*ismus für Fotografen

Fotografen arbeiten mit Symbolen und Klischees. Warum? Weil sie nur ein Bild haben um eine Situation auszudrücken. Also müssen Teile des Bildes für Informationen stehen, die der Fotograf vermitteln will. Eine Person kann und wird nur nach dem Äußeren beurteilt werden – denn die wenigsten können an einem Bild erkennen, ob dieser Mensch nun nett oder ein Arsch ist.

Wenn ich als Fotograf ein Model für ein bestimmtes Bild auswähle, tue ich das bewusst nach dem Äußeren des Models um meine “Message” dem Zielpublikum verständlich zu machen. Ob das nun Kunst oder Werbung ist, ist egal, ich kann mich als Fotograf nicht von meiner Zielgruppe abkoppeln.

Wenn ich ein Muskelpaket in Springerstiefeln, Glatze, Lederjacke und Tattoos ablichte, dann ist sofort klar – ich will einen Nazi zeigen. Im Feinripp-Unterhemd am dreckigen Frühstückstisch mit Bierflasche – klar, Unterschicht-Proll. Im Anzug mit Krawatte und Nerd-Brille vor der Oper: Hipper Jungunternehmer. Kleider machen Leute.

Ich war mit achtzehn dunkelhaarig und sonnenverbrannt und wurde deshalb als Türke angesehen. Abends allein Straßenbahn fahren war ein Abenteuer, wenn die Kartoffeln auf Krawall gebürstet waren.

Ich hatte Anfang der 80er lange Haare. Richtig lang. Löwenmähne. So lang, dass Porschefahrer der Meinung waren, an der Ampel mal locker Kontakt zur Heckstoßstange meiner Ente suchen zu müssen (Daher kommt der Ausdruck “bumsen”.) Neben den Haaren hatte ich auch Bart, so dass die Gesichter der Möchtegerncasanovas unbezahlbar waren, wenn ich mich umdrehte. Fernfahrer hupten, wenn ich mit dem Rücken zur Fahrbahn am Straßenrand saß.

Anfang der 80er lief in Bayern ziemlich viel schwerbewaffnete Polizei rum und ich sage euch eines: eine Polizeikontrolle mit nem Dutzend Beamten mit Uzis im Anschlag macht keinen Spaß. Und ich wurde immer kontrolliert. Immer. Einmal saß ich als Beifahrer bei einem Kumpel im Käfer, wir wurden rausgewinkt, ich wurde kontrolliert, der Fahrer nicht. Im Gegenteil, mir wurde erklärt, das sei wenigstens ein Auto. Die kannten mich und meine Ente schon.

Ich hätte dem ganzen Trouble entgehen können, wenn ich meine Haare geschnitten, mir einen VW Polo zugelegt und mehr Sonnencreme benutzt hätte. “Racial Profiling” und “Sexismus” sind nur für Menschen Fremdwörter, die das noch nie selbst ausprobiert haben.

Aber man lernt dabei, dass Frauen Freiwild sind und Dunkelhäutige unter Generalverdacht stehen – und ebenfalls Freiwild sind, wenn die anderen ne komfortable Überzahl haben. Und ja, das “macht was mit einem”.

Zurück zur Fotografie. Ich weiß, dass es extrem schwer ist, um Klischees rumzufotografieren. Weil wir Klischees brauchen, um Bildaussagen zu transportieren. Aber wir sollten versuchen, vorhandene Klischees nicht noch zu verstärken. Das ist zwar einfach und damit billig – aber müssen wir Frauen als frei verfügbare Sexobjekte inszenieren? Schwarze wahlweise als urtümliche Afrikaner oder unheimliche LowKey-Staffage?

Frauen bleiben Frauen, auch wenn sie sich die Haare abschneiden. Die können aus dieser Haut nicht raus, wie ich es konnte. Schwarze haben das gleiche “Problem”. Sie stecken zeitlebens in ihrer Haut und müssen damit klarkommen, dass sie manche Dinge, die für uns Weiße kein Problem sind, nicht machen können. Dass sie nachts nicht durch die Straßen rennen sollten. Am besten überhaupt nie. Außer am Sportplatz. Lockeres Jogging notfalls noch.

Als Fotografen MÜSSEN wir uns die Hautfarbe unserer Models ankucken. Weil wir die Belichtung einstellen müssen. Den Weißabgleich. Die Umgebung. Wir können nicht darüber hinwegsehen oder es vorgeben. Genauso wie wir uns die Figur von Menschen ansehen müssen. Das hat nichts mit Bodyshaming zu tun – wir müssen hinkucken und darauf reagieren. Das ist unser Job. Aber lasst uns versuchen, Menschen fern vom üblichen Schema zu inszenieren. Der Persönlichkeit näher zu kommen. Oder, wenn schon Klischee, dann gegen den Strich.

In der Fotografenszene sind immer wieder mehr oder weniger nackte Frauen mit indianischem Häuptlingsschmuck zu sehen. Diese Bilder gewinnen sogar Wettbewerbe. Diese Bilder sind unsensible Verhöhnungen der amerikanischen Ureinwohner. Denn der Häuptlingsschmuck ist keine “Folklore” sondern ein Ehrentitel. Indianer – um sie mal so zu nennen – werden noch heute übelst diskriminiert und zählen zur ärmsten Bevölkerungsgruppe. Ihr letztes bisschen Stolz noch zu ruinieren muss echt nicht sein. Denn sie können sich nicht wehren.

Rassismus und Sexismus ist ein Riesenthema in der Fotografie. Stellen wir uns dem. Rassismus fängt nicht beim KuKluxKlan an und Sexismus nicht in der Pornoindustrie. Ja, es gibt Schwarze, die den Rassismus zu ihrem Vorteil ausnutzen und es gibt Frauen, die sich den Sexismus zunutze machen, um Männer über den Tisch zu ziehen. Gibt es. Aber den Allermeisten hängt der Scheiß einfach zum Hals raus.

Warum ich immer wieder darauf rumreite? Weil ich wieder von eigentlich ganz vernünftigen Leuten sexistische und rassistische Sprüche gehört habe. Die diese Sprüche reißen, wenn sie in einem Umfeld sind, in dem sie sich sicher fühlen. Man wird ja noch sagen dürfen… Klar darf man. Jeder darf sich so schlecht benehmen, wie er will.

Jeder kann so sexistische und rassistische Fotos machen, wie er will. Aber genauso kann ich darauf hinweisen, dass das keine wirklich gute Idee ist. Und man vielleicht mal drüber nachdenkt, wie man Menschen knipst. Wir brauchen – siehe oben – Klischees um unseren Punkt zu machen. Aber wir sollten eben versuchen, das Klischee nicht zu übertreiben. Wir haben genug Probleme damit, dass sich die Grenze zwischen zulässigem Klischee und unzulässigem *ismus dauernd verschiebt und auch je nach Zielgruppe unterschiedlich liegt.

(Es gibt da diese berühmte Geschichte eines schwarzen Wirtes, dem die Antirassisten nicht glauben wollten, dass er der Chef ist, sie forderten den weißen Ausbeuter zu sprechen, der da den armen Schwarzen vorschickt. Rassismus hat eben viele Gesichter…..)

Es gibt keine allgemeingültige Definition, was OK ist, was nicht. Daran scheitert Facebook seit Jahren. VW hat mal einen Spot veröffentlicht, bei dem eine weiße Hand einen Schwarzen von einer Tür weggeschnippt hat. Weil das gerade so ein Trend war, Videos wo eine Hand irgendwelche Typen wegschnippt. So wie die Kamahema-Bilder, die 2013 das Netz geflutet haben und dann so schnell wieder verschwunden sind, wie sie gekommen sind.

Ist dieses Foto, wo ein Mann eine Frau “weg-kamameht” sexistisch? Sollte man es besser andersrum machen?

Oder ganz drauf verzichten?

Ich will hier jetzt nicht in die Trans-Diskussion einsteigen, nach der Geschlecht eine soziale Fiktion ist. Ich denke, der Punkt ist, man sollte das Foto auch “andersrum” denken. Wenn das Foto auch mit einer anderen Person funktioniert, dann passt es. Denkt einen weiblichen Akt mit einem Mann. Das Foto eines Schwarzen mit einer Weißen. Tauscht eine junge Person gegen eine alte Person aus. Und umgekehrt. Ich habe Fotos in Ausstellungen gesehen, bei denen weibliche, weiße Insassen eines südafrikanischen Altenheims fotografiert wurden. Aufgebrezelt und mit schiefem, viel zu grellem Lippenstift, unpassenden Klamotten und jede Falte verstärkt. Hätte der Fotograf einen jungen, schwarzen Mann, genauso fotografiert? Wo ist der Punkt?

Oft sehe ich Fotos von Kindern, die im Dreck spielen. Souvenirs aus der dritten, vierten, fünften Welt. Würdest Du das Foto auch veröffentlichen, wenn es die eigenen Kinder wären? Es ist nicht das Sujet, das daneben ist. Es ist die Darstellung. Man kann den Menschen ihre Würde lassen und trotzdem seinen Punkt machen.

7 Replies to “*ismus für Fotografen”

  1. Ein heikles Thema. Vor ein paar Jahren hatte ich die Ehre (das Wort steht hier ganz bewusst) eine Hochzeit zu fotografieren. Soweit erstmal nix Ungewöhnliches und bis dato auch schon unzählige Male gemacht. Hier war es anders. Ganz anders. Die Zeremonie fand weder im Standesamt noch in einer christlichen Kirche statt. Ort des Geschehens war eine zur Moschee umgebaute ehemalige Tiefgarage in HH St. Georg. Die jungen Brautleute waren Freunde eines jungen Afrikaners aus meinem Fotokurs der mich bat, statt seiner die Hochzeit zu fotografieren. Ich war der einzige Nichtmuslim unter den ca. 100 Menschen in der Moschee und dazu auch noch der einzige Nichtafrikaner. Alle, inklusive Iman, waren sehr aufgeschlossen mir gegenüber und dennoch hatte ich zunächst ein Gefühl der Unsicherheit weil mir meine “Alleinstellungsmerkmale” in dieser Umgebung sehr bewusst waren.
    Auch auf der anschließenden Feier in einem riesigen Saal durfte ich die Hochzeitsgäste in all ihrer Farbenpracht fotografieren. Auch hier war ich der einzige Nichtmoslem und der einzige Mensch mit heller Hautfarbe. Es war genau umgekehrt wie es afrikanische Menschen hier in Deutschland oft erleben…ich war die absolute Minderheit. In jeder Beziehung.
    Diese Stunden haben mich nachdenklich und demütig gemacht. Ich habe erfahren, dass obwohl alle freundlich und höflich mir gegenüber waren, in mir doch das Gefühl immer vorhanden war, dass ich anders und in der absoluten Minderheit war. Mein Respekt vor Menschen, die das täglich erleben und fühlen in unserer Gesellschaft ist an dem Tag noch einmal größer geworden.
    Soweit ein paar Gedanken die mir beim Lesen des Artikels in den Kopf kamen.
    Gruß aus HH
    Achim

  2. In meinen Radfahrkursen nehmen Menschen jeglicher Hautfarbe teil und ich versuche in der Regel von den ersten selbstgefahrenen Runden auf dem Platz ein Erinnerungsfoto zu machen. Möglichst unauffällig damit ich nicht störe. Das heißt mit Zoom, festem Fokuspunkt auf dem Display, und den versuche ich beim Auslösen auf dem Gesicht (SAF) zu halten. Drei/vier Versuche und ich habe normalerweise eine Aufnahme, die ich mit etwas Beschnitt postkartengroß ausdrucken kann. Normalerweise, denn wenn ich ein dunkelhäutiges Gesicht vor der Linse habe, säuft das ganze Gesicht im Schatten ab und die Aufnahme ist unbrauchbar. Das ist mit der OM-1 richtig auffällig. Bei der E-M1 und der E-MII hatte ich da noch weitgehend korrekte Belichtungen, aber gerne mal einen zu langsamen Fokus. Bei der OM-1 muss ich mindestens 0,3, eher 0,7 Blenden überbelichten, damit ich eine korrekte Belichtung bei dunkelhäuftigen Gesichern bekomme- egal ob bei Einzel- oder Gruppenaufnahmen. Sehr unbefriedigend, da dann natürlich die Gesamtbelichtung nicht mehr stimmt und die hellhäutigen noch heller werden..
    Wer programmiert sowas?

    1. Das Geheimnis heisst Lichtmessung und damit sind die Programmierer der Belichtungsmesserei in camera (das ist nämlich Reflexionsmessung) komplett aussen vor. Kleines Einmaleins des Handwerks.
      Lichtmessung geht entweder klassisch per Handbelichtungsmesser oder “Ersatzmessung” auf einen blauen, der Sonne gegenüberliegenden Himmel, eine Rasenfläche, eine Asphaltfläche (sofern nicht frisch gegossen) oder Gehwegplatten, Handinnenfläche plus 1 bis 1,3 EV, weisses Blatt Papier plus 2.5 EV … und fix einregeln

  3. Sehr guter Artikel Reinhard,

    hat mich tatsächlich zum nachdenken angeregt. Also auchmal etwas weiter zu denken. Vielen Dank dafür.

    grüße

    Wolle

  4. Wir sind heute aus Brooklyn zurückgekommen. Wir haben zwei Wochen dort in einer kleinen Wohnung gelebt, haben in den kleinen Geschäften um die Ecke eingekauft, nachts in einer Bar gesessen, in die ich mich in Deutschland nie reingetraut hätte. Wir haben pro Tag vielleicht fünf Weiße gesehen, aber Tausende Menschen vieler verschiedener dunklerer Hautfarben. Wir sind überall freundlich aufgenommen worden und haben uns nie als Außenseiter gefühlt. Natürlich habe ich keine “Street”-Fotografie gemacht!
    Und dann der Gegensatz:
    Freitag abend gab es im Rahmen der “Concerts in the Park” – absolutely free for all (!) – ein Konzert des New York Philharmonic Orchestra im Prospect Park, zehn Minuten Fußweg von unserer Wohnung. Und dort: 95 % Weiße und ein Einsprengsel anderer Farben. Gibt einem zu denken …

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