Die Platten werden aufbewahrt

Ich digitalisiere ja so nebenher einen Monsternachlass. Fotos von kurz nach der Erfindung der Fotographie in allen denkbaren Formaten. Glasplatten, Dias, Negative maskiert und unmaskiert, alles halt. Und gerade bin ich halt gerade wieder über den Bildern vom Anfang des letzten Jahrhunderts. Das oben ist Elise Hoffmann. Sagt wahrscheinlich niemand was. Meine Urgroßmutter, geborene Hoffmann 1853 in Rüdenhausen. Auf dem Foto dürfte sie etwa 51 Jahre alt sein. Etwa 1904.

Das Bild ist vom Fotostudio Hahn und Kirchgeorg, Gibt’s nicht mehr. Das Studio wurde anscheinend von Otto Bischoff übernommen, von dem es noch weniger Informationen gibt.

Warum grabe ich das aus?

Diese Fotos haben keine EXIFs. Wenn da nicht ein wohlmeinender Mensch irgendwann mal hintendrauf schreibt, wer da vorne drauf ist, weiß das heute niemand mehr. Viele Fotografen haben damals freundlicherweise draufgedruckt „Die Platten werden aufbewahrt. Vergrösserungen nach jedem Bild“. Ich habe Fotos aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts von einem Fotostudio, das es tatsächlich noch gibt, da werde ich die Woche mal vorbeigehen und Vergrößerungen anfragen. Die Gesichter dürften sehenswert sein.

Warum grabe ich das aus?

Wir sind als Fotografen ja in der gleichen Situation wie die Fotografen damals. Die haben die Negative nicht rausgerückt, weil sie – in gewissem Sinne zu Recht – hofften, damit Anschlussgeschäft zu machen. Dann hat’s das Fotostudio mit ner Bombe erwischt, oder der Fotograf selbst hat das Zeitliche gesegnet, oder er hat Pleite gemacht, oder irgendwann war einfach kein Platz mehr für das ganze Glas.

So oder so: Futsch ist Futsch.

Heute ist das kaum anders. Wir archivieren die RAWs und sagen den Kunden „Nachbestellungen selbstverständlich möglich“. Als dann tatsächlich eine Kundin nach zehn Jahren ihre Hochzeitsfotos noch mal brauchte, weil ihre CD verschütt gegangen war und ihr Mann sich entleibt hatte, da habe ich erst mal in den CD-Backups suchen müssen. (Kleiner Hinweis: ein Backup ist kein Backup. Vor allem nicht auf CD.)

Wenn ich bei meinen Backups geschlampert oder wie viele Fotografen bei Corona meinen Laden dichtgemacht hätte, wäre die Frau nicht mehr an ihre wichtigen Fotos gekommen.

Was tun? Gleich die RAWs mitgeben? Ist ja eigentlich wirtschaftlicher Selbstmord. Andererseits, wie oft kommen Nachbestellungen? Vielleicht sind die Backupkosten auf Dauer höher als der Umsatzverlust?

Ich weiß es nicht. Aber vielleicht mal überlegen, wie man mit seinen Bildern umgeht – und was passiert, wenn was passiert. Nicht immer sind die offensichtlichen Antworten die richtigen.

9 Replies to “Die Platten werden aufbewahrt”

  1. Servus,
    ich archiviere Raws und dessen JPEG Interpretation. Vielleicht gibt es eines Tages ein Betriebssystem, auf dem man die alten Raws nicht mehr entwickeln kann, bzw. das Entwicklungstool läuft nicht darauf. Dann ist man halbwegs auf der sicheren Seite.
    Wenn ich die derzeitige Situation mit Windows ansehe, wird mir übel, was auf uns zu kommt.
    Also ggf. voll verschlagwortete JPEGs weiter geben auf einem wasserresistenten Datenträger. Bei den ganzen Überschwemmungen…

    Schönen Gruß
    Werner

  2. Wir haben gerade das „Problem“, dass unsere Ehe besser gehalten hat, als die Farben des Hochzeitsfotos an der Wand. Nachbestellung ist aussichtslos, da der Fotograf schon vor Jahren sein Studio dicht gemacht hat.
    Ich habe als Student gelegentlich auf Veranstaltungen fotografiert, auch drei Hochzeiten in der Verwandschaft. Nicht professionell und mit Bauchschmerzen, aber die Auftraggeber waren zufrieden. Ich habe ihnen die unentwickelten Filme in die Hand gedrückt. Alle waren damit glücklich. Sollen sie sich selbst um die Archivierung ihrer Fotos kümmern!
    Wenn ich das heute beruflich machen würde, würde ich das entsprechend handhaben: Die Auftraggeber erhalten die Dateien (RAW und bearbeitet) und die Nutzungsrechte daran. Das muss eben so kalkuliert werden, dass der Fotograf auch ohne Nachbestellungen auf seine Kosten kommt.
    Auf Nachbestellungen zu hoffen ist illusorisch. Die Leute zücken einfach ihr Smartphone und fotografieren die Albumbilder ab. Dass die Qualität eher so lala ist, scheint die meisten nicht zu zustören.

  3. Ich habe einen Starfotografen kennen gelernt, der alle seine Fotos in hoch aufgelösten Jpeg auf SSD immer bei sich hat, falls das große Erdbeben in Kalifornien kommt.
    Wir sind halt in der glücklichen Lage, 2TB und mehr ohne Probleme mit uns herumtragen zu können. Das konnten die Fotografen früher mit ihren Glasplatten nicht.

  4. Moin,

    ich würde die Raws 2 oder vielleicht 3 Jahre behalten und dann dem Kunden gegen Porto und Preis des Datenträgers anbieten. Danach löschen.
    Wenn ich denn ein Photograph wäre….

    1. Habe ich auch schon überlegt. Ist aber Aufwand. Damit nur der Buchhaltungsaufwand und der Zeitaufwand wieder reinkommen, müsste man da nen Fuffi verlangen. Zahlt das wer?

  5. Zum Thema „Nachbestellungen“ eine interessante Geschichte, die meinem Bruder passiert ist:

    Es war etwa 1992, da kamen amerikanische Touristen (Rentner) nach Oberweißbach im Thüringer Wald. Sie waren als Soldaten im April 1945 schon hier gewesen und lagen damals im Wald oberhalb des Ortes. Sie hatten Bilder dabei, die der damalige ortsansässige Fotograf von Ihnen erstellt hatte. Da die Kommunikation mit dem Bürgermeister etwas schwierig war, wurde mein Bruder hinzugezogen, er war Englischlehrer. Das Eis war schnell gebrochen und die Bilder machten die Runde, die Bilder waren auf der Rückseite ordentlich beschriftet vom Fotografen….und das Fotografengeschäft existierte noch! Also ging man dort hin und oh Wunder, der jetzige Geschäftsinhaber suchte und fand die Negative in seinem Archiv und konnte den Amerikanern Nachbestellungen anfertigen, knapp 50 Jahre nach den Originalaufnahmen.

    Die Freude war groß auf allen Seiten und die geschlossenen Freundschaften hielten noch lange.

    So kann auch gehen!

    Gruß Jürgen

  6. >“Ich digitalisiere ja so nebenher einen Monsternachlass.“

    Als ich das gelesen habe, war mein Gedanke: „Wenn das Wert ist, daß er sich soviel Arbeit damit macht, hoffentlich sichert er diese Daten auch mit einem Backup auf der Südhalbkugel“.

    1. Wenn die Nordhalbkugel kaputt ist, dann dürfte es nicht mehr allzuviele Leute geben, die sich für kommunistischen Widerstand im dritten Reich interessieren. Sind es jetzt schon nicht allzuviele…..

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