Das ist eine wilde Karde oder auch Weberkarde. Die wurde früher dazu verwendet, Wollstoffe aufzurauen und damit dichter und wärmer zu machen. Es wurden drei dieser Blütenstände zusammengepackt und damit über die Stoffe gerubbelt.
Bis mir das eine ältere Dame, die das selbst noch macht, erklärt hat, hatte ich davon keine Ahnung. Das sind eigentlich Dinge, die früher jedes Kind lernte. Dinge, die auch noch in tausend Jahren gültig sind. Heute lernen Kinder, wie man ein Smartphone oder Netflix bedient – Dinge, die in wenigen Jahren wieder obsolet sein werden. Zu meiner Zeit haben Kinder Basic gelernt. IF-THEN-ELSE-.GOTO-Schleifen und so. Das Must-Know-Wissen veraltet mittlerweile schneller, als man Neues erlernen kann. Kaum hatte man alle Untiefen von Basic intus und konnte virtuos mit 64kB Speicher jonglieren, da musste es C sein. Und dann irgendwann C++ – und wenn jetzt jemand in C++ programmiert, ist er ein Ewiggestriger. Hätte ich nur damals Forth gelernt – das gibt’s immer noch, und vielleicht würde ich jetzt Satelliten programmieren.
Messerschleifen, früher Basiswissen, ist heute ein hochspezialisiertes Hobby.
Ich habe mittlerweile das Gefühl, dass wir wieder beim Stand der Kultur angekommen sind, in dem Basis- Informationen im Wesentlichen mündlich weitergegeben werden. Die hochspezialisierten Alchemie-Bücher mit den Geheimwissenschaften gibt es zu Hauf, aber der schriftliche Kram für’s Volk geht in Sachen Informationswert kaum über Heiligenbildchen hinaus und die Tagesschau ersetzt mit Müh und Not die Predigt bei der Abendmesse.
Wie schlägt man Butter? Wie kann man Wäsche ohne Waschmaschine waschen?
Ja klar, kann man alles bei Wikipedia finden, oder googlen. Wenn man weiß, was man sucht, dann findet man auch. Wenn man weiß, dass das Gemüse Karde heißt und man weiß, dass das zum Wolle aufrauen verwendet werden kann, dann findet man was dazu. Wenn man einfach nur ein Stück Wollstoff hat, durch das der Wind pfeift – dann wird es etwas schwierig.
Was passiert, wenn die Wikipedia auf einmal abgeschaltet ist? Oder wenn man feststellt, dass man sich auf Dinge die dort stehen, nicht verlassen kann, weil es Leute gibt, die dort absichtlich Mist reinschreiben und zufälligerweise auch genau an dem Drücker sitzen, der dafür sorgt, dass Korrekturen nicht durchkommen? (Das hält man so lange für eine Verschwörungstheorie, bis man selber in der Wikipedia steht und versucht, Mist über sich selbst zu korrigieren.) Es gibt keine Lexika mehr. Selbst der Brockhaus ist nicht mehr gedruckt, sondern nur Online zugänglich. Was, wenn der Brockhaus-Verlag pleite macht?
Forenwissen ist toll und man kann jetzt alles googlen – oder den Chatbot des geringsten Misstrauens fragen. Nur – was, wenn die Forenten ihre Antworten selber ausgewürfelt haben – oder selber Chatbots sind? Oder im Wolleforum die Vertreter von Aufrauungsmaschinen das Sagen haben, weil das Forum von dieser Firma bezahlt wird? Oder diese Firma gerade beschlossen hat, das Forum dicht zu machen? Und was sind Foren anderes als die guten alten Geschichten am Lagerfeuer?
Ich weiß auch keine Lösung – außer den alten, weisen Frauen und Männern zuhören, die gelegentlich irgendwo auftauchen und aus ihrem Leben erzählen. Wie das die Alten gemacht haben. Ohne Strom und ohne Persil mit der roten Schleife.
Und außerdem ist heute Allerheiligen. In Bayern. Da wird allen Heiligen gedacht. So pauschal. Dann geht das in einem Aufwasch. Der heilige Laurentius ist übrigens Schutzheiliger der Waschfrauen. Und der Bibliothekare und Archivare, Feuerwehr, Bierbrauer, Glasbläser, Glasmaler, Konditoren, Schüler und Studenten. Sein Attribut ist der Grillrost.
Hallo Reinhard,
dem kann ich nur zustimmen. Viele Zeitgenossen sind so sehr auf die „Errungenschaften“, die neuesten Trends und angesagten Gadgets fixiert, dass sie überhaupt keine Zeit mehr finden, sich auch mal für das Wissen unserer Groß- und Urgroßeltern zu interessieren
Schon mehr als einmal hab ich den Satz gehört „Schmeiß das Zeug doch weg, das braucht heute kein Mensch mehr. Steht doch alles im Internet ….“ usw. Das „Zeug“ sind Bücher…
Ich nutze selbst Internet (sonst könnt ich ja hier nicht mitlesen 🙂 ) und andere aktuelle Technik. Aber man sollte sich eine ausgewogene Ansicht zu Fortschritt und Erfahrung(swissen) erarbeiten.
Einen schönen (Feier)tag allerseits
Ja. Als ITler verfüge ich über einen Haufen Spezialwissen. Aber ohne bestimmte Informationsquellen könnte ich damit so gut wie nichts anfangen, d.h. ohne Internet und ohne meine eigene Doku. Im wesentlichen besteht das „Wissen“ darin, zu wissen, was ich wo suchen muss. Das setzt wiederum voraus, dass eine ganze Menge Dinge funktionieren. Sollten wir in eine Situation geraten, in der IT keine oder deutlich geringere Rolle spielt (was ich über kurz oder lange nicht für völlig ausgeschlossen halte), wäre ich erstmal ein völlig nutzloses Mitglied der Gesellschaft, keinerlei relevantes Wissen.
Früheres Basiswissen verschwindet nicht nur aus den Büchern – wer liest schon Bücher… – und Erzählungen, sondern auch aus den Köpfen. Elementarster Lernstoff aus der Mittelstufe wird einfach nicht angewandt. Und bei strittigen Themen kommt keiner auf die Idee, jemanden zu fragen der sich damit auskennt.
Wikipedia hat mir übrigens bestätigt, was ich als Ruhrgebietler grob im Hinterkopf hatte: die heilige Barbara ist nicht nur Schutzpatronin der Bergleute, sondern auch der Artilleristen, Feuerwerker und eben Feuerwehrleute (neben Florian von Lorch und einem gewissen Nikolaus von Myra). Das letzte wusste ich gar nicht, aber offenbar können da mehrere Schutzheilige nicht schaden. Was ich gut nachvollziehen kann: Mit Atemschutzgerät und C-Schlauch von oben durch die Rauchgrenze in einen verqualmten dunklen Maschinenraum eindringen ist schon ein Erlebnis für sich. Auch wenn das nur zur Übung auf einem Lehrgang war.
Was ich mich grad frage: Gehört an ein Feuerwehrauto eine Christophorus Plakette oder eine Barbara?
PS: Ich seh grad, Laurentius von Brindisi als Schutzpatron der Bibliothekare müsste doch was für Reinhard sein. Oder lieber Hieronymus…?
Das mit dem überlieferten Wissen taugt aber auch nur dann, wenn man einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, also z.B. die Rohstoffgewinnung, Herstellung und Pflege der Textilien aufeinander abstimmt. Das 5 Euro T-Shirt übers Waschbrett gerubbelt dürfte dann wohl eher dem Lumpensammler gefallen. Wenn es denn wenigstens noch aus Baumwolle ist und der Papierherstellung dient …
Zum Bild der Wäscherin: Auch für uns Fotografen ist es nützlich wenn man alte Techniken noch beherrscht oder zumindest kennt. Ich kenne das Waschen mit Kernseife und Waschbrett noch vom eigenen Tun und der Wäschestampfer (die modernere Variante aus Messing mit federndem Innenteil) ist bei mir noch gelegentlich im Einsatz. Daher weiß ich, dass eine Wäscherin sicherlich nicht wie die zeitgenössig gekleidete junge Frau auf dem Bild seitlich zum Brett stehend einhändig gerubbelt hätte. Waschen erforderte Kraft. Von daher stand man immer hinter dem (evtl. noch mit dem Bauch fixierten) Brett und hat mit beiden Händen Druck ausgeübt. Wenn man also altes Wissen hat und anwendet gelingen auch nachgestellte historische Szenen glaubhafter…
Jm2c
Achim
nach vielen Jahren in der IT bin ich trotz KBs von cuecards bis onenote da angelangt wo meine Oma schon war. Wichtiges wird zusätzlich mit Füller auf Papier geschrieben.
Und im übrigen schlagen ihre Apfelkuchen Rezepte jedes YouTube Videos zu disem Thema um Längen.
Grüße
tom
Das Wissen allein nutzt nichts, man muss es anwenden.
Messer selbst schleifen (gibt ja keine Messerschleifer mehr), mit den scharfen Messern kochen, Sense dengeln, Sensen, selbst Brot backen (ohne Backhilfsmittel) …
Hand-Werk macht Spaß, denn man sieht was rauskommt.
Basic programmieren hatte ich mal als Wahlfach in der Schule, mit VC20, C64, … Kann ich nicht mehr. Nie gebraucht, verlernt.
@Achim Meier : stimmt, meine Oma hätte so nicht gewaschen (das Waschbett habe ich im Keller). Wenn man so richtig lachen will, nimmt man z.B. einen Katalog von EngelbertStrauss. Weder die Models noch der Fotograf haben anscheinend die geringste Ahnung, was sie da mit Werkzeug etc. tun.
Das Problem mit altem Wissen zeigt sich auch in der Fotografie. Wer darüber verfügt, wird seine digitalen Fotos kaum nach dem Prinzip „alle Regler auf Anschlag“ entwickeln. Besonders auffällig ist das bei Schwarz-weiss. Feine Abstufungen der Grautöne findet man kaum mehr. Nur wo soll man das Wissen heute hernehmen? Aktuelle Bücher wiederholen bloss Anfängerplattitüden, enthalten viel Weissraum und Beispielfotos, die die Fähigkeit des Autors belegen sollen, aber vom Leser nicht nachgemacht werden können. Früher gab es fünfbändige Reihen nur zum Entwicklungsvorgang, auch mit seitenlangen Beispielen zu Fehlern und wie man sie vermeidet/behebt. Wer sich durchgekämpft hat, konnte eigene Entwickler mischen. Die Fachzeiten waren wirklich solche mit langen Artikeln von Fachleuten (mal nach Walter Schön suchen als Beispiel) und mehrseitigen Kameratests. Da wurde vom Auslösergeräusch bis zur Messwertgewichtung im Sucher alles vermessen. Objektivtests waren dokumentiert mit Belegfotos und Messungen, die Auswertungen unterschiedlich spezifiert nach Anfänger, Hobbyist und Profi. Natürlich gab es auch Fälle, wo Kritik angebracht war. Heute sind das nicht mehr zugängliche Quellen, weil sie nicht digital vorliegen. Aktuelle Tests sind meist Abdrucke von Pressemitteilungen und den technischen Daten plus ein paar Sternchen als Fazit.
Mit den heutigen Kameras hat altes Wissen meist nur einen subtilen Einfluss. Wer mit einer Fachkamera die Perspektive korrigiert hat, wird digital anders entzerren als jemand, der nur Photoshop kennt. Das Betrachter-Publikum ist so schnell und oberflächlich unterwegs, dass es den Unterschied nicht bemerkt, deshalb auch der häufige Satz „das kann mein Smartphone auch“. Neulich sah ich Fotos, die alle mit 45 MB und Blende 18 aufgenommen wurden. Dem Fotografen ist nicht aufgefallen, dass er mit 10 MB und Vermeidung von Beugungsfehlern schärfere Fotos bekommen hätte. Von Beugung hat er noch nie gehört. Die Pen F hat sie völlig deklassiert, mehr Frust in einem Gesicht geht nicht.
Es gibt nur sehr wenige Möglichkeiten, Themen wie sie hier bei PAT angeboten werden, zu lesen. Beispielsweise die Problematik bei höherer Sensorauflösung und Objektiven, die plötzlich schlecht abbilden, obwohl sie an der alten Kamera so gut waren – sowas findet man kaum. (Würde man sie in einem Forum erwähnen, würde man als Fortschrittsverhinderer oder Markenhater niedergemacht.) Oder die Unmöglichkeit, die OMDS-Versprechen beim 90er Markro zu realisieren. Mir würden endlos Themen einfallen. Ein negatives Beispiel sind Fotos, wie sie im Andreas-Forum zu sehen sind: zeigt eure Nordsee-/Waldfotos. Da sind oft Bespiele, die vom Einsteller wohl als besonders gut eingestuft wurden. Ein ehemaliges Fotolabor hätte aber viele davon gestrichen (= als Ausschuss klassiert) gratis dazugelegt.
Ich will nicht sagen, dass Früher besser war. Auch da gab es Unwissen, Trash und schlechte Geräte. Aber das Verhältnis war besser. Ich war gerade beim Fotomech und habe alte Kameras fitmachen lassen. Keine Edelware aber mit toller Anfassqualität. Eine Minikamera Rollei 35 S hat einen neuen Sucher bekommen und sieht nun aus wie neu, sogar mit Umrüstung auf die heutigen quecksilberfreien Batterien. Das Objektiv ist offenblendig scharf bis in die Ecken. Dabei hatte ich auch alte Objektive in der Hand. Zwar reine Amateurware, aber von einer Bauqualität wie ein Panzer und heute noch funktionstauglich. Ab 50.- kann man sie mitnehmen. Ich habe die Wiederverwendung von solchen Geräten in Planung, weil es mich nervt, wie schlecht viele aktuelle Teile sind. Bei meiner Pen F ist zum dritten Mal die Daumenauflage hinüber – einmal Portugal, einmal Via Da Vinci. Die Zeit für die Film-Entwicklung spare ich teilweise wieder ein, wenn ich mich weniger mit Updates oder Kompatibilitätsproblemen herumplagen muss.
In Buchläden konnte man in der Fotoabteilung halbe Tage verbringen. Heute findet man noch 3 Bücher von Lindberg und etwas Akt, ev. noch was mit Unschärfe und seltsamen Themen wie Saufgelage im Winterurlaub. Nach 5 Minuten ist man durch und ratlos. Es gab Facheitschriften in allen Sprachen an vielen Orten. Heute werden dort Softdrinks und ein paar Magazine zur Promiwelt verkauft. Fotothemen zu Kameras hat Reinhard hier schon einige Male abgewickelt, wie im Thema Franzis und Eigenverlag.
Bei Fotokursen fällt der Wissensverlust besonders auf. Wenn bei der Anmeldung die Miete eines Stativs angekreuzt werden kann, lässt sich abschätzen, wo das Niveau der üblichen Teilnehmer liegt. Voraussetzung ist die Kenntnis von ISO und das Manual soll mit. Beispiel Vogelfotografie mit 50 mm Objektiv, wie es sich ein Kursbesucher vorstellte. Ein Teilnehmer mit Nikon D850 war nicht in der Lage, den Selbstauslöser einzustellen, dies im Kurs für Fortgeschrittene. Aber wohin soll er sich wenden, wenn er mehr wissen will, als dass er nur gute Fotos machen könne, wenn er mindestens eine Z 7 kaufe? Youtube ist oft noch die beste Hilfe.
Die andere Seite ist das Verhältnis Gerätepreis vs. Fotokurskosten. Als eine Ausrüstung viel kostete, war ein Kursgeld auch noch mit drin. Bei der heutigen Schnäppchenjagerei fällt ein Kurs komplett raus, die Anbieter können damit keine Existenz mehr aufbauen und weg ist diese Möglichkeit, an Wissen zu kommen.
In der heutigen Komplexität der Lebensumstände bin ich aber auch sehr dankbar, dass ich meine Wäsche sauber bekomme, obwohl ich nicht weiss, ob man besser hinter oder neben dem Wascheimer stehen soll und mir die Laugenglocke völlig fremd ist. Wo die nächsten Karden wachsen, weiss ich auch nicht. Weil ich dankbar bin, dass ich immer wieder Menschen mit viel Fotowissen angetroffen habe und die mich weiter gebracht haben, gebe ich mein Wissen bei Bedarf gerne weiter.