Auf die Zwölf fotografieren

Frank hat bei den Fotografenzitaten geschrieben: „Wie fotografieren die Meisten ein Motiv, genau so solltest Du es nicht machen“. Das kenne ich auch von anderen. Nicht die Postkarten knipsen, hinter die Dinge kucken. Oder „Nicht auf die Zwölf fotografieren, das macht jeder.“

Ich bin mittlerweile – nach ein paar echten Fails – nicht mehr dieser Meinung. Es gibt Dinge, die sind „Must Knips“. Ja, die würde jeder andere auch so fotografieren. Vermeintlich. Und dann ist man mit ner Gruppe unterwegs und alle fotografieren eben genau NICHT die Dinge, die „jeder knipst“ und dann knipst die keiner und dann ist man hinterher froh, wenn einer dabei war, der sich nicht zu schade war, „Auf die Zwölf“ zu fotografieren. Weil es eben dazugehört.

Wenn man am schiefen Turm von Pisa nur Details knipst, oder nur Porträts von Touristen, oder Grashalme oder sowas – dann hat man halt den Turm nie drauf. Kommt im Fotobuch zum Urlaub dann komisch.

„Was’n das?“ „Der Eiffelturm – von unten.“ „Das musste aba dazuschreiben!“

Wenn man sich bei der Hochzeit weigert, das Gruppenbild zu machen, weil dauernd alle Leute mit ihren Handys Gruppenbilder machen – dann fehlt hinterher das Gruppenbild. Denn natürlich sind die vielen Gruppenbildern auf den Handys und da kommen sie meistens nie mehr runter.

Mir ist es bei ein paar Terminen so gegangen, dass ich tolle Fotos gemacht habe und dann beim Zusammenstellen des Artikels für die Redaktion festgestellt habe, dass ich das ganz simple Foto, das die Situation zusammengefasst hätte, nicht gemacht habe. Weil ich mir gedacht habe, das wäre ne fotografische Beleidigung. Das kann doch jeder. Jo. Aber irgendwer muss es trotzdem machen.

Also macht auch einfache, unkreative Dinge. Fotografiert auch das, was alle anderen knipsen. Früher gab es den brandheißen Tipp, in einer Stadt, die man als Tourist besucht, die Kartenständer vor den Andenkenläden zu inspizieren und ein paar dieser unglaublich schlechten Postkarten zu kaufen, die mit sechs Bildern des Ortes, und dann diese Bilder nachzufotografieren. Man muss dann nicht lange nach den Locations suchen, hat alle Must Knips aus den richtigen Bildwinkeln, alles prima. Wem ist schon aufgefallen, dass die Ständer mit den Ansichtskarten rapide im Aussterben sind? Früher gab’s mal „Kunstpostkarten“ mit „künstlerischen Aufnahmen“ des Ortes – die sind schon ziemlich Geschichte und die Postkarten „Gruß aus Kleinkleckersdorf“ werden ihnen bald folgen. Aber wenn ihr noch findet: kaufen und nachknipsen. Und wenn ihr die Sehenswürdigkeit im Kasten habt, dann könnt ihr immer noch den fotografischen Trieb ausleben.

Noch mal der Eiffelturm. Das Restaurant auf der Plattform. Gibt’s nicht mehr. Dinge fotografieren, die niemand fotografiert. Aber auch die Dinge, die vermeintlich alle fotografieren.

Gerade jetzt, in der Zeit in der alles mal schnell mit dem Handy fotografiert wird, werden gute Fotos von Sehenwürdigkeiten rar. Da stehen zwanzig Touris mit Handys vor der Kathedrale um ihren Daheimgebliebenen zu zeigen, wie toll es da gerade ist – und keiner von denen kümmert sich um Licht, stürzende Linien und Perspektive. Man kann Dinge so und so fotografieren.

Und unterschätzt nicht die gute Postkartenfotografie.

13 Replies to “Auf die Zwölf fotografieren”

  1. Danke für diesen Artikel. Hilft mir gerade eben die Leichtigkeit des Knipsens bei Städtebesuchen wieder zu erlangen. Wie oft stehe ich da in der Horde und denk mir, muss ich das aus dieser Perspektive fotografieren? Schamgefühl sich mit einer Systemkamera in die Reihe zu stellen, irgendwie geht dabei die Unschuld verloren. Gelegentlich sind Handyknipser beneidenswert und gelegentlich befinde ich mich « incognito » unter ihnen. Und ehrlich mein Smartphone bereitet auch Freude und Leichtigkeit. Und dann mit der Pen F als Rarität um die Ecke losziehen – eine absolutes Hochgefühl. Dank vieler vieler fast täglichen Anregungen hier im Blog Reinhard!!!

    incognito ergo sum

  2. Du sprichst mir aus der Seele! Wieviele Orte habe ich als »Postkartenaufnahme« im Kopf und dann kein einziges Foto davon gemacht, das ich anderen nachher davon zeigen möchte. Seitdem ich beruflich Projekte, Gebäude oder Stadträume für kompakte Informationsformate mit nur einem Foto darstellen muss, schaue ich mir die Motive auch eher aus Postkartenperspektiven an. Das kann dann durchaus eine ganz eigene Herausforderung werden, wenn es nicht die üblichen Motive sind – aber das wäre eine andere Storyline …

  3. Wenn ich das Zitat lese würde ich wahrscheinlich, wie im Beispiel von Reinhard, auch recht schnell auf die Idee der künstlerischen Abstraktion kommen. Oder halt schlichtweg verlieren, weil die Erwartungshaltung des Betrachters an ein Urlaubsfoto (Informationsgehalt, Wiedererkennungswert) sich nicht erfüllt. Letztendlich würde es mich selbst nicht zufriedenstellen, denn das wäre ja auch nicht das woran ich mich später zurückerinnere beziehungsweise was meine Eindrücke von der Reise wiederaufleben lässt.

    Dass es auch anders geht hat Frank bereits mit seinen Aufnahmen aus Frankfurt am Main und Lüttich eindrucksvoll bewiesen. Keine altbekannten Postkartenmotive, jedoch auch als Postkarte zu verwenden. Eben weil der Eindruck vom „Großen Ganzen“ trotzdem vermittelt wurde.

    Den bewährten Tipp mit den Postkarten habe ich immer gerne beherzigt. Gerade wenn die Zeit knapp ist, kann man sich damit recht schnell einen guten Rahmen schaffen, den man anschließend gelassen mit eigenen Ideen bereichern kann. Man fährt nicht mit dem Eindruck nach Hause man hätte etwas vergessen, nicht geschafft oder sich verzettelt.

    Das Verschwinden der Postkarte ist traurig. Neulich in Domodossola habe ich gar keine bekommen, in Bebra gerade noch zwei Motive in einer größeren Buchhandlung. Wird also Zeit sich mal einen Service auszukucken, worüber man eigene Fotos von unterwegs als Postkarte versenden kann. Hat vielleicht nicht das Flair einer weitgereisten Postkarte, aber allemal besser als eine Whatsapp & Co.

    1. Die österreichische Post bietet eine eigene App an, mit der man Fotos (Kamera und über Handy oder direkt vom Handy) als Vorderseite erstellen kann. Verschiedene Layouts sind möglich und man kann sogar als Briefmarke ein eigenes Foto nehmen.
      Der Text hat verschiedene Stile, auch „Handschrift“.
      Der Empfänger bekommt eine richtige Ansichtskarte mit eben den Fotos.
      Bezahlt für Service und Porto wird über die App.
      Und ist nicht teuer.
      Schon paar mal probiert, wirklich coole Sache.

  4. … für einige mobile Fotodrucker gibt es Fotopapier im Format einer Postkarte, auch die Rückseite ist entsprechend bedruckt. Habe ich früher gerne auf Reisen genutzt, echtes Papier mit Briefmarke, eigenes Motiv , weniger Text nötig 🙂
    Grüße
    tom

  5. Sorry, aber wirklich gute Postkarten-Fotografie ist sauschwer. Was da teilweise dargestellt ist, kriegt kein Touri mal so auf die Schnelle hin, auch wenn er eine ganz dolle Cam, nach neuestem Stand der Technik, mit allerlei Linsen für jede erdenkliche Situation bei sich trägt und alle x-hundert Feature-Kombinationsmöglichkeiten seines Knipscomputers blind runterbeten kann 😉

  6. Wow, jetzt hast Du mich erwischt, wobei ich denke, das Du weist was ich meinte.
    Mein Gedanke war allerdings auch, das man als Hobbyknipser zumindest versucht ein halbwegs
    anspruchsvolles Foto zu erstellen und nicht eben mal im vorbei gehen die Cam hochreißen und Knipsen.
    Natürlich soll man den Eifelturm ablichten, aber…., muß es mittig sein, kann ich ein Nebenmotiv mit ins Bild bringen, damit es evtl. nicht wie Postkarte aussieht, sondern danach, das sich der Ablichter Gedanken um die Gestaltung gemacht hat, denn dann könnte evtl dieses Zitat passen,
    Ein gutes Foto ist, zu wissen, wo man stehen muss – Ansel Adams

    In diesem Sinn wünsche ich Euch den richtigen Platz, die beste Perspektive für ein Foto,
    das man nicht ständig und überall so sieht.
    Gruß Frank

  7. Ich bin ja einer derjenigen, die sich immer von den eigenen aus dem Urlaub mitgebrachten „Postkartenfotos“ gelangweilt sehen, und wenn sie noch so perfekt wären. Ich denke mir dann immer, nächstesmal lässt du die Knipse daheim und kaufst einfach die Ansichtskarten, dann hast du weniger zu schleppen und vor allem auch, zuhause angekommen, weniger Arbeit. Ich nehme das jetzt mal als Anregung, mir da einfach weniger Gedanken zu machen.

  8. Ich versuche Orte unterwegs so zu fotografieren, dass ich mich beim Betrachten des Fotos nacher wieder daran erinnere und mich hoffentlich darüber freue. Egal ob banal oder künstlerisch anspruchsvoll.
    Es macht aber einen großen Unterschied, ob man nur für such selbst fotografiert, einen bebilderten Reisebericht für eine Gruppe abliefern soll oder Bilder für e8n Reisemagazin macht.
    Gleiches gilt denke ich für die meisten Genres.

  9. Ich habe oft beim Zusammenstellen von Reisevorträgen auf ein paar dieser Motive zurückgegriffen. Die Bilder sind bei der ersten Sortierung raus gefallen, mussten dann aber wieder rein, um z.B. einen erkennbaren Übergang zwischen zwei Themen zu schaffen oder den Zusehern eine Orientierung zu geben.

  10. Gelegentlich versuche ich die Postkartenansichten aus den 50ern hier in der Umgebung nachzufotografieren. Diese Postkarten waren für den örtlichen Fotografenmeister Einkommen. Da kann ich nur sagen Respekt Herr Weidemueller.

    1. Ja, unter den Postkartenfotografen gab es richtige Cracks. Die sind zu zwei oder zu dritt losgezogen. Da gab es einen, der den obligatorischen Ast ins Bild gehalten hat, um den Rahmen zu bekommen. Einen, der verhindert hat, dass irgendwelche Leute ins Bild gelaufen sind – oder der dafür gesorgt hat, dass dekorativer Traffic war. Und natürlich mussten Tageszeit und Wetter passen. Leider gab es auch damals schon Helden, die sich auf die Retusche verlassen haben. Sah man dann auch deutlich.

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