
Das Typorama in Bischofszell ist ein typisches Beispiel eines Museums, das aus der Sammelleidenschaft eines Verrückten entstanden ist. Ursprünglich mehr so im eigenen Schuppen aufgebaut, ist das irgendwann aus allen Nähten geplatzt und nun seit ein paar Jahren auf dem Gelände einer alten Papierfabrik beheimatet.

Wie das halt so ist, wenn man Zeug sammelt, das anderen Leuten im Weg rumsteht, spricht sich das rum und dann ist da auf einmal ein LKW mit ein paar Tonnen Eisenschrott vor der Tür.
Die Leute, die das Museum betreuen, versuchen alles, um es “am Laufen” zu halten. Sprich, die Maschinen sind fast alle funktionsbereit und auch regelmäßig in Betrieb, denn in diesem Museum wird gedruckt. Und gesetzt. Da laufen noch Dinosaurier rum, die Schriftsetzer gelernt haben. Die die Maschinen reparieren können.
Ich habe gefragt, ob es da Nachwuchs gebe. Nö. Den Ausbildungsberuf gibt es nicht mehr. Niemand lernt das mehr, wenn die Leute, die das heute noch machen, ableben, ist dieses Handwerk schlicht ausgestorben. Dann werden die Maschinen Staub ansetzen und viele Dinge, die heute noch hergestellt werden, gibt’s dann nicht mehr. Und innerhalb kurzer Zeit wird niemand auch nur noch feststellen können, ob eine Maschine kaputt ist.
Also wer diese Geräte in Betrieb sehen will – noch geht das.

Das hier ist eine NeoType “Rossija”. Eine russische Version der Linotype 16. Baujahr 1989 – allerdings mit einigen Features, die die Lino nicht hatte. Diese Maschine war für das Druckhaus Karl-Marx-Stadt bestimmt (früher VEB Buchdruck- und Klischeewerkstätten) und wurde auch geliefert. Nur stellte die Druckerei gerade auf westliche Technik um so landete die Maschine originalverpackt Ende der 90er im Typorama in St. Gallen. 2001 wurde sie dann als wohl letzte fabrikneue Bleisatzmaschine der Welt aufgestellt und in Betrieb genommen.
Das Typorama ist käuflich. Genauer: Man kann mit einer Fotografengruppe dort einfallen und die Drucker und Setzer bei der Arbeit knipsen. Man muss halt vorher Bescheid sagen, dass die “Fronarbeiter” auch alle da sind. Und ja, die heißen wirklich so. In Deutschland sind das mitarbeitende Vereinsmitglieder. Also “Ehrenamtliche”. Wobei der Schweizer Ausdruck” durchaus was für sich hat.
Und ja, ein bisschen Druckerschwärze im Blut, Begeisterung für Papier und Druck und Typografie hilft, wenn man in das Museum geht. Und/oder Begeisterung für Mechanik.
Und Maschinen, bei denen man noch alles sah.

Das hier ist eine lochstreifengesteuerte Zeilengussmaschine.
Dieser ganze Aufwand hatte einen riesigen Vorteil gegenüber den heutigen Verfahren: Es haben vier Leute über jede Zeile gekuckt, bevor das Zeug zum Kiosk ging. Journalist, Redakteur, Setzer, Drucker. Und trotzdem haben es die Zeitungen geschafft, Morgen- und Abendausgaben herauszubringen. Gedruckt.
Irgendwann sind wir falsch abgebogen.
Kann sich heute kaum jemand vorstellen das so Zeitungen gemacht wurden. Als ich die Fotos sah kam mir sofort dieser typische Buchdruckerei Geruch in die Nase. Ich hatte mal diesen Beruf erlernt. Das Geratter der Bleisetzmaschinen war immer ein schönes Geräusch.
Gibt’s bei uns auch – das Original 😉
Als Schüler durften wir die Maschine in der Tauber-Zeitung (gehört jetzt zu den Fränkischen Nachrichten) im Einsatz begutachten.
https://visit.bad-mergentheim.de/de/kultur-schloss-genuss/ottmar-mergenthaler-museum/
Ja, Schriftsetzer war ein schöner, spannender Beruf. Du warst, Grafiker und (praktischer Um-) Setzer in einer Person. Dem “klassischen” Berufsbild wurde in den1980ern (ging aber schon in den 1970ern los) primär durch den Fotosatz (Linotype ect.) und Wirtschaftskrise entgültig der Garaus gemacht. Wer mal in einer Akzidenzsetzerei (Ich rede hier vom Bleisatz!) gearbeitet hat, leidet vermutlich ewig an einer gewissen Wehmut, wenn er/sie daran denkt. Ich selber bin mit einer zweiten Ausbildung in den Maschinenbau gegangen – auch nicht schlecht, aber kein Vergleich (schluchtz). Darauf einen Schoppen Milch!
Moin, moin
gibt es in kleinerer Form auch im Museum der Arbeit in Hamburg, dort gießt der vorführende (meist recht junge) Ehrenamtliche Lettern aus Blei und führt verschiedene Satzmaschinen vor, auch Druckvorführungen incl. Offset auf GROSSEN Maschinen gibt es. Gegen kleine spenden kann man Lettern mitnehmen, sich Karten drucken lassen, fotografieren ,..
https://www.shmh.de/offene-werkstaetten/
https://www.shmh.de/veranstaltungen/satz-und-druck/760/20250830-1400/
Grüße
tom
Hoi Zäme
Danke Reinhard für diesen Beitrag. Ah, so faszinierend, diese alten Maschinen, und so fotogen.
Hier ein weiteres Industrie-Denkmal, auch in der Ostschweiz: Die “Nagli” (Nagelfabrik) in Winterthur. Mit teilweise sehr alten Maschinen noch angetrieben über Keilriemen. Teil der Fabrik mit modernerer Ausrüstung ist immer noch in Betrieb und produziert für den Markt.
Fotografieren ist erlaubt, aber etwas schwierig bei den normalen Führungen. Besser ist man geht mit einer Fotografen-Gruppe dort hin und macht eine Privatführung. Weitere Informationen über folgende Webseiten:
https://industriekultur-winterthur.ch/site/nagelfabrik/
https://nagelfabrik.ch/
Grüsse
Georg
Habe vor einiger Zeit ein solches Museum in Frankreich besucht. Es ist immer wieder ein Erlebnis und ich liebe das taktile Gefühl, mit dem Finger über die gedruckten Zeilen zu streichen.
Wer einmal mit der Schwarzen Kunst in Berührung war, vergisst das nicht so leicht.