Familienfotos

Katharina Hoffmann, geboren 23.5.1815, gestorben 15.5.1867. Fotografiert von der „Artistischen Anstalt von Seligmüller & Neubaer in Schleswig, Lollfuss 108. Die Platte bleibt zu Nachbestellungen und Vergrösserungen aufbewahrt.“ Lollfuss, wie es damals geschrieben wurde, ist hier nicht wiedergebbar, weil damals die sz-Ligatur „ß“ noch mit zwei getrennten Buchstaben geschrieben wurde. (An Lollfuß 108 ist heute ein Altenheim.)

So kuckte die übrigens drein, wenn sie nicht im Studio festgeschnallt war.

OG hat in einem Kommentar zur „Out-List“ geschrieben, er vermisse die dokumentarischen Bilder. „Wie es war“. Und dem kann ich nur beipflichten. Ich digitalisiere seit Wochen nebenher die Fotos der Verwandtschaft der letzten 150 Jahre (siehe oben) und neben den allfälligen Fotos der verwandten Nasen in unterschiedlichen Altern sind vor allem die Bilder wertvoll, in denen man die Zeit erahnt. Oder eben bei denen man sieht, dass an manchen Punkten die Zeit stehengeblieben ist.

HIer zum Beispiel:

Pfingsten 1919.

1929 hat man dann schon wieder Muse, „Modelknipserein“ zu machen:

„Freistellen mit Kontrast“…. 1933 ist der Kontrast dann mehr Dunkel auf Hell.

Bilder, die Seltenheitswert haben, weil nach dem Krieg gerne die Uniformen unter den Köpfen abgeschnitten wurden, um zu verhindern, dass den realen Köpfen etwas zustieß. Aufbewahrt wurden vor allem Fotos von denen, die für den Führer ins Gras gebissen haben.

Die Gruppenfotos von BdM und RAD-Mädels, die die Fahne grüßen, erspare ich euch. Aber das hier ist ein Kleinod, auch aus dem Reichsarbeitsdienst von 1940:

Noch eines aus der privaten Welt, während außenrum langsam alles in Trümmer ging:

Weihnachten 1944 auf einem Bauernhof südlich von Ingolstadt. Der Herr mit Panzer ist dabei geblieben und wurde Starfighterpilot und Oberstleutnant im Generalstab.

Nach dem Krieg wurden vor allem die Überlebenden fotografiert und man schickte ausbelichtete Bilder per Postkarte durch die Gegend um die Mutter zu beruhigen „Jawohl, wir haben ein Dach über dem Kopf, die Kinder haben was zu Essen.“ In den 50ern dann konnte man die kostbaren Filme direkt mal für was anderes nutzen: Sportfotografie:

Wer braucht schon ebene Tischtennisplatten. In den 50ern dann setzten sich langsam die Farbfilme durch. Ich habe noch zwei Fotos, die ich spannend finde. Einmal eine Eisenbahn mit politisch völlig inkorrektem Wegweiser:

Und dann ein Kindergeburtstag anno 1958. Ja. In Deutschland. Wirtschaftswunderland.

Natürlich ist nichts davon von mir fotografiert – mangels Existenz konnte ich damals noch nicht zur Kamera greifen. Deshalb ist das nächste Bild erst von 1980 aus Berlin, ich habe da Innenansichten des Jugendgästehauses Nord, die üblichen Mauerbilder, Congresszentrum, Funkturm – halt den ganzen Tourikram – aber eben auch einen Aldi im „Neuen Aschingerhaus“ am U-Bahnhof Zoo. Das „Neue Aschingerhaus“ gibt’s nicht mehr, jetzt steht dort das „Zoom“. Hier aus den 80ern:

Noch in 70er- Jahre Braun. Die Bilder, die man im Netz findet sind erst ein paar Jahre alt, mit Burger King und Leihhaus im Erdgeschoss. Und die U-Bahn-Haltestelle hat man – eventuell aufgrund des berühmten Buches – umbenannt in „Zoologischer Garten“.

Auch ein anderes Foto ist absolut nicht spektakulär, aber eines meiner Lieblingsbilder aus Berlin:

Ostberlin halt.

Es sind alles unscheinbare Bilder, die in Wettbewerben keine Preise kriegen, keine „Street“-Fotos von überraschten Passanten. Einfach nur unwiederbringliche Fotos. Bilder von Blümchen, Vögeln und die meisten Landschaftsbilder sind nach 50, 60, 100 Jahren völlig egal. Spektakuläre Wolkenstimmung? So what? Man freut sich, wenn man einen Ro80 auf einem Bild sieht, oder ein paar Heckflossenbenze als sie noch ganz normal zur Personenbeförderung eingesetzt wurde. Oder ein paar alte DKWs auf einem Parkplatz in Venedig.

Klar – damals war das normal. Jetzt ist das krass historisch. Fotografier sowas. Ernsthaft. Eure Enkel werden sich freuen…

13 Replies to “Familienfotos”

  1. Ein Thema, das irgendwie ein Dauerschlager ist. Schon 2012 bei Verwandten alte Bilder entdeckt und abfotografiert, aber keine Zeit zum Bearbeiten gehabt. Durch Zufall wieder gefunden und vor dem Verwandtschaftstreffen flux bearbeitet und in den Chat gestellt. Prompt wurde weitere Alben gezückt, betrachtet, in Erinnerungen geschwelgt und weitere unwiederbringliche Fotos aus Alben abfotografiert. Einige konnten für Scans mitgenommen werden. So werden auch Erinnerungen an geliebte Menschen aufgefrischt. Abnahme garantiert…
    Hier könnte KI tatsächlich mal helfen: Risse im Bildmaterial aus der Nachkriegszeit, Falschfarben durch Alterung in den ersten Farbfotos. Oder Wasserflecken auf einem alten Bild. Bei Letzterem versagt idR EBV und Retusche. Beim Hinzufügen von abgeschnittenen Personen einfacher Sucherkameras mit Parallaxenverschiebung sicher auch die KI… hier bleibt nur die Erinnerung noch lebender Menschen….

  2. ”Eure Enkel werden sich freuen…”

    Wenn sie noch an die Fotos drankommen und diese nicht der Bitfäule, der Formatvergessenheit oder der Schnittstellenveraltung anheimgefallen sind.

    1. Das ist ein interessantes Ding. Die alten Glasplatten sind teilweise beim nicht mehr existierenden Fotografen verschwunden. Digitalisieren von altem Filmmaterial ist was für Fortgeschrittene und „professionelle“ Dienstleister liefern meistens (!) lausige Qualität. Die Filme verlieren jedes Jahr an Qualität, die Abzüge haben selten mehr als 5EV Dynamik (sollten ja knackig aussehen). Dann können mechanische oder chemische Beschädigungen dem Material zusetzen – ein Schuhkarton mit alten Filmen im feuchten Keller….. Wenn man digitalisiert, hat man zumindest der Alterung im eigenen Schrank ein Schnippchen geschlagen. Und ja, man muss sich darum kümmern, dass die Erben wissen wo sie hinlangen müssen, damit sie die Bilder finden. So man Erben hat, die sich darum überhaupt einen feuchten Kehricht scheren. Was allein in meiner Bekanntschaft Diasammlungen und Fotoalben im Müll gelandet sind, weil es den Erben wurscht war – kann man nicht verkaufen, also wech damit….

  3. Für die privaten Aufnahmen gibts noch ein anderes Problem für die Erben: wer ist das?
    Ich habe kürzlich ein Foto aus dem Besitz meines gerade verstorbenen Onkels von einer Familienfeier bei meinen Eltern bekommen und konnte mir gerade noch so zusammenreimen, wer da drauf ist und anhand der Kleidung wann es wohl entstanden ist. Vermutlich am/um den 40.ten Geburtstag meiner Mutter Mitte der 70 Jahre. Von den Fotografierten kann ich niemand mehr fragen. Meine Kinder kennen die Oma nur viel älter, die anderen gar nicht. Also nicht nur abfotografieren/digitalisieren sondern wirklich auch Namen/Orte/Daten dazu.
    Die Schwarz-Weißaufnahmen von meinen Großeltern und deren Sippschaft sind aus den 1920-1950er- da wird es schwierig herauszufinden, wer Opa, Oma, Großtante etc. war.

    1. Ich habe das gleiche Problem. Ich löse das so: Ich digitalisiere alles, auch fotografischen Schrott und versuche die Bilder soweit möglich, Jahren zuzuordnen. Gelegentlich tauchen dann Fotos auf, die hinten beschriftet sind. Die werden verschlagwortet. Und zum Schluss lasse ich die KI (Excire) drauf los und ähnliche Gesichter suchen. Dann wird die nächste Runde verschlagwortet.
      Und mit der Zeit kann man dann so die Bilder nach und nach auch in die entsprechenden Jahre zuordnen. Unbeschriftetes Foto einer wilden Fete? Da gab’s doch im gleichen Jahr ein offizielles Hochzeitsfoto – ahhh – siehe da, schon habe ich den Anlass und den Ort und weiß, wer der Typ im weißen Hemd ist.
      Ach ja, bei Excire drauf achten, dass man dann nach der Verschlagwortung die Metadaten auch in die Bilder schreiben lässt, sonst gibt’s die Schlagworte nur innerhalb Excire.

      1. Nun, ich nutze keine KI zur Gesichtserkennung, trotzdem gehe ich vielleicht noch einen Schritt weiter. Nicht nur IPTC-Verschlagwortung, sondern ich ziehe auch MWG-Gesichtsrahmen auf. Dann weiß ich hinterher, welche der vielen Gesichter auch zu den Namen passt. Zum Glück leben noch ein paar Zeitzeugen, die man fragen kann… keine Ahnung, ob das Excire auch leistet. Wäre schön, wenn sich das endlich mal durchsetzen würde.
        Apropos Digitalisierungssicherheit: Vom MWG-Konsortium findet man die Richtlinien nur noch in Archiven, alte kompliziertere Formate wie PCD kann kaum mehr ein Programm lesen, obwohl sie auf 6 MPix bessere Qualität ablieferten als Consumer Dia-Scanner mit 14 MPix. Wer die alten Kodak-Scheiben noch hat, Dateien sichern und um konvertieren. Haben immerhin eine Farbtiefe von 12-bit.
        Zu den Dateiformaten allgemein. Solange es eine gute Dokumentation dafür gibt, kann man es nachbauen. Manche Dateiformate sind so einfach (BMP, PCX, TIFF), dass es mit ein bisschen wissenschaftlicher Arbeit einmal Archäologen möglich sein wird, den Kram zu dekodieren, sofern sie das Medium noch lesen können. Aber genau hier beißt es vermutlich aus… selbst optische Medien überleben nicht lange genug unbeschädigt. Aber will ich, dass meine Dateien in 500-1000 Jahren noch lesbar sind?

  4. Hallo Reinhard,
    ich würde mich freuen mal einen Blogpost darüber zu lesen, wie Du bei der Digitalisierung von analogem Material (Negativ, Dia, Papierabzug) vorgehst.

  5. Das Sichten so alter Schätze ist spannender und inspirierender Zeitvertreib. Nachdem ich ca. 8.000 Bilder aus Familienbeständen digitalisiert hatte (und die Verwandtschaft hierzu interviewt habe), ist mir ein wunderbarer Zufallsfund in die Hände gefallen. Auf dem Trödelmarkt habe ich einen (etwas versteckten) Karton mit alten Farbdias aus den 1950er entdeckt und für einen(!) Euro erstanden. Hunderte alte Dias aus dem Ruhrgebiet der 50er und 60er Jahre zeigen das Leben der „normalen“ Menschen. Keine Inszenierung, einfach mal die Familie im Schrebergarten beim Grillfest oder beim Sonntagsspaziergang abgelichtet. Ein einsamer VW Käfer alleine auf der Autobahn, sonst weit und breit nichts. Die Familienbilder (der mir völlig unbekannten Menschen) regt zum phantasieren an, was hatten die wohl für ein Leben, was haben die sich erzählt? Und ich bin erstaunt, welch gute Qualität die Dias noch (schon) hatten.

    Wollt ich nur mal so beigetragen haben… Gruß aus dem Ruhrgebiet.
    Ralf

    1. Nach solchen Kartons voll alter Bilder fahnde ich auch auf Flohmärkten. Für mich sind gerade private Bilder Blicke in die Vergangenheit, oft ohne daß der Photograph dabei eine bestimmte Aussage treffen wollte. Damit habe ich mehr “Raum” die Sache unbeeinflusst zu betrachten.

      Gruß,
      Dirk

  6. Ja Reinhard, historische Fotos sind so faszinierend ! Habe selber welche von meinen Eltern (u.noch weiter zurück). Meine Mutter selig hat gottseidank ihre alten Fotos mit Bleistift hinten beschriftet und uns auch so viel ezählt. Gescannt habe ich die Fotos bereits u. teilweise etwas restauriert; muss nur noch das Fotobuch machen.
    2018 führte ich in meinem kleinen Dorf (330 Einw) ein Projekt durch: Historische Fotos der jetzigen u. ehemaligen Bewohnern auszuleihen u. digitalisieren (haupts. scannen), inkl. Info beschaffen durch Interviews u. Recherchieren im e-Archiv einer lokalen Tageszeitung. Resultat: Sammlung von gut 900 Fotos, eine Ausstellung von ausgewählten Fotos im Gemeindehaus u. ein Fotobuch. Es war extrem aufwendig, aber auch interessant, die vielen Geschichten zu hören. Die Leute schätzen es sehr. Kann sowas nur empfehlen.
    Gruss an Alle
    Georg

  7. Hallo Reinhard,

    dem Text nach dem letzten Foto stimme ich 100%ig zu.
    Mindestens die Hälfte meiner Fotos sind dokumentarisch, die nichts besonderes (für die heutigen
    Menschen) zeigen.

    Ich versuche momentan den Straßenverkehr zu dokumentieren (KFZ-Dichte und KFZ-Größe auf den
    heutigen Straßen), weil es sein könnte, dass in einigen Jahrzehnten nicht mehr so viele Autos
    auf den Straßen geben wird oder zumindest keine, die so groß sind wie jetzt (Stichwort: SUV).
    Mit einem Video kein Problem – einfach die Kamera für ein paar Minuten auf Stativ aufstellen.
    Bei Standbildern muss man aufpassen, ob man die Rot- oder die Grünampelphase, sodass man eine
    Reihe von Standbildern (mit einem bestimmten zeitlichen Abstand zu einander) anfertigen muss.

    P.S.:
    Ich werde demnächst in Berlin sein. Falls du einen Vergleich haben willst und die Adressen (und
    die Brennweiten) kennst, wo (und wie) die beiden Berliner Fotos gemacht wurden, dann würde ich
    an diesen Orten vorbeischauen, aktuelle Fotos machen und dir zuschicken.

    P.P.S.: Entstand das Berlin-Foto (ALDI und U-Bhf Zoo im Bild) von einem Doppeldeckerbus aus?

  8. Hallo Markus,
    Kommentator Wolfgang – im heutigen Blog (08.01.24) eine Beitragsetage über Dir – hat mich auf diese gar nicht alte Fährte zurückgeführt. Mit deiner Anregung nach Diskussion über die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung von analogem Material sind wir hiermit schon zu zweit. Leider fehlt noch etwas das Echo.
    Alle anderen Beiträge sind ebenfalls interessant und zeigen, dass hier wohl viele Althasen (Lepus europaeus fotograficus analogus) unterwegs sind, denen der Wert solcher Dokumente durchaus bewusst ist.

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