
Wenn Influencer sich nach Island aufmachen, dann kriegt man Bilder von Wasserfällen zu sehen, von Klippen, Robben, Walen. Und von einem Wasserfall mit dem Kirkufjell im Hintergrund. Das ist so ein toller, spitzer Berg. Phantastische Perspektive. Die genau so funktioniert. Von ein paar Meter weiter sieht man den Busparkplatz, die Straße, die Ferienwohnungen und das nächste Dorf. Und dass der Wasserfall lediglich ein paar Meter hoch ist.

Man stellt sich also hier links unten hin, die Touris sind dann verdeckt, der Wasserfall sieht fett groß aus und im Hintergrund der Kirkufjell. Knüller. Bergeinsamkeit pur.
Island ist – um es mal ziemlich brutal auszudrücken – eine Schutthalde. Wirklich beeindruckend ist, dass Menschen vor über tausend Jahren der Meinung waren, es sei ne gute Idee, auf dieser Schutthalde zu siedeln. Alle paar Jahre brach irgendwo ein Vulkan aus und spülte entweder mit Gletscherflüssen, gegen die der Amazonas ein Entwässerungsgraben ist, Mensch und Tier davon, oder spuckte Kubikkilometer von Asche und Lava über das Land – und wer das überstand wurde durch giftige Flourverbindungen gekillt, die zum Beispiel nach dem Hekla-Ausbruch von 1970 über weite Strecken das Vieh verenden ließen.

Isländer leben auf einer Bombe, an der überall Zettel kleben „Explosion seit zwanzig Jahren überfällig.“ Ich saß in Keflavik im Hotel auf dem Klo, als ein Erdbeben mir eine unerwartete Fußmassage verpasste. Interessiert da niemanden. Die Lektüre der englischen Version der Website des isländischen Rundfunksenders bietet Einblicke in die Psyche dieses Landes, das irgendwo zwischen Kleinstadt, Dorf und Weltbühne oszilliert. Da gibt es einen Artikel über einen umgefallenen Stein. Nein, keinen Sack Reis in China. Einen umgefallenen Stein in Island. Nicht so ein Stein wie in Kandersteg, der die Ausmaße eines Fußballstadions hat. Nö. So mehr einsfuffzich hoch. Dramatische Auswirkung: der Hiking Trail, bei dem der „Steinn“ als Wendemarke diente, ist nun knapp einen Meter kürzer. Die Läuferin Sif Sumarliðadóttir hat sich nun unsterblichen Ruhm erworben, weil sie den dramatischen Umstand als erste bemerkte.

Offiziell hat ja Island keine Armee, deshalb wechselt der Staat, der Islands Sicherheit garantiert, ja öfter mal. Derzeit gibt es einen Vertrag mit der USA, die praktischerweise auch schon einen fetten Stützpunkt in Keflavik haben. Von dort starten jeden Tag P8 Poseidon um sich auf die Suche nach russischen U-Booten zu begeben. Island ist NATO-Staat und natürlich gibt es auch in Island Helden, die die Küstenwache lieber heute als morgen zu einer eigenen Armee ausbauen wollen. Glücklicherweise sind die Isländer eher nicht so begeistert von der Idee. Die Isländer waren ja schon mal der Meinung, unbedingt Soldaten zu brauchen, die dann in „Friedensmissionen“ geschickt wurden. Das ging, erwartungsgemäß, schief und deswegen dürfen die Soldaten der „Íslenska friðargæslan“ seit 2008 weder Waffen noch Uniformen tragen.
Trotzdem sind die Isländer ziemlich stolz auf ihren Küstenschutz und das Flaggschiff ihrer Küstenwache die „Thor“ ist ein ziemlicher Kavenzmann: Fast 100 Meter lang, mit einer 40mm Bofors-Maschinenkanone und zwei 12,7mm MGs bewaffnet. Die Isländer haben sich ja 1976 auch schon mit den Engländern angelegt, als die die Fischgründe rings um Island leergefischt haben.

Übrigens spielten auch wir Deutsche bei der Überfischung der Bestände vor Island eine unrühmliche Rolle. Seitdem nun die 200-Meilen-Zone gilt, haben sich die Bestände des Kabeljau wieder erholt.
Derzeit droht neues Ungemach: Die Kreuzfahrtpötte. In Reykjavík haben im letzten Jahr 259 Kreuzfahrer festgemacht – da sich das ja auf die Saison konzentriert – der erste Pott lief am 21.März ein – sind das grob zwei dieser Schiffe pro Tag. Die Kreuzfahrer (sic!) überfluten das Land, fluten zurück und hinterlassen – naja, alles mögliche, aber eben kein Geld. Außer im Hafen, wo das Schiff Hafengebühren zahlen muss. Der Hafen wiederum gehört der Kommune und siehe da, der Bürgermeister jault bereits auf, wenn die Buchungen von 259 in 2024 auf nur 237 in 2025 zurückgegangen sind, weil die Regierung die Reiseveranstalter an den Schäden an der Infrastruktur durch eine „Infrastrukturabgabe“ beteiligt. Diese Abgabe beträgt knapp 18 Euro pro Kreuzfahrer und Nacht. Angesichts von etwa 7000 Dollar für eine 8-Tage Reise um Island bei den „Lindblad-Expeditions“ wahrhaft ein Gamechanger. (Übrigens: Das Angebot gilt noch: auf allen Lindblad-Kreuzfahrten mit National Geographic-Logo – außer Galapagos – gibt’s einen OMSystem-Schrank, auf den man Zugriff hat….)
In Grimsey, der nördlichsten Insel von Island, genau die, wo der Polarkreis durchläuft – noch – gibt’s übrigens gar keinen Hafen, an dem Kreuzfahrer anlanden könnten – man muss da also die Touris über kleine Boote an Land schaffen. Ein unhaltbarer Zustand. Vor allem weil es auf Grimsey außer der Polarkreiskugel, die jedes Jahr versetzt wird, nichts gibt. 105 Einwohner. Die sich jetzt überlegen, wie sie von der Kreuzfahrerflut profitieren können. So eine Art Eintritt wäre nett…

Das hier ist CRI, direkt neben der blauen Lagune. Die nehmen CO2 aus Industrieabgasen und basteln daraus Methanol. Dies ist die „George Olah“ – Fabrik, die eine Kapazität von 5 Millionen Liter Methanol pro Jahr hat. Sie verwendet das CO2, das vom Svartsengi-Kraftwerk emittiert wird. Zumindest 10% davon. CRI hat mittlerweile auch zwei wesentlich größere Werke in China aufgemacht.
Generell ist die Story, dass Island in Sachen Energie Selbstversorger ist, nur die halbe Wahrheit. Der CO2-Ausstoß eines durchschnittlichen Isländers beträgt 10,02 Tonnen pro Jahr. Ein durchschnittlicher Deutscher hat 7,2 Tonnen.

Dass in Island wie blöde gebaut wird, habe ich ja schon gezeigt. Dass dabei die Möglichkeit, dass das Baugebiet vom nächsten Vulkanausbruch verschüttet oder versenkt wird, nicht so wirklich berücksichtigt wird, auch. Aber die Isländer sind pragmatisch. Ein Unternehmer hat jetzt seine Rettungsfahrzeuge etwas aufgerüstet und aus einem simplen Pickup mit den größten, legal erhältlichen Reifen, einen 6-Tonnen-Truck gebaut. Nicht etwa, um damit auf Monstertruck-Events zu punkten, sondern um an buchstäblich jeden Punkt der Insel zu kommen um dann dort eben auch Schutzunterkünfte aufzubauen. Damit ihnen unterwegs nicht der Sprit ausgeht, soll das Monster einen 600-Liter Tank bekommen. Wenn schon, dann gleich richtig.

Als vorletztes Bild, gerade in Sachen „Pragmatismus“ hier das Bild einer Hochspannungs-Überlandstrecke. Warum sollte man wie bei uns riesige Hochspannungsmasten durchs Gelände transportieren? Geht auch einfacher. Spanndrähte tun es auch. Der Boden, der hier fluffig-watteweich aussieht, ist tückisch. Unter dem Schnee können dicke Moosmatten liegen, fast einen halben Meter dicke Gebilde, auf denen man wie auf Daunen läuft. Es kann da ein Loch drunter sein – mit messerscharfem Eruptivgestein an den Rändern. Sumpf, Lavasand. Alles. Da stecken- oder liegenbleiben ist keine gute Idee.

Island ist weit, weit mehr als Touristen-Foto-Hotspots. Aber andererseits ist Tourismus eben der Mechanismus, der Geld ins Land bringt. Island exportiert Fische und Wolle und mittlerweile Aluminium, weil sie eben über die billige Energie ein paar entsprechende Werke und Bauxit aus Australien an Land gezogen haben. Aber der Tourismus ist mit knapp der Hälfte des BIP der wichtigste Wirtschaftsfaktor des Landes, Icelandair der größte Arbeitgeber. Die Zölle sind vergleichsweise niedrig. Einfuhrzölle gibt es vor allem auf Fleisch und Milchprodukte in Höhe von 30% sowie auf Schnittblumen, Gemüse und Kartoffeln – eben Zeug, was in den Gewächshäusern in Island selber gezogen wird. 55% zahlt man auf Futtermittel. Und, aus aktuellem Anlass, 20% auf weiße Schokolade und Ostereier.
Island ist spannend. Und weit mehr als Polarlichter, Vulkane und Wasserfälle. Aber am spannendsten finde ich die Menschen dort.
Das mit dem 6 Tonnen Truck war der Lokale Rettungsdienst und die Umbauten haben die Freiwilligen Helfer in Ihrer Freizeit mit bewerkstelligt wenn ich den Artikel richtig lese.
Den Rest deines Fazits über Island sehe ich ähnlich. Warum sich die ersten Siedler das angetan haben habe ich mich auch immer wieder gefragt.
LG
Wolfgang
Habe ich auch so gelesen. Ich war nur der Meinung, dass der „lokale Rettungsdienst“ tatsächlich ein Unternehmen ist. (Die machen das nicht umsonst, so eine Rettung kostet Geld…)
Wenn die Bergwacht jemanden holt, dann kostet das auch Geld.
Das bezahlt im Falle eines Rettungseinsatzes bei Verletzung/Erkrankung die Krankenkasse.
Es gab auch Schlauberger die meinten, dass danach kein Arzt/Krankenhaus aufgesucht werden müsste.
Die haben die Rechnung dann von der Abschnittsleitung direkt bekommen.
Hab noch mal recherchiert, das sind Freiwillige, ähnlich wie bei Feuerwehr/Bergwacht und Wasserwacht, alles in einem Verein der von der öffentlichen Hand, Spendern und den Aufwandsentschädigungen für die Rettungseinsätze finanziert wird.
Dann nehme ich den „Unternehmer“ zurück. Danke für die Recherche! (Ich hoffe, ich habe den Herrn nicht negativ dargestellt. Lag nicht in meiner Absicht.)
In dem Buch „Dreck“ von David A. Montgomery, schildert dieser, wie die Menschen praktisch überall dort wo sie Siedelten die von der Natur über Jahrtausende aufgebaute Humusschicht dank „fortschrittlicher“ Landwirtschaft relativ schnell zerstört haben.
Island ist da eines der Beispiele, wo er ein sehr eindrucksvolles Bild einer Erosionskante drin hat, was bei der Ankunft der Siedler dort an fast 1m Humusschicht gegeben hat, und wie das heute weitgehend aufs Gestein heruntergekommen ist. Davon ausgehend daß Skandinavien damals Bevölkerungsüberschuss hatte, war Island für diese erstmal durchaus attraktiv.
Montgomrey, David R.: „Dreck“; Oekom Verlag, München 2010
https://www.oekom.de/nc/buecher/gesamtprogramm/buch/dreck.html
PS: Vom Autor 2 gibt es weitere Bücher, wie wir den Humus und damit die Erde wieder regenerieren können, weil es ihm nach diesem Buch keine Ruhe gelassen hat. Aber nur sein erstes, das dystopische ist mir auf Deutsch übersetzt bekannt.
Den Isländern ist die Problematik der Bodenerosion in der Verbindung von Beweidung und dem lockeren Boden durchaus bewusst (Erosionskanten lassen sich in der Tat an einigen Stellen eindrücklich bewundern), es gab dann in den 1970ern die grandiose Idee, Lupinen zur Bodenstabilisierung zu pflanzen (besser gesagt: deren Samen von Flugzeugen aus zu verteilen). Auch wenn das mit der Stabilisierung teilweise geklappt hat, hat man sich mit den eigentlich nicht dort heimischen und invasiven, d.h. die heimische Flora gefährdenden, Lupinen ein anderes Problem an Land gezogen… Fred, eine kurze Korrektur, auch wenn ich das genannte Buch nicht kenne: Gemeint ist vermutlich Boden, nicht nur Humus (welcher nur den mehr oder minder stark umgewandelten organischen Anteil des Bodens beschreibt) …