besuch ganz anders wahrgenommen hat.
Ich bin in Berlin-Kreuzberg aufgewachsen und lebe nun in Berlin-Neukölln. Schaue ich mir Fotos aus dem Album meiner Eltern oder Großeltern an, dann habe ich oft den Eindruck als wäre das eine ganz andere Welt, obwohl ich selbst auf den Bildern präsent bin. Viel krasser ist das noch, wenn ich mir Bilder von Journalisten aus den 70iger-Jahren anschaue. Dann bekomme ich entweder den Eindruck im Ghetto aufgewachsen zu sein oder in so einer künstlichen Retortenstadt. Gerade Architekturaufnahmen aus der Gropiusstadt, dem Hansavietel oder dem Märkischen Viertel kommen, heute betrachtet, echt komisch rüber.
Ich habe mich oft gefragt woran das liegt. Die Häuser sind ja eigentlich unverändert. Mich wundert doch immer sehr, wieviel das Beiwerk doch so ausmacht. Die Anzahl der Autos und deren Design hat sich geändert. Die Leute tragen nicht nur andere Kleidung, sondern bewegen sich anscheinend auch anders darin. Die Holzbank ist einem designten Stadtmöbel gewichen, aus dem Cafe wurde im besten Fall ein Backshop. Man könnte meinen die Stadt hat eine ganz andere Farbe – unabhängig von irgendwelchen Filmemulsionen. Veränderungen die man selbst gar nicht wahrgenommen hat. … und ja, manchmal tut es auch weh.
Der Blick durch ein Objektiv macht dem Namen keine Ehre, ist fast ausschließlich subjektiv. Klar, kann ich als Fotograf entscheiden, welche Stimmung ich einer Reportage gebe. Der Hobbyfotograf und selbst der Knipser macht das sogar manchmal unbewusst. Ich finde es spannend, wie andere Leute mein vertrautes Umfeld wahrnehmen. Was nützt es mir, wenn da irgendwas gedreht wird – wäre ja nicht ehrlich und ändert auch nichts. Ich bin auf die Eindrücke Fremder angewiesen, weil ich es nicht mehr schaffe mich so zu resetten, dass ich meine Umgebung mit ihren Augen wahrnehmen könnte.
Das ist diese Geschichte mit der prinzipiellen Subjektivität von Fotografie und Journalismus. Man kann immer nur einen Ausschnitt darstellen. Und es ist schon eine Leistung – weil es oft intensive Recherche erfordert – auch nur innerhalb dieses Ausschnitts halbwegs objektiv zu sein. Man kann prinzipiell nicht alle Facetten eines Sujets erfassen – und selbst wenn, kriegt man sie nicht in den vorhandenen Platz. Ich habe mir im Rahmen dieses „Beefs“ überlegt, wie ich reagieren würde, wenn jemand über Rocksdorf oder Pyrbaum einen solchen Artikel schreiben würde. Der die dunklen Ecken thematisiert. Die gibt es natürlich. In Pyrbaum den alten Wisent, ein denkmalgeschütztes Wirtshaus,das vor sich hinfault. Oder das eine Haus am Oberhembach, das, seitdem die Bewohnerin rausgestorben ist, von den Kindern dem Verfall preisgegeben ist. Neubaugebiete, denen wundervoller Wald weichen musste. Geschlossene Gastwirtschaften. Ein leerstehendes Loft, das früher ne Disko war und das seit Jahren auf einen neuen Besitzer wartet. Der Verfall ist hier oft nur hinter der Fassade und noch nicht mal fotogen wie in Calmbach.
Würde ich da böse reagieren? Ich glaube nicht. Ich habe selbst diese Themen hier im Ort thematisiert und bin heilfroh, wenn es andere gibt, die das ebenfalls thematisieren. Denn vom Wegkucken wird es nicht besser. Und wenn jemand vom Ort den Mund aufmacht, dann wird der als Nestbeschmutzer gedisst. Ein Aussenstehender hat es leichter – und oft auch mehr Wirkung. Denn die Leute sind dann doch darauf bedacht, wie man draußen in der Welt wahrgenommen wird. Denn schließlich kann eine Gemeinde nur dann leben, wenn Geld von außen hineinkommt. Solange nur große Supermarktketten das Geld aus der Gemeinde hinaustransportieren, wird die Gemeinde immer ärmer. Ein „gemeindliches Handelsbilanzdefizit“ kann kleine Orte sehr schnell ruinieren.
Es lohnt wohl doch, hin und wieder anzuhalten, und nicht nur durchzufahren. Vor wenigen Wochen haben wir in der Gegend Urlaub gemacht. Calmbach (Flammerie, sehr zu empfehlen), Höfen (Café Blaich), Bad Wildbach etc. Von den Motiven, die Du oben beschreibst und zeigst, haben wir natürlich nichts gesehen. Ok, das nächste Mal!
Calmbach ist überall.
Für Firmen die einer Region und ihren Menschen arbeit und damit Lohn und Brot boten ist es Schade. Es ist vermutlich wie im vorderen Odenwald auch.In der Wirtschaftswunderzeit wurde gearbeitet und Geld verdient. Es wurde viel gereist (Wer konnte) und viel gebaut.
400 Selendörfer hatten 2 Gaststätten, die durch Ausflügler und Reisebusse jedes Wochenende gerammelt voll waren. Die Servicehilfskräfte rannten bis in die Morgenstunden. Das Geld gab es ohbe Sozialleistungen Cash auf die Hand.
Ab den 80 ließ das nach, es wurde nix mehr in die Wirtshäuser gesteckt.
In den 90er fing man an zu Jammern, ach geht’s uns so schlecht , usw.
Es sagt aber keiner, was er in dieser Zeit alles in Immobilien, Baugrundstücke, Pacht, etc investiert hat. Das mit unter jedes Familienmitglied zwei und mehr Häuser/Mehsfamilienhäuder besitzt.
Im vorderen Odenwald/Bergstraße, an Amerikanische Militärs vermietet. Hier wurde an Führungskräfte vermietet und es wurde jeder (Wucher) Mietpreis bezahlt.
Viele aus dieser Zeit sind bis in den Kern Kerngesund und zum Teil stinkreich.
Der Rest macht die Behördliche Auflage für den Gastronomen kaputt.
Ein Beispiel. Leipzig Universitäts Stadt.
Altbau Hochhauskomplex, 11 Stockwerke, 98 Wohneinheiten, leerstehendes Gebäude.
Kaufpreis 650000 €. Kernsanierung mit KVW Gelder.
Aus einer 4 1/2 Zimmerwohnung mit 120 Quadratmetern, werden 2 Zimmer und eine 1 Zimmerwohnung gemacht.
Als alles fertig war wurde es für teures Geld an Studenten vermietet.
Zuhause in der alten elterlichen Gaststätte bricht bald das Dach ein.
Heppenheim, alte Gaststätte, umgebaut zu Wohnraum.
Vermietet als Sozial und Asylantenheim, oder in der Nähe der Altstadt Luxusaniert für 15€ / m2 .
Das Geld ist da und wird dort wo es etwas zu verdienen gibt gewinnbringend investiert.
Muss ja nicht Zuhause vor der eigenen Tür sein.
Grüße Wolfgang
Ich hab ja mal in Calw gewohnt und in Pforzheim. Ich kann mir ja nicht vorstellen, dass in Calmbach jemand anhält, außer an den Ampeln. Ich selbst hab es auch nie, man empfindet das eher als Hindernis auf seinem Weg.
Das ist eben ein Durchgangsdorf Richtung Pforzheim oder Freudenstadt oder um in Bad Wildbad Urlaub zu machen.
Da ist das Dörfchen Siehdichfür interessanter und auch schöner gelegen.
Du hast das schon recht Objektiv getroffen.