Manchmal denke ich, das weiß doch schon jeder. Und dann sagt mir jemand, er sei bei einem der letzten Artikel von PAT über die „Blaue Stunde“ gestolpert. Ich soll doch mal was dazu machen. Also mache ich. Alte Hasen einfach morgen wieder kucken.
Die „Blaue Stunde“ ist je nach geographischer Breite in der man sich bewegt, mehr oder weniger lang. Oben im Norden kann die auch mal nen halben Tag dauern. Es ist die Zeit nach Sonnenuntergang, in der noch Licht vom Himmel kommt – blaues Licht eben, da der Himmel blau ist. Wenn er denn blau ist. Deshalb „blaue Stunde“.
Das Licht hat zu diesem Zeitpunkt eine Farbtemperatur von 7500 Kelvin bis 10.000 Kelvin. Stellt man die Kamera auf diese Farbtemperatur ein, dann sieht man vom blauen Licht nichts mehr, das sieht dann wie ganz normales Licht aus – nur dass man halt länger belichtet.
Der Trick ist also, einen Weißabgleich zu nehmen, der das „Blau“ der blauen Stunde auch sichtbar macht. Also zum Beispiel 6000 Kelvin oder sogar einen Sonnenweißabgleich mit 5300 Kelvin. (Wolken- oder Sonnensymbol in der Kamera)
Was passiert: die ganze Szene hat einfach einen mehr oder weniger heftigen Blaustich. Damit das so aussieht wie oben (Das ist übrigens Meißen.) braucht man eine zweite Lichtquelle mit wesentlich geringerer Farbtemperatur. Kunstlicht. Die Blaue Stunde ist spannend durch Mischlicht.
Das hier ist Stolberg im Harz. Zum Zeitpunkt des Fotos hatten die in der Straßenbeleuchtung LEDs mit Grünstich. Also 7500 Kelvin, damit die Lampen wenigstens halbwegs rötlich waren. Dafür ist halt der Himmel nicht mehr tiefblau. PopArt drauf, um irgendwas zu retten. Das Problem: die Balance zwischen Kunstlicht und Restlicht vom Himmel ist nur ein paar Minuten lang perfekt. Zu Früh – und der Himmel ist zu hell, zu spät und der Himmel ist schwarz. Man hat nicht lange Zeit, nach Motiven und Perspektiven zu suchen. Man sollte das bei Tage machen und eventuell auch checken, wann die Straßencafes aufmachen. Oder auch zumachen.
San Gimignano. Zu früh. Der Himmel ist noch eine Spur zu hell, die Lichter kommen noch nicht durch. Macht man die Belichtung länger, frisst der Himmel aus. Außerdem sind die Stühle des Cafes noch gestapelt. Zehn Minuten später:
Und Zack – offenes Cafe. (im Süden ist die blaue Stunde deutlich kürzer!) Die Fotos von San Gimignano sind noch mit der alten E-3 gemacht. Mittlerweile sind die Stabis um Größenordnungen besser geworden, so dass man für die Fotos zur blauen Stunde kein Stativ mehr mitschleppen muss. Und ja, die Sensoren haben auch eine höhere Dynamik.
Das hier ist Schwabach. Der Himmel ist schon einen Kick zu dunkel. Die Schaufenster des Weltbild-Ladens sind schon zu hell im Vergleich zum Himmel. (Da ist jetzt übrigens eine Targo-Bank drin.) Der Arkadengang des Rathauses passt aber so weit. Nett wären jetzt halt erleuchtete Fenster. Aber man kann nicht alles haben.
Klassiker zur blauen Stunde ist natürlich der Weihnachtsmarkt. Auch hier bereits einen Kick zu dunkel. Hier dagegen ist die Balance ziemlich perfekt:
Christkindlesmarkt Nürnberg. Eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang.
Timing ist alles.
Also: Bereits bei Tage die Motive abklären. Perspektiven, wann werden welche Lichter eingeschaltet, was sagt der Wetterfrosch, brauche ich ein Model. Brauche ich vielleicht sogar ein Location Release. Kann ich im Zweifel 1/4s aus der Hand halten. Habe ich die benötigten Brennweiten dabei. Und dann, sobald das Licht passt, zügig die Fotos durchschießen. Schneller Locationwechsel, nächstes Motiv.
Und für warme Getränke sorgen….