Essay: Abenteuer Fotografie

Immer mal wieder gehe ich in die örtliche Telefonzelle und sehe, was andere da abstellen. An Büchern. Letzthin stand da „Abenteuer Fotografie“ von Steffen Böttcher. Ladenneu, anscheinend nie gelesen, Wohl eines der wohlmeinenden Weihnachtsgeschenke für Fotoapparatebesitzer, korrigierter Nachdruck 2012.

Böttcher habe ich nie kennengelernt. Meine einzige Verbindung zu ihm ist eine Fotografin, mit der ich öfter zusammengearbeitet habe und die bei ihm ein Wochenende „Kurs“ belegt hatte. Irgendwann um 2013 oder 2014 rum. Und die hat mir einen ausführlichen schriftlichen Bericht geschickt.

Böttcher hat bis vor ziemlich genau zwei Jahren einen Blog betrieben unter „Stilpirat.de“ . (Übrigens durchaus auch mal stöbernswert… Sein erster Blogbeitrag datiert vom 26.11.2008!) Er hat dann anscheinend midjourney und KI entdeckt und kurz darauf den Blog eingestellt. Dafür fotografiert er jetzt „Business“. Also Fotzenfritze und den Markus aus der 9b.

Und dieses Buch lagert bei mir nun seit Wochen aufm Klo. Das sind immer so zwei bis vier Seiten Stories zu Fotografie. Nicht „How To“, sondern einfach ein paar Schlagworte in den Raum geworfen, ein paar mehr oder weniger passende Bilder dazu und ne Story zu seinen Kunden.

Ich bin Fachautor und beurteile Fotobücher nach technischen Aspekten: Erzählt der geneigte Kollege technischen Blödsinn oder nicht. Die meisten tun das und Böttcher ist da keine Ausnahme. Wer ein Fotolehrbuch sucht, ist da völlig falsch unterwegs. Ein Zitat: “ Ich liebe den morbiden Charme von 6×6-Aufnahmen“. 6×6-Aufnahmen haben keinen eigenen „Charme“. Weder einen morbiden, noch sonst einen. Und wenn man sie in einem Buch auf 10x10cm abdruckt, dann ist es völlig wurscht, ob das aus dem Handy stammt oder aus der Bronica.

6×6-Aufnahme mit „morbidem Charme.“ Nürnberg 1949

Die Geschichtchen vom „Stilpirat“ sind amüsant und meinungsstark aber es ist verständlich, dass das Buch aussieht, wie aus dem Laden. Warum ich aber trotzdem nen Artikel dazu schreibe?

Er definiert „Die Fotografie“ als eine Art „Muse“, die ihn „geküsst“, und mit der er lange Jahre gekämpft hat. Für mich eine seltsame Auffassung eines technischen Vorganges. „Die Fotografie“ ist ein bildgebendes Verfahren mit rein physikalischen Grenzen. Durch die moderne Technik werden diese Grenzen nicht „hinausgeschoben“. Der „Fortschritt“ findet im digitalen Raum statt, also in der Bildbearbeitung. Selbst LiveComposite, das ich persönlich als die letzte große Erfindung in der künstlerischen Fotografie betrachte, ist ja eigentlich nichts anderes, als die Überlagerung hunderter Bilder statt im Computer in der Kamera. (Und niemand hat LiveComposite wirklich in einer Kamera zu Ende gedacht.) Fotografie ist keine „Muse“, mit der man kämpft. Es ist ein Vehikel um von A nach B zu kommen. Und wenn man nicht Autofahren oder mit den 1000PS unter der Haube nicht umgehen kann, dann landet man halt am Baum. Dumm gelaufen, gefahren oder fotografiert.

Der „Kampf“ findet auf persönlicher Ebene statt. Wie nehme ich ein Motiv wahr. Wie will ich es darstellen. Kann ich mit meiner Technik zu dem vordringen, was ich als den Kern des Motivs betrachte.

Der Punkt dabei ist, dass das subjektiv ist. Ich nehme das Motiv wahr, es löst in mir Empfindungen aus. Diese will ich abbilden, transportieren. Ein Maler verwendet dazu den Pinsel und seine Palette, ich verwende als Fotograf Licht und Perspektive. (Blende und Belichtungszeit und vielleicht noch Filmkorn, ja, nett, aber wenn die ersten beiden Parameter nicht stimmen, kann ich mit dem Rest auch nichts mehr retten.) Der „Kampf“ besteht darin, Licht und Perspektive so zu gestalten, dass das „Wollen“ des Fotografen sichtbar wird. Dies ist – so albern es klingt – Handwerk. Wer das nicht beherrscht, bei dem sind die Ergebnisse vom Zufall bestimmt. Da kann was Gutes bei rumkommen, aber eben nicht wiederholbar.

Ich war Anfang der 80er bei einem Fotografen für Passbilder für eine Bewerbung als Tonstudiotechniker. Der Typ hat mich gefragt ob bei den Fotos meine „künstlerische Seite“ rauskommen solle. Ich dachte, das wäre als Kompliment gedacht, oder als Schmeichelei für den Kunden. Habe gesagt „Ja klar“ und als Ergebnis erhielt ich Fotos, auf denen ich aussah, als hätte ich gerade einen besonders feinen Dübel eingepfiffen und wäre richtig, richtig gut drauf.

Wer wirklich fotografieren kann, für den findet der Kampf nicht mehr mit der Technik statt. Die wird nicht mehr im Kopf beherrscht, das machen die Finger alleine. Frag mal einen Boogie-Pianisten, was seine linke Hand da macht. Wer sein Licht und seine Perspektive kann, der wartet, bis das Licht passt oder stellt Licht auf und steht dann am richtigen Punkt, dass das alles funktioniert. Der Kampf findet bei der Auffassung des Motivs statt. Wie empfinde ich das. Kann ich das transportieren. Was von meiner Empfindung hat überhaupt mit dem Motiv zu tun, was davon ist meiner Tagesform geschuldet oder dem Beef, den ich vor zwei Stunden mit der Politesse hatte. Kann ich das Motiv unvoreingenommen betrachten. Kann ich es vielleicht in Bezug zu genau dieser Politesse setzen? Will ich das überhaupt?

Und dann die Überlegung: fotografiere ich für mich? Für andere? Gar für Kunden? Kann ich, wenn ich für andere fotografiere, Symbole einsetzen? Wenn ja, welche würden verstanden werden? Wie stark darf ich die gewichten? Oder ist mir alles einfach wurscht, und ich fotografiere diese Situation einfach für mich und setze die Symbole ein, die nur ich verstehe?

Nicht die Fotografie ist das „Abenteuer“. Der Kampf muss zuerst im eigenen Wollen stattfinden. Die Umsetzung ist dann „Straightforward.“ Mit der Fotografie ist die Umsetzung einerseits einfacher als mit dem Pinsel – weil man eben nur auf den Auslöser drückt – andererseits handwerklich anspruchsvoller, weil ich eben nicht Dinge mal kurz weglassen oder dazumalen kann. Das ist genau der Punkt, an dem die EBV-„Künstler“ solchen Gegenwind ernten – sie müssen sich nicht mit aufwendigen Lasurtechniken, Trocknungszeiten und sicherem Strich befassen – und kommen eben auch um die handwerklichen Herausforderungen der Fotografie rum. Die Leute, die sich mühsam das Handwerk draufgeschafft haben, werden rechts von Nichtskönnern überholt, die mittlerweile nur noch einer KI den Auftrag geben, irgendwas zu machen und hinterher was blubbern, prompten sei ja sooo aufwendig.

Es gibt diesen berühmten Spruch des Vaters, der vor einem Kunstwerk steht und sagt „Das sieht so aus, wie das was mein Sohn an die Flurwand geschmiert hat. Dafür hat er den Hintern vollgekriegt“, den es in den verschiedensten Variationen gibt. Es gibt das Foto eines Schmetterlings vor Sonnenaufgang – in gefühlt tausendfacher Ausfertigung. Manchen gelingt es, in dieses Bild den Geruch der Wiese hineinzupacken, die feuchten Lederschuhe, die Grasflecken auf der nassen Jeans. Dieses leichte Frösteln, das der vagen Hoffnung auf die wärmende Sonne Platz macht.

Das kriegt man nicht hin, solange man noch mit „der Fotografie“ kämpft. Das funktioniert erst dann, wenn man Fotograf ist und das Motiv mit allen Sinnen sehen, fühlen und abbilden kann.

Mittlerweile wird oft technische Unvollkommenheit als Kreativität definiert. Es wird mit abgelaufenen Filmen fotografiert, man verwendet bewusst Objektive mit haarsträubenden Abbildungsfehlern, man wackelt, stellt unscharf und ist der Meinung, dass das Ergebnis cool sei. Naja, in den allermeisten Fällen ist es eben blanker Zufall. Bestenfalls „sieht aus, wie … „. Ist aber nicht.

Nichts gegen unscharfe Fotos. Nichts gegen Verwischer, alles fein. Aber man hat gutes Equipment, weil man die Kontrolle über das Ergebnis hat. Schlechter geht immer, aber wenn man das Ergebnis durch bewusst miese Technik limitiert, dann macht man sich lächerlich. 1954 hat mal ein 2CV bei der Rallye Monte Carlo mitgemacht. Startnummer 319. Platz in der Endwertung: 323. Vor der Rallye waren sie gerade von Kapstadt nach Algier getuckert. Und von dort eben weiter nach Oslo, wo das Rennen losging.

Klar, die Ente war ein Hinkucker, die Leute haben gegrinst. Und es war allen klar, das war ein Gag. Wenn Bernier und Duvey ernsthaft vorgehabt hätten, die Rallye zu gewinnen, hätten sie sich einfach nur lächerlich gemacht. Ja, mit unterlegenem Material mitspielen hat seinen Reiz.

Aber Van Gogh hat an allem gespart – aber nicht an seinen Pinseln und seinen Farben.

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