Über Amateurfotografie

Der größte Kritiker der deutschen Fotokultur hat mit „letzter Tinte“ noch einen rausgehauen.
https://photomocking.wordpress.com (Update 2020: Der Blog ist Offline)
Seit Jahren schreibt er regelmäßig in lästerlichem Stil Binsenweisheiten und Allgemeinplätze und haut die selbigen dem geneigten Amateurfotografen um die Ohren.
Kann man machen.
Man kann aber auch versuchen, dem vielgeschmähten Amateurfotografen beizubringen, wie das nun geht, mit der Fotografie.
Ich habe das im Auftrag von Olympus 7 Jahre im Oly-Forum gemacht, als einer der „bezahlten Moderatoren“ von denen man ja angeblich nichts erwarten darf. Und mittlerweile zehn Jahre lang als Betreiber des – werbefreien – oly-e.de, das ich bis heute aus eigener Tasche zahle und das mich in den zehn Jahren etwa 15.000 Euro gekostet hat.  Und zwar, ohne meine Arbeit zu rechnen. (Nur zur Unterstellung, man würde sich mit Foren eine goldene Nase verdienen – meine Nase ist noch nicht golden.)

Seit eineinhalb Jahren gebe ich Fotokurse. Keine Workshops. Kurse. Da versuche ich den Leuten an einem Wochenende beizubringen, wie sie ihre Kamera bedienen müssen und wie sie kreativ werden können. Das geht natürlich nicht, meistens schaffe ich es gerade, die Menüoptionen verständlich zu machen und im praktischen Beispiel zu zeigen.
Die Kurse speziell zu Kreativität dagegen werden entweder nicht gebucht, oder ich muss dann doch wieder Kamerabasics erklären.

Woran liegt das? Es liegt nicht etwa an den trotteligen Fotoamateuren, die auf die Versprechungen einer Fotoindustrie reinfallen. Es liegt schlicht und ergreifend daran, dass man sein Werkzeug beherrschen muss, damit man damit kreativ werden kann. Wenn man nicht weiß, wie eine Kettensäge funktioniert, wird das mit dem Baumfällen nix. Und im Zweifel sägt man den falschen Baum um.
Die Kamera zu beherrschen setzt aber voraus, dass man damit übt. Dass man Zeit hat, damit zu üben. Und dass man ganz viel falsch macht und korrigiert wird. Auch das kostet Zeit. Und erfordert Frustrationstoleranz.
Ein Anfänger ist stolz wie Bolle, dass er einen Sonnenuntergang sauber fotografiert hat. Und dass er das im Menü versteckte Programm für Sonnenuntergänge gefunden hat. Das zeigt er im Forum und erhält dann freundliche Kommentare wie „schönes Bild“ oder von Deppen wie mir ein „OK, Belichtung und Weißabgleich passt, aber das mit dem Motiv müssen wir noch üben.“.

Der Mensch geht gerne den Weg des geringsten Widerstandes und bevorzugt natürlich lobende Kommentare – ist beim oben verlinkten Hüter der wahren Fotografie nicht anders. Kritik anzunehmen ist ein Ding – sie umzusetzen ein Anderes. Speziell bei Anfängerfotografen scheitert das gute Bild an einem simplen Grund:
Die Kamera wird nicht beherrscht. Es passiert mir dauernd, dass Kursteilnehmer simpel an der Bedienung des OK-Knopfes und der vier Pfeiltasten außenrum scheitern. Ich kann die Kamera einhändig und blind bedienen. Andere brauchen eigentlich drei Hände und eine Flasche Baldrian dafür.  Das liegt nicht daran, dass die Kamera so kompliziert ist oder die Leute größere oder kleinere Hände hätten. Es fehlt einfach die Übung. Und wenn die Kamera nicht beherrscht wird, macht nicht der Fotograf die Fotos, sondern die Kamera. Entsprechend sind die Bilder.

Die Kritik an den dummen Amateuren, die auf die doofe Fotoindustrie reinfallen und das Netz mit miesen Bildern fluten, ist billig. Genauso wie die Kritik an kratzenden Geigenschülern, klimpernden Pianisten und Punkrockern, die nur drei Griffe können. Man wird gut, wenn man übt. Wenn man 200k Bilder von allem möglichen Mist geknipst und sich jedesmal einen abgebrochen hat, um selbst das zwanzigste Bild vom Geburtstagskuchen möglichst gut zu machen, dann kann man langsam mit der Kamera umgehen und hat Chancen, sich an kreative Fotografie zu wagen.
Erst wenn die Kamera als kreative Verlängerung des Gehirns wahrgenommen wird, kann man Bilder machen, die über das blanke Ablichten der Wirklichkeit hinausgehen.
Nur – dafür gibt es keine Fotokurse. Schon gleich gar nicht an einem Wochenende. Genau dafür gibt es das, was man eine „Lehre“ nennt. Man muss drei Jahre lang jeden Tag an der Kamera üben – und es steht jemand daneben und pfeift einen zusammen, wenn man wieder Ameisen in den Fingern hatte. Wer Fotografie gelernt hat, ist noch kein toller Fotograf – aber er beherrscht zumindest sein Handwerkszeug.
Bei den „Amateuren“ ist es nicht anders. Es gibt „Fotoverrückte“, die nicht ohne Kamera denkbar sind und Andere, die nur im Urlaub zur Knipse greifen. Der eine übt jeden Tag drei Stunden, der andere spielt einmal im Jahr auf dem verstimmten Klimperkasten „Stille Nacht, Heilige Nacht“.

Das große Problem ist, dass die Workshop- und Fotoindustrie diesen Faktor „Übung“ schlicht ausblendet. Man verspricht „Mit der neuen Oh-My-God-Mark-Vierzehn können Sie so supertolle Fotos machen, wie unser Botschafter Frisco Paris“. Nein. Kann ich nicht. Mir fehlt das Budget von Frisco. Und der Wille solche Plastikwelten abzulichten. Und jemand anders kann nicht, weil er gar nicht weiß, wie er die Blende kontrollieren kann. Weil ihm niemand gesagt hat, dass er das 3,5-5,6-Zoom bei 14mm auf 3,5 stellen muss, damit er immer mit Offenblende fotografieren kann – und es nichts hilft, bei 42mm auf 5,6 zu stellen – obwohl das auch dort Offenblende ist. Und der deshalb immer im Porträt-Modus fotografiert, weil da in der Anleitung steht, dass die Kamera immer die Blende ganz aufmacht. Klingt nach albernem Anfänger? Ich habe ein dreiviertel Jahr meine Zeitungsfotos so gemacht. Ich kam aus der analogen, mechanischen Fotografie, da gab’s dieses Problem nicht, dass Automatiken Dinge gemacht haben, ohne mir zu sagen, was.

Die Workshops sind nicht besser. „Die renommierte Werbefotografin  Norma Al-Di weiht sie in die Geheimnisse der Porträtfotografie ein“.  Quark. Wenn die Kursleiterin Geheimnisse hat, wird sie einen Teufel tun und die verraten. Meistens geht es um Allgemeinplätze, was nur deshalb nicht auffällt, weil die Kursteilnehmer so mit ihrer Kamera beschäftigt sind, dass sie gar keine Zeit haben, genau zuzuhören, was die da vorne von sich gibt.

Das Problem ist also, wie kann man Menschen dazu bringen, zu üben? Und zwar so lange, bis der Knipskasten als kreativer Handfortsatz wahrgenommen wird? Garantiert nicht, indem man sich über sie lustig macht. Ich habe es versucht, indem ich Handbücher geschrieben habe, die diese Knipskästen erklären, Anwendungen für Automatiken beschreiben und Fotosituationen anregen. Fail. Die Bücher werden gekauft, aber nicht gelesen. (Kleine Info: Das sind keine Nachschlagewerke, die man zur Hand nimmt, wenn man ein Problem hat. Die sollte man erst lesen, und dann fotografieren. Und fotografieren. Und fotografieren. )

Auf meinen Kursen zeige ich den Leuten, was in ihrer Knipse steckt – fast alle haben meine Bücher vorher gekauft, manche haben auch darin gelesen – und ich höre immer wieder „Ahhhh – jetzt macht das Sinn!“. Ja. Weil wir an diesem Wochenende fotografieren. Bei unterschiedlichstem Licht und in unterschiedlichsten Situationen. Eigentlich genau das, was man zuhause auch machen kann. Klar, wenn man im Team fotografiert, macht das mehr Spaß und man kann Dinge machen, die man allein nicht machen kann. Und es hat nicht jeder ein großes Studio zuhause. Aber die Kamerabedienung, die kann man zuhause üben. Wenn es einem wer sagen würde, dass das notwendig ist.

Ich sehe Verkaufsanzeigen auf oly-e.de. „E-M1II mit 2800 Auslösungen wegen Wechsel zur Panasonic G9 zu verkaufen“. Sorry Leute – wenn ihr in einem Jahr mit eurer neuen Knipse keine 3000 Bilder gemacht habt – wozu habt ihr die Kamera gekauft? Wenn ich ein Buch über eine Kamera schreibe, mache ich in einem Vierteljahr mindestens 15.000 Bilder. Um die Kamera halbwegs zu beherrschen. Und ich bin mit den Oly-Kameras auf vertrautem Fuß, ich muss also nur noch die Eigenheiten des spezifischen Modells rausfinden.

Mir wird immer wieder gesagt „Ich habe keine Zeit zu üben“. Ausrede. Dass man nicht rund um die Uhr Schlagzeug üben kann – OK, Aber eine mFT-Knipse mit 14-42, 17mm oder FishCap kann man immer dabei haben. Immer. Auf dem Weg zur Arbeit, beim Spaziergang, beim Essen, beim abendlichen Blick aus dem Fenster oder sogar in der Badewanne. Motive sind egal. Es geht darum, dass ihr die Bedienung der Kamera übt. Jede einzelne Menüoption. Niemand spielt gerne Czerny-Etüden. So what? Gehört einfach dazu. Und irgendwann klappt’s halt auch mit dem Liszt – und dann fallen die Zuschauer von den Stühlen.

Also, Auftrag an euch: Übt. Fotografiert.

Wenn ihr die Kamera im Schlaf beherrscht, dann ist euer Geist frei, Bilder zu denken.

Und dann zeigt diesen „Ach sind die ganzen Fotoamateure unfähig“- Bloggern, wo der Hammer hängt….

PS: Zum Thema Fotoforen schreibe ich demnächst was. Ich bin wahrscheinlich der berüchtigste Mod der deutschen Olympus-Forenwelt und denke, ich bin einer der „Insider“, die von den Hütern der deutschen Fotokultur gerne ohne Namensnennung zitiert werden. Wird eine längere Abhandlung, dauert etwas, bis die fertig ist…

2 Replies to “Über Amateurfotografie”

  1. Hallo Reinhard,
    habe lange nichts mehr gelesen im oly-forum und auf oly-e auch net.
    Dann gibst ein paar Überraschungen. Aber nun zum Thema.
    Klar sprichst du aus Erfahrung, aber sag mal welche Hobbyfotograf kann denn deine Vorgaben einhalten zur sicheren
    Bedienung? Also 15000 klicks in sechs Monaten macht pro Monat schlapp 2500 und so um die 80 Bildchen pro Tag.
    Also hast du mir jede Hoffnung genommen, jemals den Anfängerstatus zu knacken. Selbst wenn ich meine EM-5 permanent bei mir habe krieg ich das nicht hin. Selbst in meinen aktiven Olyforumstagen kriegte ich so viele Bilder nicht hin. Vielleicht hätte ich ja mal einen Kreativkurs belegt aber bis ich meine Kamera mit verbundenen Augen bedienen kann vergehen noch Jahre. Und dann ist sie vielleicht defekt. Dann gibts eine neue ja da muss ich ja dann wieder von vorne Anfangen.

    1. Hallo Thomas,
      80 Bildchen pro Tag? Wo ist das Problem? Ich brauche vier Bilder für ein Stück Kuchen. Sechs Bilder für ein paar unterschiedliche Versionen eines Sonnenunterganges. Wenn ich Personen fotografiere brauche ich für ein Porträt mal locker 100 Bilder bis der Gesichtsausdruck perfekt ist. Um ein simples Herbstblatt zu fotografieren kann man fünf verschiedene Brennweiten, acht Perspektiven und sechs Bildmodi ausprobieren bis wirklich das Beste Bild dabei rausgekommen ist. Ja, wahrscheinlich interessiert sich keine Sau für dieses Foto – aber man hat daran gelernt. Ich habe beim Gassigehen mit dem Hund jahrelang die Kamera dabei gehabt und gefühlt tausend Bilder einer Birkenallee gemacht. Ein paar Fotos dieser Birkenalle haben es sogar in Bücher geschafft und die meisten in den digitalen Papierkorb. Aber nur durch Praxis lernt man. Probier’s einfach selber. ich habe eine Zeitlang Wurst und Käse fotografiert. Tausende von Bildern. Und jedes musste anders aussehen und dem Geschmack der Wurst und des Käse entsprechen. Probier das mal. Fang einfach an, das zu fotografieren, was Du täglich isst, so dass es dem Geschmack und dem Geruch entspricht. Das ist anspruchsvoll… Man lernt….

Schreibe einen Kommentar zu Reinhard Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert