Das Thema ist nicht neu und einen Haufen klugscheißender Blogger wie ich haben sich schon dran abgearbeitet. Meistens indem sie die Niveaulosigkeit des Rests der fotografierenden Spezies beklagt haben. Kann ich natürlich auch, ist aber billig, weil man immer wen findet, der noch schlechtere Bilder macht als man selber – und bisweilen muss der Klage führende Blogger nicht mal selber liefern, sondern kann einfach nur draufloslamentieren. Der Untergang des Abendlandes und so. (By the way: Als wir anno 2000 die Massendigitalisierung von Büchern erfunden haben um den Verlust durch versäuertes Papier zu stoppen, haben wir uns Firmen-Sweatshirts machen lassen „Wir retten die Kultur des Abendlandes – und was machen Sie Schönes?“ Ich bin ein bisschen sauer, dass ich mit dem Slogan nicht mehr rumlaufen kann, ohne dass ich mit gewissen Dumpfmeistern in einen Sack gesteckt werde. )
(Was das mit dem Blog zu tun hat? Damals lieferte Olympus die vom PC ansteuerbaren Kameras, mit denen unser Scanner lief.) Ok. Zurück zum Thema. Dem Foto da oben. Das habe ich letzthin just for fun in eine öffentliche Bildbesprechung geschickt, in der sich ein paar Pro-Fotografen dran abarbeiten konnten. Sie fanden es ziemlich geil und baten mich, eine Serie draus zu machen. Das Bild ist ein typischer Vertreter der „Wir warten drauf, dass die Pizza endlich kommt und spielen mit unserem Fotokram rum“-Bilder. Es ist die Tischdeko im Pizza-Garten in Zingst, dahinter sitzt Cosima, fotografiert mit dem 50mm 1,4 OM. Von wegen, man kann mit FT nicht freistellen… Ist das Kunst? Nein, es ist ein völlig belangloses Bild, das lediglich auf Effekterlens beruht. Krasse Unschärfe, krasse Kontraste, keine Aussage, kein Bildinhalt. Es spricht irgendwelche archaischen Urängste an – eine Art Billig-Horror. „Da ist was, das könnte gefährlich sein…“ . Nein, ich mache keine Serie draus.
Bei Workshops finde ich die Bildbesprechung hinterher immer nett – da spricht der Workshopleiter davon, dass er ein Bild „Sehr cool“ oder „sexy“ findet. Ich habe nie gehört, dass er gesagt hätte, ein Bild hätte ihn „berührt“. Vielleicht liegt es daran, dass in Workshops nie Zeit für berührende Bilder ist. Da zeigt das Model eine künstliche Fassade, die mit künstlichem Licht erleuchtet wird und hinterher wird noch mit Photoshop drübergebügelt, damit ja nicht Menschliches mehr dran ist. Selbst wenn man auf Retusche und künstliche Posen verzichtet, kommt meistens nichts anderes raus – als eben Plastik:
Was stimmt da dran nicht? Da stimmt nichts. Das Radio ist defekt, die Dame spielt nicht Bass und ihre Ausstrahlung hat nichts mit dem zu tun, was im Bild ist. Man könnte mit Janine berührende Bilder machen, sie hat eine Ausstrahlung, die einen vom Stuhl reißen kann. Aber wenn es mir gelingt, diese Bilder zu machen, dann zeige ich sie nicht im Internet. Das folgende Bild ist meiner Meinung nach ein Ansatz in die richtige Richtung, ein „Memento Mori“.
Es bezieht seine Wirkung nicht aus einem voyeuristischen Eindringen in die Privatsphäre des Models, sondern aus dem Bildaufbau. Außer der genauen Form des Nebels im Hintergrund ist hier nichts dem Zufall überlassen. Bei einer Bildbesprechung war die Frage, ob eventuell das Sensenblatt noch stärker herausgearbeitet gehört hätte – etwa mit einem zweiten Snoot – aber mittlerweile habe ich mich dagegen entschieden. Die Sense hat in diesem Bild Teepause – man muss sie nicht in den Vordergrund schieben. Ist das nun Kunst, oder kann das auch weg? Kitsch? Kommentar zur augenblicklichen Weltlage? Ich weiß es nicht. Das Bild entstand am 8.11.2015. Fünf Tage später war die Teepause beendet und die Sense in Paris im Einsatz.
Worum geht’s mir nun? Workshops und Plastefotos haben ihre Berechtigung – man lernt dabei, mit Licht umzugehen und seine Kamera zu bedienen. Und auch solche Kneipenspielereien wie oben haben ihre Berechtigung – solange man nicht übertreibt und überhaupt nur noch die eigene Kaffeetasse und die eigene Pizza knipst – weil die nicht wegläuft. Aber man sollte sich nicht damit zufriedengeben. Workshopergebnisse sind „Cool“, manchmal auch „sexy“ aber eben nicht mehr. Und wenn man die englischen Wörter übersetzt, dann wird klar, was man da wirklich fotografiert hat. Nehmt die Bilder aus den Workshops, analysiert sie, und dann sperrt sie in den Giftschrank. Es sind meistens nicht eure Bildideen – und meistens sind die Bildideen auch noch banal und nur auf Effekt aus. Denn manche Workshopteilnehmer beurteilen einen Workshop nicht am Lerneffekt, sondern daran, wieviel „geile Bilder“ sie mit nach Hause nehmen. Und der Leiter will natürlich gebucht werden, also sorgt er dafür, dass solche Bilder geknipst werden können. In der Lebensmittelbranche heißt sowas „Glutamat„.
Das hier ist aus einem Workshop, bei dem es nicht drum ging, „geile Fotos“ mitzunehmen, sondern einfach nur den Effekt von Licht zu demonstrieren. Kunst? Nein. Eine Fingerübung. Nicht mehr. Hat das Bild eine Bedeutung? Nein. Hat es eine Wirkung? Ja, es wirkt bedrohlich. Aber eben nur ein bisschen. Billig-Horror eben. Und jetzt machen wir einen kleinen Versuch:
Überraschung. Das wirkt doch gleich viel intensiver, oder? Dabei ist es nur ein simpler Ausschnitt. (Tip: in Vollansicht ankucken) Warum wirkt es anders? Weil hier die persönliche Wohlfühlgrenze unterschritten wurde. So sieht man einen Menschen nur, wenn man ihm sehr, sehr nahe ist. Und im Allgemeinen kommt man nur Menschen so nahe, denen man sehr vertraut ist. Das Hirn stellt also im Umkehrschluss eine Vertrautheit mit der Person her – und Bingo, „Glutamat“. Das gelingt immer und klebt nicht. Stell Dein Zoom auf volles Rohr und hinterher noch einen Ausschnitt mit „American Cut“ (Haaransatz abschneiden) oder noch enger, und Dein Porträt ist „Cool“. Vielleicht noch den Kontrast ein bisschen verstärken, so dass die Hautstruktur besser rauskommt.
Kleines Problem: Man sollte es schriftlich haben, dass man so ein Foto auch veröffentlichen darf.
Und nun die Frage: Ist so ein Porträt Kunst? Wo genau ist da die Aussage des Künstlers?
Oder kann das weg?