Spectaris – der Retter der Fotobranche

Spectaris? Noch nie gehört? Die hatten im letzten DVF-Journal ein einseitiges (also auf einer A4-Seite) Interview drin, in dem sie sich zu einer Art weißem Ritter der Fotobranche stilisieren. Sie wollen der Nachfolger des PIV- des Photoindustrieverbandes – werden. Nur dass halt der PIV mit der Photopia was auf die Beine gestellt hat – das ist eher nicht so das Ding von Spectaris. Die hängen sich lieber an andere an.

Wer oder was ist nun Spectaris? Das ist ein Lobbyverband, der im Jahr eine halbe Million nur für Lobbyarbeit im Bundestag ausgibt. 23 Lobbyisten bearbeiten die Abgeordneten und schreiben Gesetzesvorlagen. Hier ist der Eintrag im Lobbyregister. Man kann sich dabei auch ansehen, welche Gesetzesentwürfe Spectaris an die Abgeordneten geschickt hat – wie ja vielleicht bekannt, stellen Lobbyorganisationen Gesetzesentwürfe zur Verfügung, die dann von den Abgeordneten mehr oder weniger unverändert im Bundestag eingebracht werden. Den Antrag „Fachübergreifende Frührehabilitation flächendeckend einrichten – Nahtlose Rehabilitationskette herstellen, Krankenhausstandorte erhalten und stärken“ hat sich zum Beispiel die AfD geschnappt – und natürlich wurde der Antrag von der Regierungskoalition abgelehnt.

Der Branchenverband hat auch nicht etwa irgendwas Technisches als Anreißer auf der Website, sondern den deutschen Bundestag. Er vertritt über 400 Unternehmen, die meisten davon deutsche Mittelständler, die niemand kennt, sogenannte „Hidden Champions“. Der Verband hat vier Bereiche: Analysen, Bio und Labortechnik, Medizintechnik, Photonik und Consumer Optics. Bei Consumer Optics geht es natürlich nicht um Objektive für die Fotografie, sondern um Augenoptik. Aber es gibt sogar eine Sparte „Fototechnik“ – und siehe da, da geht es um medizinische Bildgebung, Militär und Überwachungstechnik. Olympus ist dabei, OMDS natürlich nicht. Ansonsten kennt man noch Kaiser Fototechnik und Novoflex. Nikon, Canon, Panasonic, Sony – keiner davon ist dabei.

Was will also Spectaris überhaupt bei den Hobby-Fotografen? Die Branche ist winzig. Der Kameramarkt in ganz Europa hat einen Umfang von 1,5Mrd Euro. Das ist grob so viel, wie allein Olympus in Europa Umsatz macht. Aber es tummeln sich einen Haufen kleine Firmen in diesem Bereich. An die will Spectaris anscheinend ran. Deshalb hält man parallel zur Imaging World eine „Tagung der Fachgruppe Fototechnik“ in Nürnberg ab. Und zwei Tage vorher eine Sitzung der AG „Sicherheit und Verteidigung“ in Berlin.

Haben die von der Fotobranche ne Ahnung? Aber freilich, sie haben „viel Expertise“. Sagt Kortemeier. Der ist Sprecher der Fachgruppe Fototechnik und muss das wissen. Der ist nämlich geschäftsführender Gesellschafter der Noblex E-Optics GmbH. Die stellen Ferngläser, Leuchtpunktvisiere und Zielfernrohre her. Außerdem ist er noch Cheffe von Unique Art Germany. (Ein Fertigungsdienstleister, Motto“Schenken ist etwas Schönes“) und Cheffe von Marketing&Sales Solutions GmbH in Wetzlar (die organisieren Markteintritte in den USA) und er ist Cheffe von New England Innovative Design in New Hampshire, USA. (die machen so Zeug zum an die Wand hängen, das leuchtet. ) Vorher war er bis 1996 Produktmanager bei Leica und danach 22 Jahre lang Cheffe bei Minox. Wer bei Minox an diese kleinen Kameras denkt – Ähh – Nein. Die machen Zielfernrohre, Nachtsichtgeräte und Ferngläser. Und Wildkameras. Hat noch etwa 30 Mitarbeiter und gehört 100% zur Blaser Group – einem Waffenhersteller. Kortemeier hat seinerzeit Minox bei Leica rausgekauft und die Kamerasparte eingestellt. 2016 auf der Photokina hatten sie noch ein paar restliche Minox-Digitalkameras rumstehen. Zum Verkauf am Stand. Vier Jahre vorher, 2012 hatten sie noch eine vergoldete 5MP Digitalkamera.

Die gab’s nicht nur in Gold, sondern auch in Gelb und in „Rot“. Die Bildqualität soll wirklich, wirklich lausig gewesen sein. 2018 hat Kortemeier Minox dann an Blaser vertickt und das war’s dann endgültig mit Minox-Kameras.

Das sind die Leute, die die Photobranche mit ihrer Expertise retten wollen.

Die Spectaris behauptet übrigens, auf die Deutsche Gesellschaft für Mechanik und Optik zurückzugehen, die 1881 gegründet wurde. Das stimmt so nicht, diese Gesellschaft wurde nämlich 1934 in die „Wirtschaftsgruppe Feinmechanik und Optik“ deren bayerischer Obmann Herr Rodenstock war, überführt. Diese Wirtschaftsgruppen waren damit beschäftigt, Rohstoffe und Devisen für die Rüstungsfertigung zu beschaffen, in einigen Dokumenten werden sie mit der IG Farben AG in Verbindung gebracht. 1945 wurden sie dann faktisch wirkungslos, aber erst 1956 durch ein eigenes Gesetz juristisch aufgelöst. 1945 wurde aber bereits der Deutsche Industrieverband für Feinmechanik und Optik gegründet, der 2002 in Spectaris Deutscher Industrieverband für optische, medizinische und mechatronische Technologien e. V. umbenannt wurde. Das ist also eine Parallelgründung, kein Nachfolger. Vielleicht deshalb hat Spectaris auf der Website zwischen 1900 und 1945 ein Riesenloch in der Historie…

Rodenstock ist übrigens immer noch Mitglied des Verbandes.

Titelbild: Wenn Spectaris den Reichstag als Titelbild nehmen kann, kann ich das auch. Hier ein Foto von 1980.

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