Ich mache mich ja seit Jahren über Marketingfails von Kameraherstellern lustig. Mit Genuss. Jetzt räume ich gerade mal wieder mein Chaos auf und dabei ist mir die „Literaturen“ vom Dezember 2000 in die Hände gefallen. Kennt keiner? Das war mal, laut Wikipedia, die einflussreichste Literaturzeitschrift Deutschlands mit einer Auflage von 80.000 Exemplaren. Zum Vergleich: Chip Foto Video hat derzeit eine Auflage von etwa 27.000 Exemplaren.
Die Literaturen ist innerhalb von zehn Jahren auf 15.000 Auflage geschrumpft, dann bei Cicero untergeschlüpft und schließlich still und leise verschwunden.
Was habe ich nun mit der Zeitschrift zu tun? Ich habe damals da drin eine ganzseitige Anzeige geschaltet:
Das Foto habe nicht ich gemacht, und ich bin auch nicht drauf. Das ist ein Stockfoto, das die Agentur ausgegraben hat. Denn, wie man das als Vorstandsvorsitzender so macht, das hat die Agentur ausbaldowert, der Marketingchef hat seinen Servus draufgeknallt und zack, war das Konto um 10k DM kleiner. Und ich habe das Heft mal kurz auf den Tisch gekriegt, „kuckst Du, total wichtig“. Ich habe mir gedacht? „Literaturen? Nie gehört.“ Kunststück, das Ding gab’s da ja erst drei Monate. Aber die Agentur kennt sich sicher aus.
Nö.
Der Effekt der Anzeige war exakt Null. Nach einem Artikel in der ‚ct lief der Server heiß und ich bin immer noch stolz darauf, dass ich ihn ohne Ausfall durch den Sturm gebracht habe. Aber die Anzeige in der Literaturen war im Log beim besten Willen nicht zu erkennen.
Klassischer Marketingfail.
Ich habe in den folgenden Jahren, auch nachdem wir von einem Investor um 5 Mios beschissen worden waren und deshalb das Konstrukt „AG“ liquidieren mussten, keinerlei Anzeigen mehr geschaltet und mich komplett auf Mundpropaganda verlegt. Das hat wunderbar funktioniert. Das Geschäft ist organisch gewachsen, ich konnte davon leben.
Warum ich irgendwann das Geschäft wieder eingestellt habe? Das hatte mehrere Gründe: mein Server im Rechenzentrum hat nach zehn Jahren langsam die Grätsche gemacht und die Jungs dort haben sich geweigert, noch mal so eine Kiste mit einem uralten Filemaker drauf in ihre Racks zu lassen. Ich hätte also meine komplette EDV neu schreiben müssen. Und ich hatte einfach keine Lust mehr, vergriffene Bücher zu machen. Ich habe dann versucht, das funktionierende Geschäftskonzept irgendwem zu geben, dass der sich damit ne Existenz aufbauen kann, aber jemand, der International Rights Management, Datenbankprogrammierung, Layout und Buchherstellung beherrschte – oder zumindest lernen wollte, war nicht aufzutreiben. Fachkräftemangel halt.
Also wenn ich mich über unfähige Marketeers amüsiere, dann auch deshalb, weil ich selbst mal solche Leute bezahlt habe, die richtig, richtig Geld versenkt haben. Und ich damals live und in Farbe erlebt habe, wie diese Mechanismen funktionieren. Oder, genauer, eben nicht funktionieren. Und was tatsächlich bei erklärungsbedürftigen Consumer-Produkten funktioniert.
Eines der wichtigsten Dinge bei Marketing ist Produkt, Markt und Kundenkenntnis. Die meisten Marketingfirmen können Marketing, haben aber von Produkt, Markt und Kunden keine Ahnung. Woher auch. Das muss man ihnen beibringen. Wenn nun die Marketingabteilung der eigenen Firma auch keine Ahnung vom Produkt und vom Kunden hat sondern ihre Produkte an eine selbsterfundene Zielgruppe verkaufen will, und mit der Agentur spricht, die auch keine Ahnung hat, dann trifft halt Not auf Elend.
Dazu kommt noch, dass Marketingagenturen sich „Budgets“ genehmigen lassen. Die lassen sich unterschreiben, dass sie eine halbe Million zur Verfügung haben und dafür machen sie dann Aktionen. Die werden zwar noch mal zur Genehmigung vorgelegt, aber gekostet haben sie dann schon, auch wenn sie gestoppt werden. Und oft sagt man dann, ach Scheiß drauf, die Kohle ist eh schon flöten, dann ziehen wir den Mist halt durch. Externes Marketing ist die Pest. Seltene Ausnahmen bestätigen die Regel.
Zum Titelbild noch ein Wort: Wir haben seinerzeit auf der Buchmesse ne Pressekonferenz gemacht, mit allem Pipapo inklusive Canapés. Und die Agentur wollte Flyer drucken und Kugelschreiber und Feuerzeuge und den ganzen Plastemüll. Die Bleistifte haben sie durchgedrückt – 5000 Bleistifte in Schwarz durchgefärbt. Beste Qualität, mit orangenem Logo. Nur leider ohne Webadresse, Name, irgendwas. Vorteil: die kann ich heute noch ausgeben. Stückpreis: Eine Maak. Dann war die Frage, was anstelle der Kugelschreiber an die Journalisten in der Pressekonferenz ausgegeben werden soll. Ich habe dann gesagt „Wir machen Bücher, also ein Buch. In unserer Qualität. 500 Jahre haltbar. Ein Notizbuch. In Leinen gebunden.“ Die Agentur hat daraufhin Gestaltungsvorschläge gemacht, ich habe alle in den Mülleimer, jetzt sind da innendrin Karos, ein Lesebändchen, alle paar Seiten ein Zitat zu Literatur und Büchern und ansonsten kann man das Buch einfach als sehr, sehr haltbares Notizbuch verwenden. Ein in Leinen gebundenes Buch wirft man nicht weg und es geht auch nicht kaputt. Ich weiß von Journalisten, die die Bücher noch Jahre verwendet haben, einer hat mich sogar mal angeschrieben, ob er noch eines haben könne, seines wäre voll. Die Kosten: Ein Buch kostete so viel wie drei Canapés.
Weißt Du noch in welcher c’t der Artikel war? Und wie der Titel ist?
Du bist gut, das Heft liegt natürlich hier. 4/2002. „Zurück in die Zukunft“. Seite 76/77.
Danke, damals hatte ich die c’t noch im Abo..
Inzwischen alles dem Wertsoffkreislauf zugeführt.
interessant, was in dem Heft noch so zu finden ist, 17 Zoll Röhrenmonitore, CD Brenner.. ich glaub ich werd langsam alt..
Das mit dem Marketing wir in Zukunft noch viel lustiger.
Mal zwei Beispiele:
Jumbo.ch ist ein grosser CH Baumarkt, der die Artikelbeschreibungen im Onlineshop offensichtlich mit KI Marketingtools schreibt.
Beispiel: Da steht bei einer Bosch Pro Bohrmaschine, dass sie dank der blauen Farbe immer sofort und zuverlässig in der Werkstatt gefunden werde, aber wichtige Infos wie z.B. die Grösse des Bohrspannfutters fehlen.
Oder bei einem Bodenlaminat steht ein 30 zeiliger Text wie toll meine Wohnung mit diesem Laminatboden aussehen wird, aber keine Info zu Belastbarkeit, Feuchtraumtauglichkeit usw. Sogar die m2 Menge pro Paket fehlen in den Produkte-Infos…
Anderes Beispiel:
Ich hatte kürzlich einen Job, wo die Marketingverantwortliche einer mittelständischen Baufirma (>500 Angestellte) ernsthaft per Chat GTP herausfinden wollte, wie man die Powerpointpräsentation auf den Beamer kriegt…
Es wird immer lustiger.
Hallo
Konnte es nicht glauben wegen der Bosch, und tatsächlich
“ In dem schicken Blau wirst du diesen Bohrhammer auch immer schnell in deiner Werkstatt finden“
Aber es ist ein Bohrhammer mit SDS Bohrfutter. Da sind keine weiteren Angaben notwendig
Aber hier geht es um Anderes.
Nein es wird nicht lustiger, es wir trauriger……
Hab da was durcheinander gebracht: Bohrfuttermass fehlte bei einer anderen Maschine. Das Blau sah ich beim Akku Schwingschleifer.
Aber egal. 🙂
Noch ein Bonmot. Schubladengriff:
https://www.jumbo.ch/de/maschinen-werkstatt/beschlaege-briefkaesten/beschlaege/knoepfe-griffe/siro-griff-glaenzend-verchromt–104-cm/p/3940334
„Auf der Suche nach dem perfekten Finishing-Touch für deine Möbel? Sieh dir mal diesen glänzenden, verchromten Griff an. Er hat einen eleganten Chrom-Look, der ihm ein glänzendes und stylisches Aussehen verleiht. Sein Metallmaterial sorgt nicht nur für Langlebigkeit, sondern auch für eine coole, moderne Optik.
Mit einer Länge von 104 mm, einer Breite von 8 mm und einer Höhe von 26 mm ist er die perfekte Grösse für so ziemlich jede Schranktür oder Schublade. Und keine Sorge wegen der Montage – dieser Griff kommt inklusive zweier Schrauben, sodass du ihn im Handumdrehen befestigt hast.
Dieser Griff ist nicht nur praktisch, er ist auch superdekorativ. Ein kleines Detail, das einen grossen Unterschied macht. Mit diesem glänzend verchromten Griff kannst du deinen Möbeln wirklich einen Hauch von Klasse verleihen. Vertrau uns, du wirst den Unterschied bemerken.„
Technische Angaben: LxHxB, aber Lochabstand ist nicht angegeben… Material: Metall (das muss doch als Angabe genügen…) 🙂
Da krieg ich gleich Lust zur Konkurrenz zu gehen.
„5000 Bleistifte in Schwarz durchgefärbt. Beste Qualität, mit orangenem Logo.“
Und von diesen Bleistiften habe ich einen vor mir liegen und noch 3-4 befinden sich in der Schreibtischschublade. Benutze sie gerne. Ich schreibe nur: Adventskalender auf oly-e.de……
G
HG
Jürgen
Hat aber bei mir einen Moment gedauert, bis ich begriffen hatte, dass das nicht das Logo einer anderen Kameramarke ist. 😎
Nach der Erleuchtung wurde einer gleich vom Schreibtisch in die Vitrine der Kultobjekte und Fetische verlagert.
Beste Grüße
Frank