Der alte Zeichenlehrer…

Am Samstag war mal wieder Klassentreffen. Ab einem gewissen Alter fragt man dann nicht mehr „was arbeitest Du gerade?“ sondern „Seit wann bist Du in Rente?“ Und man klebt sich Namensschilder aufs T-Shirt, damit die ehemaligen Klassenkameraden grob wissen, wer da vor ihnen sitzt.

Bei diesem Klassentreffen war Stephan J.M. Scherer dabei. Das war mitnichten ein Klassenkamerad, sondern ein Kunstlehrer an unserer Schule, den ich eigentlich nie hatte – nur einmal in einem freiwilligen“Aquarellkurs“ nachmittags. Ich bin da hin, mit Papier und Aquarellfarben und völlig ohne Plan, gewohnt, vom Zeichenlehrer ein Thema vorgegeben zu kriegen und dann mit schierer Zeichenfitzelei und freier Assoziation meine volle Punktzahl abzusahnen.

Der Typ setzte mich vor mein Papier und sagte „Mach mal“. „Hä? Wie? Thema?“ „Nein kein Thema. Hau einfach Farbe aufs Papier und sieh, was sich daraus entwickelt.“ Ich klatschte Farbe aufs Papier, es entwickelte sich was und am Ende hatte ich ein abstraktes Dingens gebaut, mit dem ich tatsächlich irgendwie klar kam. Nix für die Ewigkeit, aber für meine augenblickliche Stimmung sehr passend. Ich bin dann nie wieder hin, weil ich für’s erste genug gelernt hatte und er mir zu verstehen gegeben hatte, dass er mir keine Aquarelltechniken beizubringen beabsichtigte.

Mit genau diesem Freak habe ich ich dann eineinhalb Stunden unterhalten. Er hat mir von seiner Mutter erzählt, von seinen Versuchen, als Künstler in der Nürnberg/Fürther Szene Fuß zu fassen und schließlich hat er mir ein Bild eines seiner neueren Werke verehrt und es handsigniert.

Da ja seine Mutter seinerzeit die Straubinger Künstlerszene aufgebaut hat, ist er dort immer noch präsent und stellt dort vom 10.8 bis 18.8 im Rittersaal aus.

Was die Acadiane mit ihm zu tun hat? Das war der fahrbare Untersatz, mit dem er 1981 an seinen Arbeitsplatz im Dürergymnasium getuckert ist. Er hat mir gestanden, dass er vor der Acadiane drei Enten gefahren hat, nach der Acadiane einen R4, bei dem nach ein paar Wochen der Motor explodiert ist und er ab diesem Zeitpunkt Fahrrad gefahren ist.

Das Foto habe ich seinerzeit gemacht, weil ich schon damals Fan dieser Autos war.

Warum ich überhaupt davon erzähle?

Weil ich dazu anregen will, dass man sich selbst in unserem Alter noch mit älteren Leuten unterhält. Wir sind zwar jenseits der 60 oft der Meinung, schon Altersschrulligkeit in Anspruch nehmen zu dürfen, aber da gibt’s immer noch Leute, die ein paar Jahre mehr auf dem Buckel habe – Scherer ist Jahrgang 47 – und von denen man selbst in unserem Alter noch spannende Dinge erfahren kann. Wenn man die einfach mal erzählen lässt und sie ernst nimmt. In dem Fall habe ich nicht etwa klassentreffentypisch mit den Jugendsünden geprahlt, sondern einfach zugehört. Und viele neue Dinge erfahren. Einen anderen Lebensentwurf, neue Facetten an gemeinsamen Bekannten. (Ich kannte den Direktor ja im Wesentlichen als „Feind“ wenn der wieder die Schülerzeitung abnicken musste, in der ich natürlich in jeder Ausgabe versuchte, weiter nach links zu rücken.)

Und dass er Dinge, die für mich prägend waren, (Scherer hat mal an einem Bartwettbewerb der lokalen Tageszeitung mitgemacht. Und neben dem Foto auch gleich Barthaare mitgeschickt – der hatte seinerzeit eine 25cm lange Matratze) überhaupt nicht mehr erinnerte.

Dinge werden schnell vergessen. Versuchen wir sie festzuhalten. Auch mit der Kamera, ja, aber oft muss auch Ton und/oder der Stift herhalten.

7 Replies to “Der alte Zeichenlehrer…”

  1. Hi Rheinhard, leider habe ich den letzten FolyFos-Livestream verpasst.
    Es wäre prima, wenn Peter beim nächsten Livestream wieder einz Objektiv vorstellen könnte?
    Wie wäre es mit einem FT-Objektiv?
    Wann glaubst du, dass du die früheren FolyFos Livestreams auf Youtube stellen wirst?
    Mit freundlichen Grüßen,
    Hartmut

  2. Tolle Geschichte, euer Klassentreffen und deine Begegnung mit dem noch etwas gereifteren Kunstpädagogen… Mein Lieblingslehrer aus der Realschule ist schon so lang ich lebe immer 20 Jahre älter als ich 😉 … Das Gute: erlebt bis heute, erfreut sich guter Gesundheit und vor allem: geistiger Strahlkraft! Bis vor drei Jahren sind wir noch zusammen Motorrad gefahren, jeder auf seinem Moped. Dieses Jahr jährt sich bei uns der Realschulabschluss zum 50 Mal. Ich habe mich auf den Weg gemacht, ein paar Nadeln (versprengte Klassenkameraden) im Heuhaufen (das Universum) zu suchen und zu finden. Ein paar wenige haben sich schon gefunden. Im Oktober wird es ein historisches 50er Klassentreffen geben. Zwei ehem. Lehrer haben schon zugesagt. Und das aller Coolste: Eine Klassen- und Abschlusskameradin hat zehn Jahre lang diese unsere Schule geleitet. Ich freue mich schon sehr darauf, der Vergangenheit und der Gegenwart zu begegnen – auch auf die ganz Alten! Und werde meine E-M10 Mk.2 mit dem 9-18er mitnehmen ;-).

  3. Wir hatten einen Musiklehrer, der auch in diese „Spezialkategorie“ passt. Er hat versucht, uns u.a. Bob Dylan, The Who, Frank Zappa ect. nahezubringen. Bei mir hat das geklappt, ich habe sogar angefangen, Gitarre zu spielen. Er setzte sich z.B. damals im Musikraum ans Klavier und hat mal kurz gesanglich 1A(!) den John Fogerty (CCR) gegeben. Dieser Lehrer hatte eine Band damals, hieß, glaube ich, „The World“. Und: Seinen roten VW-Porsche habe ich heute noch vor Augen, wenn ich an diese Zeit denke…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert