GfO: Bokeh und Sensorgrößen

Wieder mal ein Grundlagenartikel, weil ich es wieder hier in den Kommentaren gelesen habe…

Das Bokeh und die Größe des Sensors haben was genau miteinander zu tun? Nichts. Bokeh produziert das Objektiv. Und dem ist es egal, was für ein Aufnahmemedium dahintersteckt.

Damit könnte der Artikel rum sein, aber wenn man das Fass schon aufmacht kann man auch ein bisschen Hintergrund ausbreiten. Vielleicht verlinkt ja dann jemand auf den Artikel, wenn in einem Forum oder von einem Influencer mal wieder Unsinn erzählt wird.

Bokeh geht angeblich auf das japanische Wort „boke“ zurück. Ich habe in meiner Meisterschule anno 2010 geschrieben, das wäre „buke“, bin dabei aber auf eine englische Ausspracheverfälschung reingefallen. Denn natürlich sagen die coolen Fotografen „bokay“. Manche kommen auch mit einer Art „Bouquet“ daher. Korrekt ist einfach „Boke“. Hart und kurz. Johnston hat die Schreibweise 1995 erfunden weil die Amis bei „Boke“ das „E“ verschlucken.

Was ist das nun? Der Wikipedia-Artikel dazu ist umfangreich und ziemlich aussagelos. „Nix gwiies waas ma net“.

Bokeh ist ein Begriff, der die subjektiv empfundene Form der Zerstreuungsscheiben eines Objektivs bschreibt. Und zwar ausschließlich in dem Bereich, in dem die Zerstreuungsscheiben als solche sichtbar sind.

Es gibt kein messbares Bokeh. Wäre mal eine Maßnahme, eine Maßeinheit für Bokeh zu erfinden. „Das 40-150 f/2,8 pro hat ein Bokeh mit 17,8 Rymann, abgekürzt „Ry“. Das 150mm f/2 „Fässchen“ hat dagegen 47,3 Ry und kann auch bei Blende 5,6 noch mit 28 Ry glänzen. “ Ein Ry ist das Produkt aus einem Rodriguez (Maß für die Annäherung an die Kreisform, integriert über den Bildkreis) kurz „Ro“ und der Randunschärfe des Kreises „Ni“. Ry=Ro*Ni.

Spaß beiseite. Bokeh wird durch das Objektiv produziert. Und der Fotograf ist dafür zuständig, dass er Hintergrund und Vordergrund in entsprechendem Abstand von der Schärfeebene platziert, damit das Objektiv ausreichend große Zerstreuungsscheiben produzieren kann. Und dass da auch entsprechende Lichtquellen im Hintergrund sind, die sichtbare Zerstreuungsscheiben produzieren.

Denn, Bokeh ist nicht das Gleiche wie Hintergrundunschärfe aka Tiefenschärfe. Ein Bild kann im Hintergrund komplett matschig und strukturlos sein – aber keinerlei Bokeh zeigen. Es braucht deutliche Helligkeitsunterschiede, damit Bokeh überhaupt sichtbar wird.

Warum gibt es immer Streit ums Bokeh? Weil das Geschmackssache ist. Der eine findet Bokeh mit hartem, dünnem Rand -Seifenblasenbokeh – total knorke, der zweite will unbedingt ausgeprägtes Katzenaugenbokeh wegen des daraus resultierenden „Swirls“ um die Mitte und der Dritte will kreisrundes, an den Rändern weiches Bokeh über die gesamte Bildfläche haben, weil Bokeh für ihn kein Motiv ist.

Was ist nun „Gutes“ Bokeh?

Eben.

Und wie war das mit der Sensorgröße?

Ich habe es selbst erlebt, dass ein Nikon-Influencer vor drei Dutzend Profifotografen erzählte, dass Kleinbild total toll sei – weil die Nikon-Kleinbild-Knipsen ein besseres Bokeh hätten. Simultanes Kopfschütteln im Auditorium. Die gemittelte Aufmerksamkeit ging daraufhin rapide zurück.

Wo kommt nun diese Geschichte her, Kleinbild würde ein besseres Bokeh produzieren?

Es ist die übliche Nummer: Je größer der Sensor, desto länger werden die Brennweiten für den gleichen Bildwinkel. Gleicher Abstand, doppelte Brennweite, gleiche Blende, doppelter Zerstreungskreisdurchmesser. Die Schärfentiefe hängt vom Abbildungsmaßstab ab. Gleiche Entfernung, doppelte Brennweite, doppelter Abbildungsmaßstab. (Das ist die Nummer, die OMDS bis zum Erbrechen reitet „Ja, bei Kleinbild hätte unser Objektiv den doppelten Abbildungsmaßstab“. Nein. Hätte nicht. Der Abbildungsmaßstab hängt nicht vom Sensor ab, sondern vom Objektiv. Wenn ich ein 1:1 Kleinbildmakro an eine mFT-Kamera schraube, dann hat das Makro auch an mFT einen Abbildungsmaßstab von 1:1. Ja, das Motiv wirkt im Bild größer – ist es aber nicht.)

Das Titelbild ist aus dem 150mm f/2. Schraube ich nun ein 150mm f/2 an einen Kleinbildsensor und verändere sonst nichts, ist das Mädel auf dem Sensor viel kleiner und viiiiel Bokeh außenrum. Sieht doof aus, also gehe ich näher ran. dadurch verändere ich mehrere Dinge: Die Schärfentiefe geht auf die Hälfte zurück. Der Abbildungsmaßstab wird verdoppelt. Die Perspektive und damit der Hintergrund ändert sich. Die Zerstreuungsscheiben werden doppelt so groß.

Hier sieht man sehr schön: unten produzieren Lichtreflexe auf dem Wasser die klassischen Bokeh-Scheiben, oben ist klassische Unschärfematsche. Das ist ein Problem, wenn die Zerstreuungsscheibchen zu groß werden, dann löst sich ein Hintergrund ohne Spitzlichter komplett auf. Manche mögen’s, andere sagen sich, dann kann ich das Bild auch gleich im Studio machen, wenn ich vom Hintergrund nichts mehr wahrnehme.

Bokeh ist also auch mit FT/mFT problemlos zu produzieren, wenn man sich um Spitzlichter im Hintergrund kümmert, die einen ausreichenden Abstand haben.

Gleiches gilt übrigens auch für Kleinbild. Auch da braucht man Spitzlichter im Hintergrund. Nur werden die halt doppelt so groß bei vergleichbarer Bildkomposition. Wenn man nun die beiden Bilder hier nimmt und die Kreise verdoppelt, dann kann man drüber diskutieren, ob das schöner ist. Anders.

Gerade beim zweiten Bild wird das schwierig. Das ist 150 f/2. Um das gleiche Bild mit Kleinbild zu produzieren bräuchte man 300mm f/4. Dann sind aber die Zerstreungsscheibchen theoretisch exakt genau so groß. (In Wirklichkeit sind sie etwas größer, weil lange Brennweiten eine größere Hintergrundunschärfe produzieren.) Ich habe nun ein Monsterobjektiv mit 300mm f/2 und siehe da, vom Gesicht ist nur noch die Hälfte scharf, dafür lösen sich die Zerstreungsscheiben in weiße Matsche auf. Nehme ich dagegen wieder ein 150mm f/2, dann muss ich auf die halbe Entfernung ran und die Zerstreuungsscheiben werden größer – und, mehr. Weil sich meine Perspektive ändert und ich auf einmal mehr Reflexe im Bild habe.

Habe ich nun mit einem Kleinbildsensor schöneres Bokeh? Manchmal. Manchmal auch nicht. Kommt wie üblich darauf an, was man draus macht.

Was wirklich interessant ist: Ich habe jetzt tausende altere Bilder seit 1866 durchgesehen. Obwohl die damals wirklich große „Sensoren“ gehabt haben, habe ich nirgends Bokeh gesehen. unscharfen Hintergrund, ja. Motiv freigestellt, ja. Das erste Bild mit sowas wie Bokeh stammt von 1953:

Typischer „Swirl“. Bokeh ist wohl eher so ein neuzeitliches Phänomen…. Denn natürlich hatten die Trioplane schon damals das Seifenblasenbokeh – nur war das nicht gewünscht. Man wollte Motive abbilden – nicht Objektivfehler.

12 Replies to “GfO: Bokeh und Sensorgrößen”

  1. Wieder ganz toll erklärt und beschrieben. Alles sehr detailliert. Liest man anderswo so nicht. Wie wäre es mit einem Lehrstuhl für angewandte Fotografie? 🙂

  2. Ich muß solche wertvollen Erklärungen immer mehrmals lesen und dann eigene Gedanken dazu formen.
    Also vielen Dank Reinhard, das mein uraltes Gehirn durch deine Berichte verjüngt wird.

    Bei dem was von sogenannten Influenzern verbreitet wird bekomme ich meist Vorzeichen beginnender Demenz…

    LG Panomatic

  3. Den Satz
    „Das Titelbild ist aus dem 150mm f/2. Schraube ich nun ein 150mm f/2 an einen Kleinbildsensor und verändere sonst nichts, ist das Mädel auf dem Sensor viel kleiner und viiiiel Bokeh außenrum.“
    finde ich etwas unglücklich formuliert, denn das Mädel ist auf dem Kleinbildsensor nicht kleiner! Nur wenn man das gesamte Bild betrachtet, wirkt es kleiner, weil jetzt „viiiiel Bokeh außenrum“ dazu gekommen ist.

    1. Jepp. Das ganze korrekt zu formulieren bei wechselndem Bildwinkel und wechselnder Sensorgröße und wechselnder Sensorauflösung und so – eigentlich müsste man das alles mit einem Dutzend Bilder illustrieren. Vielleicht mache ich da ein Kapitel im Praxisbuch draus.

  4. Na ja, die Sensorgröße spielt zumindest insofern eine Rolle, indem das sogenannte Vollformat die Objektivfehler eines meinetwegen Biotars vollständiger abbildet, als es dasselbe Objektiv adaptiert an MFT vermag. Dort fallen die Fehler an den Rändern weg. Ich habe gerade den Biotar-Klon 1. 5 75 mm von TTArtisan in der Reissn, da macht dann etwa der Lensturbo von Zhongy Sinn, den ich dafür extra erwarb. Die Linse wird etwas schneller, und der Bildwinkel großzügiger, und ich hab mehr Swirly Bokeh, wenn ich es denn will. Nehme ich einen normalen M 42 Adapter, schaut das alles anders aus. Natürlich bestimmt der Fotograf mit den Abständen zu Hauptmotiv und Hintergrund und letztlich das Licht die Art oder Qualität von Unschärfe. Das muss er eben wissen und können.

  5. Moin,
    ich finde diese Boke-Nummer wird ueberbewertet. Mich interessiert eher was in den korrekt foussierten Bereichen des Bildes zu sehen ist. Meist stoert mich das Boke sogar eher. Mach z.B.: mal ein das formatfuellendes Portrait von einem Kamelkopf (aus der Gruppe der Trampeltiere, nicht die der Hirnis) und versuche Nase und Augen, eventuell sogar die Ohren scharf abzulichten. Das was ich nicht im Bild haben will versuche ich eher durch Wahl von Brennweite und Perspektive aus dem Bild zu verbannen anstatt es zu „vermatschen“. Natuerlich ist das alles Geschmacksache.

    Gruss,
    Dirk

  6. Das Thema ist ja nicht zuletzt deswegen so „schwierig“, weil der Boke(h)-Begriff in der Sprachpraxis nicht einheitlich verwendet wird. Ich erinnere mich noch gut, wie damals, als er so vor ca. 20 Jahren auch im deutschsprachigen Umfeld mit der beginnenden Popularität digitaler Systemkameras vermehrt aufkam, einige Kommentatoren immer wieder zu Recht darauf hinwiesen, dass er die „Qualität“ der Unschärfe bezeichnet, nicht die „Quantität“, und dass jene „Qualität“ auch in erster Linie Geschmacksache sei und insoweit nicht wirklich messbar. Im realen Sprachgebrauch konnte sich das aber wohl nicht so recht durchsetzen; nach meinem Eindruck versteht der überwiegende Teil des Publikums unter Boke(h) zumindest „auch“ die „Quantität“ der Unschärfe – und ich muss gestehen, ich finde es auch selbst schwierig, beide überhaupt sauber zu trennen.

    Bei Vergleichen über Formatgrenzen hinweg wiederum scheint mir generell einer der Knackpunkte zu sein – wie auch Achim K’s Beitrag andeutet –, zwischen den bildlichen Dimensionen auf dem Sensor und den bildlichen Dimensionen im fertigen Bilderzeugnis auf Papier oder Monitor unterscheiden. Am Ende interessiert ja nur letzteres. Fotografieren kann man ja auch gänzlich ohne zu wissen, welche Abmessungen irgendein Sensor überhaupt hat. Daher auch die „äquivalente“ Angabe von Abbildungsmaßstäben, bei denen es eigentlich gar nicht um Maßstäbe, sondern um Bildausschnitte geht. Wie bei der äquivalenten Brennweite um Bildwinkel und darüber auch wieder um Bildausschnitte…

  7. Als fotografischer Laie und Fast-DAU habe ich Bokeh nie richtig verstanden. Nach den letzten drei Sätzen des Artikels fühle ich mich gar nicht mehr sooo doof…. 😉

    1. Könnte man Unterschiede im Bokeh nicht einfach so erklären, daß verschiedene Objektive gleicher Brennweite, gleicher Blende und an der gleichen Kamera die unscharfen Bereiche des Bildes recht unterschiedlich wiedergeben können, was je nach Ausprägung und Geschmack einem Betrachter zusagen kann oder nicht?

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