Nein, heute gehe ich nicht auf die Mittelsäule bei Stativen los. Die Dinger sind gelegentlich sinnvoll. Ich betreibe heute wieder mal „Kollegenschelte“. Und zwar von einem Typen namens Tim Shields. Hat auf Insta einen Kanal mit 49.700 Followern und schaltet dort Anzeigen für einen Gratis-Fotoleitfaden. Und bewirbt seine Fotokurse und überhaupt ist er kurz vor Gott.
Er hat ein Video gemacht. in dem er zeigt, dass man unbedingt, wenn man sein Stativ auf einem Hausdach aufstellt, mit den Stativbeinen einen Finger breit vom Geländer wegbleiben soll. Denn wenn jemand anders am Geländer wackelt, dann wackelt auch das Stativ.
Ja. Das ist sogar gar nicht verkehrt.
Nur zeigt er dazu ein Carbon-Stativ mit vier (!) Beinsegmenten, und einer nahezu voll ausgezogenen, langen Mittelsäule. Das Ganze auf einem Betondach.
Dazu sind ein paar Sache zu sagen:
- Da oben windet es. Ein Huster und die Mittelsäule wackelt wie ein Lämmerschwanz. Ein bisschen mehr Wind und das Teil fliegt davon. Im Zweifel ist da das Anlaschen des Stativs am stabilen Geländer die bessere Idee.
- Beton schwingt. Wenn da oben wer langlatscht, der am Geländer wackeln will, dann wackelt das Stativ schon allein deshalb.
- In Deutschland sind Fotos von da oben – Überraschung – nicht so ohne weiteres erlaubt. Man braucht die Genehmigung des Hauseigentümers. Und inwiefern die Panoramafreiheit mittlerweile auf Aussichten von Privathäusern ausgedehnt wurde ist derzeit noch strittig.
Ich kriege langsam die Krise. Was teilweise an Mist von Fotografen verbreitet wird, die denken, sie machen jetzt einen auf Influencer und verdienen sich damit ne goldene Nase – es ist unfassbar und eine Pest. Und ich weiß nicht, was das für Leute sind, die diese Personen auch noch feiern.
Bei mir gibt’s blöde Sprüche und ab und zu KnowHow gratis. Und ohne dass man auf irgendwelche „Buttons“ drücken muss oder irgendwem die Mailadresse und Schuhgröße schickt. Es gibt auch keine „Gratis-Broschüren“ zum anfüttern. Eine Zeit lang habe ich mal das Magazin Oly-e-Paper rausgebracht. Das war zu sehr komplexen Sachverhalten, die nicht mehr in das Format eines Blogs gepasst haben. Und vielleicht mache ich noch mal ein oly-e-paper zur Geschichte von Olympus-Imaging. Aber das sind keine alleinseligmachende Allgemeinplätze zum besseren Fotografieren, sondern Hintergrundinfos für Nerds.
Ich bettel nicht um nen Kaffee und verticke Patreon-Accounts mit exklusivem Inhalt. Wer mich unterstützen will, der kann ein PDF von mir kaufen, wo ich der Meinung bin, das ist ein reeller Gegenwert und kein Almosen. Und wenn wir schon beim Kommerz sind:
Ich mache keine Seminare mehr. Sie „gehen“ nicht gut genug – offensichtlich sind sie zu billig – und ich blockiere mir dafür dutzendweise Wochenenden, an denen ich Geld verdienen könnte. Und, was ich festgestellt habe, viele Leute schätzen sich komplett falsch ein. Die denken „Basis-Seminar? Ich fotografiere seit hundert Jahren. Ich kann das. Und meine Kamera beherrsche ich auch, also buche ich „Licht“ oder gar „Kreativ““. Und dann stehen sie da und haben Probleme, ihren AF-Punkt zu steuern oder die Kamera für einen Funkauslöser einzustellen. Von Bildaufbau oder Weißabgleich gar nicht zu reden. Die Kamera steht auf „P“ wie „Profi“ mit WB Auto und ISO Auto. Aber alles andere ist möglichst verstellt, denn da auf YouTube hat der doch gesagt, dass….
Das macht einfach keinen Spaß mehr. Also keine normalen Seminare mehr. Das Lichtseminar Ende September ist definitiv das Letzte. Wenn jemand sagt „Ey, ich habe da ein Problem, zeig mir mal wie das geht.“ Dann machen wir einen Termin, er kommt her und dann machen wir ein „private Coaching“. Oder wenn jemand sagt „Ich habe geiles Projekt, kann ich das bei Dir umsetzen“ Dann machen wir das.
Aber dieser ganze Influencer-Mist ist nichts für mich. Ohne mich.
Immerhin ist Tim Shields so ehrlich, auf seinem Insta-Account zu erzählen, wie er da drauf gekommen ist. Er hat eines dieser unseligen Motivationsseminare besucht, wo man einen Award als bester Verkäufer kriegen kann und dann vor der versammelten Mannschaft der zu Motivierenden eine Rede halten darf. Also hat er ein Online-Business gestartet „to support my family“ – kurzer Schwenk auf die Homies. Dann passt das auch wieder. „Ich erzähle euch Sumpf um euch das Geld aus der Tasche zu ziehen.“ Es gibt genug, die heilig tun und nichts anderes wollen.
Das Bild? Das habe ich mal für einen Kunden gemacht, der die Dinger aus China importiert, einen bescheuerten Markennamen draufpappt und für das 20-fache vertickt.
Von Brücke mit Stativ lasse ich lieber. Hab das mal in Amberg mit 70-300er probiert. Noch mit E-500.
Jeden Fußgänger, jedes Auto hat man gespannt. Stand dann mindestens 20 Min. drauf, bis lang genug niemand kam und die Brücke ausgeschwungen war.
Heute würde ich so ein Bild von der Brücke mit Stabi machen mit mir als Schwingungsdämpfer. Würde sicher keine 10 Minuten dauern für ein brauchbares Bild. Die großen Schwingungen könnte ich zwar auch nicht ausgleichen, da der Hub zu hoch, aber die Mikroschwingungen würden geschluckt werden. An ISO drehen ist auch leichter als Anno 2008.
*hihi*
Der Sachverhalt sollte eigentlich für jeden logisch denkenden Menschen klar sein – nur dass die leider immer weniger werden…
Habe kürzlich für einen Kunden HiRes-Aufnahmen in seinem Laden machen dürfen. Z.T. im 1. Stock. Umgebaute Scheune. Mein Stativ ist zwar kein Berlebach, aber immerhin ein heftiges Manfrotto, Mittelsäule nicht ausgefahren.
Obwohl ich zur Sicherheit von jeder Einstellungung mehrere HiRes gemacht habe sind die teilweise alle nicht zu gebrauchen: jedes Auto auf der Straße hat die versemmelt. Fein, dass die Cam immer noch ein „normales“ ORF (dann ORI genannt) mitschreibt. Und dass ich von jeder Szene auch noch „normale“ Bilder gemacht habe.
jm2c, Martin
Ich hatte vor vielen Jahren ein Projekt mit einem 3D Scanner im Micrometer-Bereich. Der musste schwingungsarm gelagert sein.
Die Unterlage war ein Granitblock mit den Abmessungen eines großzügig dimensionierten Dopeelbetts. Darauf ein druckluftgelagerter Schlitten. Das lag dann halbwegs stabil. Ach ja, ohne Mittelsäule 😉
Bei Aufnahmen von Brücken aus kann man eventuell auf den optimalen Blickpunkt verzichten und sein Stativ direkt über dem Brückenpfeiler aufstellen, da wackelt es kaum.
Früher hat mal ein Schlaumeier geraten, man solle das Stativ in drei Eimer mit Sand stellen, wenn man oben genannte Themen fotografieren wolle. Ich hatte aber nie soviel Sand dabei und auch keine solchen Motive in Arbeit. Daher weiss ich nicht, ob es funktioniert hätte. Moorboden bringt auch viele Überraschungen. Ein Schrittchen und alles wackelt – ohne die kleinen Wellen im Tümpel ich keinen Verdacht geschöpft.
Der Dunning-Kruger-Effekt wird die Fotofreunde nicht verschonen. Die eigene Unwissenheit wird angesichts der teuren Kamera gerne falsch eingeschätzt. Wer beim Stativ fünf Beinauszüge und zwei Verlängerungen an der Mittelsäule hat, will diese gerne auch in Aktion sehen. Auch in Fotoclubs, wo die Ambitionierten mit oft teuren Megasuperpixelteilen sind, höre ich „das glaube ich nicht“, wenn es nicht in die eigene Wunschwelt passt: Sowas wie meine Ausführungen im Makrothema zu den Festbrennweiten oder ein Schärfeabsturz, wenn man die Pixel zu sehr hochtreibt nach dem Motto „mehr Mega machen immer mehr Schärfe“. Dass vielleicht die Objektive angepasst werden müssen, passt nicht und wird zur Glaubensfrage erklärt. Ich wurde schon gefetzt, weil ich behauptet habe, Schnee sei nicht immer weiss.
Wenn es wieder oly-e-Paper gibt, werde ich wie sie wie früher gerne lesen.
In der Kunst (!) des Foto-Graphierens werde ich immer ein Laien-Knipser bleiben, wenn auch mit viel Spaß an der Freud‘.
Der zitierte “Dunning-Kruger-Effekt“ liegt dagegen mehr oder weniger mitten im Zentrum meiner beruflichen Schwerpunkte (mit irgendwas muss sich jeder ja irgendwie beschäftigen ). Hierbei geht es um den Zusammenhang zwischen Begabung und Kompetenz auf der einen Seite und der Neigung zur Selbstüberschätzung auf der anderen Seite, oder volkstümlich ausgedrückt: je blöder, desto mehr von sich selbst überzeugt…
In Wikipedia wird es so beschrieben:
“Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet die kognitive Verzerrung im Selbstverständnis inkompetenter Menschen, das eigene Wissen und Können zu überschätzen.“