Fotografieren bei Kälte.

Auf meinen Artikel zu OM-5 und Minus 15° habe ich einiges an Feedback erhalten. Nicht nur in den Kommentaren, sondern auch per Mail. Vielen geht es ähnlich. Eine der Mails ragte aber heraus. Da hat mir ein Arzt mal aus der Praxis etwas zu den „Fotografenhandschuhen“ geschrieben, die oft verwendet werden. Fingerhandschuhe mit offenen Fingerspitzen und einem Schutz dafür, der darüber geklappt wird und das Ganze dann von außen aussieht wie Fäustlinge. Hier die Mail:

Die zitierten Fotografenhandschuhe halte ich insofern für kritisch, weil der Wärmeschutz der eigentlichen Hand (ohne Finger) dem Träger einen Wärmeschutz vermittelt, der für die Finger nicht gilt. Das Tückische an der Erfrierungspathologie ist  der Umstand, dass nach anfänglichem Kälteschmerz an den Fingerspitzen irgendwann eine Beschwerdefreiheit einsetzt, die eine Adaptierung der Finger an die Kälte suggeriert. Tatsächlich ist aber bereits ab diesem Zeitpunkt durch die Kälteanästhesie der Nervenenendigungen in den Endgliedern der Erfrierungsprozess bereits im Gange, eine gewisse Dysfunktionalität der Finger wird erst später bemerkt.

Ich lege bei den Fall eines Patienten, der infolge einer Erfrierung seiner Finger  im Erfrierungszentrum unserer Klinik in XXX behandelt wurde.  Er war im März YYYY auf geführter Skitour unterwegs und hatte als engagierter Fotograf tagsüber bei  -18°C  immer wieder die Kappe seiner Winter-Fotografenhandschuhe zurückgestülpt zur Bedienung seiner Kamera. Nach anfänglichen Kälteschmerzen vor allem an seiner Führungshand  wurde die Skitour irgendwann wegen Kälte abgebrochen, der Patient wurde dann wegen zunehmender  Gefühllosigkeit und mittlerweile erneuter Schmerzen an den Händen am Abend in unserer Klinik vorstellig.

Erfrierung Hand bei Aufnahme

Ich bin außerhalb dieses Vorfalls mehrfach auf die Problematik mit diesen Umstülp-Fotografenhandschuhen angesprochen worden, ich halte diese  für wenig nützlich. Am besten sind meiner Erfahrung  nach ganz dünne Wollhandschuhe für die Akutbedienung der Kamera, nach Ausschlüpfen aus einem wirklich warmen Fäustling. Falls das nicht reicht, ist man an einem Punkt angekommen, ab dem die Gesundheit Priorität haben sollte vor einem Weltmeistertitel in Fotografie bei amputierten Händen.

Angiographie der Hand; dort, wo die weißen Striche der arteriellen Gefäße Richtung Fingerspitze enden, ist die Durchblutung abgebrochen, das weiter  periphere Gewebe stirbt ab.

Aus eigener Erfahrung kann ich noch hinzufügen – selbst wenn es nicht so aussieht, wie da oben und man nach Erfrierungen noch alle Körperteile behalten kann – es kann sein, dass die Nerven dauerhaft geschädigt sind und man dann kein Gefühl mehr in den Fingern hat. Auch das Nagelbett mag Erfrierungen gar nicht. Und die Schmerzen, die solche Gliedmaßen verursachen, wenn sie wieder auftauen – das kann man in etwa damit vergleichen, dass man sich alle paar Minuten mit dem Hammer auf die Finger haut – gerade dann, wenn der Schmerz gerade nachlässt.

Sorgt also immer dafür, dass ihr die Kälte an den Fingern/Zehen spürt und haltet sie warm. Sobald ihr die Kälte nicht mehr spürt, ist es allerhöchste Eisenbahn, die Extremitäten zu wärmen, bis sie wieder durchgewärmt sind. Da hilft nicht, einfach Handschuhe drüber ziehen. Wenn keine Durchblutung mehr stattfindet, kann der Körper die Finger auch nicht mehr wärmen. Hosentasche. Mindestens.

Für Erfrierungen sind gar keine 40 Grad Minus notwendig. Ein bisschen Wind reicht da völlig. Das Stichwort lautet Windchill. Im verlinkten Artikel gibt es eine sehr eindrucksvolle Tabelle zum Thema. bei -10 Grad reichen bereits 25km/h Windgeschwindigkeit (egal ob „Echter Wind“ oder Fahrtwind) für Erfrierungen.

Passt auf euch auf.

5 Replies to “Fotografieren bei Kälte.”

  1. Danke für diese schockierenden Infos – gut zu wissen! Das ist aus meiner Sicht bei der OM-1 (und ihren Vorgängern) gut gelöst, die kann ich auch mit dünnen Lederhandschuhen noch gut bedienen, nur die Tasten auf der Rückseite benötigen etwas Geduld. Mit meiner Exkurs zu Fujifilm hatte ich da große Probleme – die beiden Einstellräder der X-T3 hatten zu wernig Grip und gleichzeitig war der Druckschalter der Räder zu empfindlich – mit kalten Händen micht bedienbar,it Handschuhen noch weniger. Nun weiß ich zu schätzen, dass bei der OM-1 die Einstellräder nicht drückbar sind, sondern nur eine Funktion haben, dafür in gut.

  2. Danke für die Warnung Reinhard, ich habe es noch nie verstanden, wieso ich ausgerechnet die empfindlichen Fingerspitzen nicht schützen soll. Es gibt auch dünne Handschuhe aus „Softshell“ wie das neudeutsch heißt.

    Meine Lieblinge sind die hier in Neongelb wegen des Aufdrucks: https://shop.glckskind.de/reflektierende-fahrrad-handschuhe/ Die funktionieren auch bestens auf Touchscreens.

    Ein Grund warum ich seit der E-1 einstellige und nun eben 1er verwende. kann man mit dünnen Leder- oder eben Stoff-Handschuhen problemlos nutzen.

  3. Ganz herzlichen Dank für solche Warnung. Zwar habe ich solche Handschuhe aber zuletzt viel lieber die ganz normalen Fingerhandschuhe genommen und meine OM-1 lässt sich gut bedienen. Es war -10 Grad kalt, auch diese sollte man nicht unterschätzen!
    Viel besser mit den normalen Handschuhen kann man an der E-M1 X bedienen, die Einstell-Räder sind im Gegensatz zur OM-1 gummiert.
    Und: Meine Finger sind für mich, wie du sicherlich weißt, für die Kommunikation sehr wichtig.

  4. Ich hab gerade eine Alternative gegen kalte Finger bekommen, die ich im Jänner ausführlich testen werde. Werde dann hier drüber berichten.
    An sich kann ich die E-M1ii auch mit wirklich dicken Handschuhen rudimentär bedienen. Auslöser, Zeit und Blendenrad sind halbwegs zuverlässig bedienbar, wenn ich auch kaum davon durch die dicken Handschuhe spüre sondern eher durch die Reaktion der Kamera weiß, was ich getan habe. Die 5-Wege Tasten sind damit jenseits der Hoffnung auf vorhersagbare Effekte. Dafür muss man aus den dicken Handschuhen raus.
    Mein bisheriger Ansatz war, dünne Handschuhe aus Wolle oder Fleece unter den dicken Handschuhen anzuziehen und die Dicken kurz auszuziehen, wenn Gefühl verlangt wird.
    Diesmal habe ich spezielle Unterzieher im Einsatz und werde vergleichen.

  5. Erschreckende Bilder, erschreckende Informationen, direkt vom Fachmann. Danke fürs Teilen.
    Weil ich mit meinen Fotohandschuhen von der HEAT Company nicht wirklich „warm“ geworden bin (dank der Touchscreen-tauglichen Beschichtung an Daumen und Zeigefingern habe ich so gut wie keinen Grip an den Einstellrädern) hatte ich tatsächlich schon überlegt, mir solche Umklappdinger zu besorgen.
    Bin gespannt, was Helge zu berichten hat.

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