
Google hat jetzt ein neues Tool vorgestellt: „Flow„. Damit kann man angeblich endlich Spielfilme komplett aus der KI erstellen. Als „Proof of concept“ darf man sich ein knapp zwei Minuten langes Videos ankucken, in dem zum Beispiel jemand auf der Rücksitzbank eines Taxis mit einer Töpferscheibe eine Schale baut.

Klar, dass so eine Töpferscheibe mit einem Meter Durchmesser nicht hinten in ein Taxi reinpasst. Ausnahme: ein Austin FX-4, aber das hier ist kein FX-4.
Die KI macht noch andere Dinge auf Rücksitzen:

Ja, ist keine gute Idee, aber ganz davon abgesehen sitzt der Kollege mit der Pfanne nicht. Er steht. Das geht nicht mal in einem FX-4.

Gleiches gilt für den Mann mit der Motorsäge. Interessant: Das Taxi hat auf einmal Verriegelungen in den Türen. Vorher war das wohl nicht nötig. Dafür gibt’s keine Haltegriffe über den Türen mehr.

Hier haben wir eine Operation auf dem Rücksitz. Kann gerne mal jemand versuchen, nachzustellen. Wenn man Schauspieler ohne Beine hat, vielleicht machbar. Und das arme Operationsopfer muss sich auch wirklich gut falten können.

Auch dieser Screenshot ist aus dem Promovideo. Ein Asphaltschwimmer. Das ist alles absolut cool und Hingucker. Und wenn man nicht genau aufpasst, sieht das alles echt aus. Und es gibt Tutorials, wie man mit KI einen Song generiert und dann ein Musikvideo dazu. Knüller. Soll die ganze Branche auf den Kopf stellen. Die ersten abendfüllenden Spielfilme sind garantiert schon in der Pipeline.
Und sie werden auch ihre Fans finden, genauso wie die ganzen Effekterlens-Spielfilme a la Marvel Milliarden umgesetzt haben. Und die jetzt niemand mehr interessieren. Unter den erfolgreichsten 50 Superheldenfilmen ist genau einer von 2024: Deadpool and Wolverine mit 903 Mio Einspielergebnis. Platz 17. Von 2023: Platz 25 Guardians of the Galaxy Vol3 mit 845 Millionen. Und Spiderman across the Spider-Verse mit 690 Millionen auf Platz 39. Alles andere ist älter.
Was ist das Problem? Kinofilm ist Geschichten erzählen. Ein visueller, unmöglicher Effekt ist keine Geschichte. Was ist die Geschichte hinter dem Typen mit der Badekappe, der auf der Straße schwimmt? Ein Superheld, der Asphalt in Wasser verwandelt kann? Und statt Spandex-Anzug trägt er Badehose? Und sein Endgegner ist ne wildgewordene Straßenkehrmaschine? Und weil er bevorzugt in NRW trainiert, gibt’s dort so viele Schlaglöcher?
Der Fotonoid hat mir ein Video eines Kumpels geschickt, der sein Musikvideo mit zuckenden Avataren bevölkert hat. (Wenn der Kumpel das OK findet, kannst Du es ja mit einem Kommentar verlinken.)
Das ist alles lustig – aber wer bitte, zahlt dafür, sich so einen Mist anzukucken? Vor einem Vierteljahrhundert hat es schon mal wer versucht – das Ergebnis war „Final Fantasy – Die Mächte in Dir„. Produktionskosten 135 Millionen, Einspielergebnis 85 Millionen. Und dabei war der Film damals tricktechnisch ein Meilenstein und ein Spin-Off eines erfolgreichen Computerspiels.
Das Problem ist längst nicht mehr, dass kein Geld da wäre, um Schauspieler zu bezahlen. Das Problem ist, dass es anscheinend für kein Geld der Welt noch vernünftige Filmstoffe gibt. Es gibt nur noch Aufgewärmtes – oder einfach nur noch Dauerexplosionen. Die KI macht das nicht besser, sie sorgt nur dafür, dass die Filme noch viel schlechter werden.
Dazu kommt, dass KI-generierte Filme bislang keinen Urheberrechtsschutz genießen. Wie will man das monetarisieren? Für einen 90-Minuten-Spielfilm sitzt man Monate und muss richtig Geld investieren, denn die wirklich guten Tools kosten nicht zu knapp. Und niemand zahlt dafür und jeder kann’s klauen.
Und – wie man oben sieht – die KI kann noch lange nicht dreidimensional „denken“. Von Handlungssträngen, inneren Konflikten oder der Tatsache, dass Gesichtsmuskelbewegungen bis in den Schultergürtel ausstrahlen, ganz zu schweigen. Schon mal eine Ki-Figur realistisch niesen gesehen?
Ich bin vielleicht altmodisch. Aber je mehr ich von Ki sehe, desto beeindruckter bin ich davon, mit welchem ungeheuerem Aufwand an Manpower und Strom lackierte Scheiße produziert wird – und wie viele Leute das für die Zukunft halten.

Bilder Sonnenuntergang: Aria.
Schade, wie viel Energie (im übertragenen und tatsächlichen Sinn) für solchen Quatsch verschwendet wird…
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Die sogenannte KI kann einiges richtig gut…
Die Mustererkennung, z.B., kann uns viel stumpfsinnige Fleißarbeit abnehmen. Von der Identifizierung von Waldbrandherden auf Luftbildern bis zu potentiellen Krebszellen auf Röntgenbilder.
Oder die Wegoptimierung. Kürzlich durfte ich in ein vollautomatisches Warenlager schauen. Scheinbar völlig chaotisch. Aber wegoptimiert unter Gewichtung der Häufigkeit des Zugriffs. Für zig-tausende von Euro-Paletten. Da hätte kein noch so genialer Lagerist mehr einen Überblick. Vor allem unter Berücksichtigung von schwankenden Bedarfen.
„KI“ ist zwar im Grunde genommen „nur“ hoch ausgefeilte Statistik, aber das kann sie wirklich gut.
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Warum machen wir Menschen dann so einen Blödsinn, die Statistik als Kreativ-Tool einsetzen zu wollen?
jm2c
Martin
Eine vielleicht interessante Anekdote zum Thema. Vor gut 20Jahren (+/-) hatte die c’t einen Artikel im Heft, in dem es um Videocodecs ging. Es würde laut dem Artikel ein neuer Codec entwickelt, der quasi den Schauspieler mittels Mimikdatenbank komprimieren würde und der Schauspieler dann vom Algorithmus beim Abspielen erstellt würde. Der Vorteil, dies spare deutlich am Datenvolumen. Das Fazit war dann, dass ggf. in der nahen Zukunft die Schauspieler sogar komplett durch eine Datenbank seiner Mimik ersetzt werden könnten und das ganze nur noch eine Frage der korrekten Codierung direkt im Videostream wäre. Und erste Schauspielerverbände ständen dieser Entwicklung sehr skeptisch gegenüber.
Der Artikel erschien damals zum 1. April. Könnte man wahrscheinlich heute 1:1 direkt wieder veröffentlichen, aber nicht zum 1. April.
Wenn ich mir die Hollywood Filme der letzten Jahre so anschaue, habe ich das Gefühl, dass die Drehbücher längst von einer KI geschrieben werden…
Solange sich niemand mehr traut, neue Geschichten zu verfilmen und nur das X-te Remake gedreht wird, weil das halbwegs berechenbare Einnahmen bringt, kann man Drehbücher auch gut mit KI erstellen.
Nur die, die abseits von Hollywood wagen, originale Geschichten zu verwenden und kreativ Neuland betreten brauchen noch echte Autorinnen und Autoren.