Es ist eine uralte Geschichte und jeder, der mal in der Schule Bildanalyse betrieben oder in einem Museum sehr genau erklärt bekommen hat, was sich der Künstler denn da gedacht hat, kennt die Diskussion: Was war zuerst da: Die Interpretation oder das Kunstwerk. Ich war immer ein Verfechter der Theorie, dass hinter einem Kunstwerk oft viel weniger steckt, als mir der Kunstpädagoge erklären wollte.

Nun bin ich selber reingefallen. Ich habe von meiner Lieblingskünstlerin folgendes Kunstwerk auf einer Ausstellung gesehen:

Nur falls jemand fragt, wozu man diese alberne Photostory brauchen kann, die Olympus-Kameras früher drin hatten. Für sowas. (Früher gab’s auch mal in der OIS die Möglichkeit, ne Photostory zu bauen. Ja. Früher war alles besser. Es gibt Firmen, bei denen das nächste Produkt mehr Möglichkeiten hat – und Firmen, bei denen das nächste Produkt weniger Möglichkeiten hat.)

Meine Assoziation war sofort eine Rotationsdruckmaschine. Zeitungsdruck. Irgendwie hatte ich noch ein Logo im Hinterkopf, das ähnlich aussah. (Aber ich glaube, das war ein Symbol für Papierstau im Drucker.) Als ich dann zuhause die Bilder durchsah drängte sich eine andere Assoziation auf: ein Patronengurt mit eingesteckter Munition. Für mich ein perfekter, künstlerischer Kommentar zur augenblicklichen Situation in Deutschland.

Ich bin extra noch mal in die Ausstellung gefahren um die Photostory zu machen. Und siehe da, die Künstlerin stand gerade im Gespräch mit einem anderen Besucher vor dem Werk.

Ich habe sie darauf angesprochen, was Sie sich dabei gedacht hat. Antwort: Nichts. Sie fand die Wellpappe so cool und wollte was damit machen.

Meine Assoziationen fand sie interessant. So sei das eben, Kunst werde unterschiedlich wahrgenommen.

Das Bild hing übrigens nicht isoliert im Raum. Direkt daneben war das hier:

Titel: Maulkorb.

Das Bild wiederum war durchaus aktuell gemeint – und für mich hat es eine noch viel unmittelbarere Aktualität. In Kombination sah das so aus:

Und ja, die Stellwand war „ein bisschen“ verschrampelt. Die Ausstellung fand in Scheunen und ehemaligen Schweineställen statt.

Das ganze ist eine alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung von Werken von Dorfbewohnern, die ich fotografisch seit fast 20 Jahren begleite.

Das hier waren die Künstler im Jahr 2007. Einer davon ist mittlerweile beim bayerischen Rundfunk Moderator. Was ist der Gag an dem Bild? Es ist freihand mit der E-500 und dem 40-150 3,5-4,5 gemacht und hat 7833×7327 Pixel. Knapp 58 MP. Man kann auf den Armbanduhren die Zeit ablesen. 2007 hat man HighRes-Shots ein bisschen anders gemacht…

Die Künstlerin der obigen Bilder ist übrigens die Einzige, die nicht in die Kamera kuckt, dabei habe ich eigentlich ausreichend Kasperle gemacht, da oben am Balkon.

Das ist übrigens auch eines ihrer Werke. Ich bin ihr im Gedächtnis geblieben, weil ich mich da vor dem Kunstwerk auf den Boden geworfen habe um es von unten zu fotografieren. Und ja, dass die Zuschauer dem Müll den Rücken zuwenden, gehört dazu – nur um mal zur Bildinterpretation ein paar Hintergrundinfos zu geben. Das Bild ist von 2007. 2009 gab es dann einen anderen Kommentar:

Das ist „Kalle, der Leiharbeiter“, der hier mit der Semmel in der Hand den Kunstcontainer bewacht – und auch er wird von den „dunkelgrauen Herren“ nicht beachtet. Wegschauen war schon 2009 „en vogue“.

Am Freitag habe ich dann ein langes Interview mit der Künstlerin geführt. Ich bin mit der kompletten Kameratasche hingefahren und Block und Stift und LS-P4. Und nichts davon habe ich gebraucht. Wir haben zwei Stunden über die Entstehung von Bildern gesprochen. Über Rezeption durch Publikum, über Krieg und Frieden – und darüber, dass das Bild mit der Wellpappe, das auf der Ausstellung noch „Ohne Titel“ war, jetzt „MG“ heißt.

Und ja, sie hat es mir bestätigt. Die meisten Besucher gehen an ihren Werken vorbei, bemüht, nicht hinzukucken. Wenige bleiben davor stehen, und die Leute, die Aussagen verstehen und hinterfragen, sind an einer Hand abzuzählen.

Sie hat mir eine Geschichte erzählt, die ihr auf einer Ausstellung passiert ist. Sie hat da einen „Stuhlburger“ ausgestellt. Ein Stuhl, darauf so einen Hamburger als Kissen. Darauf wieder einen Hocker. Nur eben die „Brötchen“ des Burgers durch die Stühle ersetzt. Kleines Schild dran mit Titel des Kunstwerkes und Künstlerin. Kommt ein Besucher daher, nimmt den Hocker runter, zerlegt den Hamburger und prüft die Konsistenz der einzelnen Kissen. Fragt Sie „Was genau machen sie da?“ „Meine Frau da hinten bräuchte ein Kissen, der Stuhl ist so hart.“ …

Da ist man dann geneigt, dem Hausmeister, der die Fettecke von Beuys weggeputzt hat, doch keine unterdurchschnittliche Bildung zu attestieren. (Die Story um die Fettecke ist übrigens erst vor wenigen Jahren zu Ende gegangen. 2014 wurden die Reste zu einem Schnaps destilliert. Auch um diesen Schnaps gab es noch Stress….)

Am Ende geht es um Respekt, um Bildung und Achtsamkeit. Gegen „meine Angebetete hat nen kalten Hintern.“

Zum Titelbild: Das ist ein Porträt der Künstlerin, das ich 2007 gemacht habe. Da habe ich alle für die Künstlerlebensläufe abgelichtet, die sie aufgehängt haben. Wie das halt so geht: Wir sind alle da, komm und knips uns. Habt ihr Hintergrund? Nö. Braucht man sowas? Habt ihr wenigstens ein Betttuch? Jo. Wie gesagt, das war 2007. Die Fotos sind heute noch in Verwendung….

4 Replies to “Bildkritik”

  1. Wenn die Ausstellungsstücke sich in einer Ecke des Ausstellungsraums
    befinden, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie von den
    Besuchern als Nutzgegenstände/Müll betrachtet werden, die man einfach
    in der Ecke abgestellt hat. Mögliche Schlussfolgerung der Besucher:
    Keine Kunst.

    Die Fettecke wurde erst vier Jahre nach der Installation entfernt.
    Warum hat es so lange gedauert? Hat der Hausmeister es vier Jahre
    lang übersehen oder war es ein neuer Hausmeister, der schlecht/nicht
    eingewiesen wurde? (Grüße an alle Firmen, die die neuen Mitarbeiter
    schlecht oder gar nicht in den neuen Arbeitsplatz einweisen. 😉 )
    War die Fettecke nicht beschriftet/beschildert?

    Abgesehen davon:
    Die Künstler müssen nicht (genau) wissen oder erklären können,
    was ihre Werke bedeuten, sondern die Betrachter/Konsumenten
    müssen durch diese Werke zum Nachdenken angeregt werden.

    1. „Die Künstler müssen nicht (genau) wissen oder erklären können,
      was ihre Werke bedeuten, sondern die Betrachter/Konsumenten
      müssen durch diese Werke zum Nachdenken angeregt werden.“
      Absolut korrekt. Deshalb ist in diesem Zusammenhang die unkorrekteste aller Fragen: „Was will uns der Künstler damit sagen?“

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