Heute geht es mir mal wieder um ein schwieriges Thema. Die Lüge. Eine Lüge ist, soweit sollte man sich einigen können, das bewusste Behaupten einer Tatsache in Kenntnis dessen, dass die Tatsache im Widerspruch zur objektiv beobachtbaren Wahrheit steht.

Ein Beispiel:

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Brecht hat geschrieben: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und sie eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher.“ Dem kann man erkenntnistheoretisch entgegenhalten: „Was ist Wahrheit?“ Im obigen Fall ist die Wahrheit obwohl objektiv verifizierbar, subjektiv.

Wer das XXXXXXX nicht gesehen hat, für den kann das Transskript die Wahrheit abbilden und entsprechend kann es zu Urteilen kommen, die mit der Wahrheit nichts zu tun haben – ohne dass irgendwer im Verlauf des Prozesses gelogen hat. Außer Google. Aber das ist ja einfach nur eine Maschine – und bekanntlich braucht man, um etwas richtig zu verkacken, einen Computer.

Frau von der Leyen hat 2022 erklärt, die Russen würden aus ihren Geschirrspülmaschinen die Computerchips ausbauen um ihr militärisches Equipment zu reparieren, weil sie keine Halbleiter mehr hätten. Frau von der Leyen hat verschiedene Fächer mehr oder weniger studiert, Elektrotechnik war nicht darunter. Man kann ihr also zugute halten, dass sie den hanebüchenen Dummfug, den sie verzapft hat, nicht als solchen erkannt hat. Nun ist die Frage: hat sie sich den Quark selber aus den Fingern gesogen oder hat sie jemand, der ihre Reden schreibt? Hat der wieder von wem abgeschrieben? Also: wer hat in dieser Kette gelogen? Da sie in ihrer Dissertation ihren Lebenslauf „korrigiert“ hat, scheint Frau von der Leyen einer gepflegten Lüge zum rechten Zeitpunkt aber wohl nicht abgeneigt zu sein.

Ich schreibe hier auf pen-and-tell auch gelegentlich etwas, was nicht stimmt. Legendär wurde mein Artikel, in dem ich den „Shutter Shock“ mit einer Reflexbewegung der Hand erklärte. Was sich relativ schnell als Unsinn herausgestellt hat. Nach Brecht war ich ein „Dummkopf“. Ich wusste es nicht besser. Es hat mich zwei Wochen Arbeit gekostet, herauszufinden, was wirklich los war. Und kaum hatte ich es geschrieben, hatten es alle anderen vorher schon gewusst.

Wenn Influencer erklären, die OM-3 wäre „klein“ so ist diese Behauptung im Widerspruch zu den objektiv messbaren Fakten. Klein war die E-PM1 mit 11cm Breite. Die OM-3 ist fast 30% breiter. Lügen sie deshalb? Größe ist relativ. Wenn Sie behaupten, die Kamera beinhalte lauter brandneue Features – lügen sie da? Gut, der Colorcreator ist von 2014. Aber die F35 flog 2004 erstmals und die ist immer noch „neu“. Auch das ist relativ. Und das Internet war 2013, nach 30 Jahren, auch noch #Neuland.

Als Journalist habe ich viel damit zu tun, Fakten zu überprüfen. Ich muss Quellenkritik bis zum Erbrechen betreiben und ganz viele wirklich tolle Infos unter der Decke halten, weil ich entweder zum Stillschweigen verdonnert wurde oder die Info nicht verifizierbar ist. Influencer kriegen ihr Fact-Sheet, das sie vorbeten müssen und fertig. Und wenn da Blödsinn drinsteht, dann ist das nicht ihr Problem. Meinen Sie. Weil sie ja nur ihre Zuschauer verscheißern und die schicken ihnen keine Abmahnung, wenn sie drauf reingefallen sind und ein untaugliches Produkt erworben haben.

Ich bin ja auch mal auf ein „Fact Sheet“ reingefallen. Als die E-M10 mit LiveComposite kam, haben alle gefragt, warum die E-M1 das nicht habe. Ich habe Nils gefragt, der hat mir gesagt „die Techniker haben gesagt, das sei derzeit technisch nicht möglich“. Ich habe weitergegeben „Technisch nicht möglich“. Und siehe da, sieben Monate später, am 16. September 2014 hat die E-M1 LiveComposite bekommen. (Übrigens zusammen mit Keystone, Tethered Shooting, neuer Photo Story, zwei neue Artfilter, ein neuer Videoeffekt, Blendensperre und die Mitzieherfunktion. Und das war nur Firmware 2.0.) Habe ich nun gelogen? Hat Nils gelogen? Nein, er hat gesagt „derzeit“. Das war korrekt. Und ich war zu doof, dieses „derzeit“ als kurzfristige Einschränkung zu betrachten.

Will ich mich jetzt um die Verantwortung drücken? Sicher, nicht dass dann Leute daherkommen und sagen, sie hätten wegen mir die E-M10 gekauft und sie hätten sich das sparen können.

Im Ernst. Ich berichte nach bestem Wissen und Gewissen. Mehr kann ich nicht tun. Wenn ich falsch liege, korrigiere ich das. Ich bin gerade wieder von einem Journalistenkollegen gerügt worden, dass ich knallhart etwa als „Mist“ bezeichnet habe, was ich für „Mist“ halte. Das solle man nicht machen. Man müsse ja nicht immer die negativen Dinge erwähnen. Man könne die ja auch einfach weglassen. Das wäre doch viel positiver. Hätte er auch gemacht. Da gäbe es in dem Produkt, über das er ein Buch geschrieben habe, einiges, was ihm nicht gefallen habe. Das habe er dann einfach weggelassen.

Das ist nicht mein Stil. Sehr geehrte Hersteller: kommen Sie damit klar.

Und ich würde mich freuen, wenn die Journalistenkollegen auch wieder beginnen würden, ihren Job zu machen. Es ist unser Job, nach bestem Wissen und Gewissen zu berichten. Nicht, Fact-Sheets abzuschreiben. Das kann eine KI besser und billiger. Ja, wer die Wahrheit schreibt, braucht ein schnelles Pferd und einen guten Anwalt. Aber wenn ihr Dinge hochjubelt – egal ob das Produkte oder Politiker sind – dann sorgt ihr dafür, dass beide immer schlechter werden. „Positive Verstärkung“ funktioniert nicht, wenn man auch mit Minderleistung durchkommt.

Was kann man als „Konsument“ gegen schlechten Journalismus tun? Ihn nicht mehr kaufen. Wenn ich auf eine Nachrichtenseite gehe und als erstes zustimmen muss, dass ich ausspioniert werde um „wie gewohnt lesen zu können“, nur um dann zu erfahren, dass ich den Artikel nur dann lesen kann, wenn ich ein Abo abschließe, dann gehe ich dort nicht mehr hin.

Ich bekomme immer wieder den Vorschlag, Pen-and-tell kostenpflichtig zu machen. Nur für Abonnenten. Mache ich nicht. Warum? Weil hier auch an manchen Tage Sumpf steht. Oder gar nichts, weil ich keine Lust oder keine Zeit hatte. Das ist dann in der Redaktion die Zeit, in der dann die Leute rausgeschickt werden, um ein „VoxPop“ zu machen. Leute auf der Straße befragen. Zeilen schinden. Oder wo man dann eine Pressemitteilung des örtlichen Supermarkts abdruckt, dass die einen Lehrling aus Burkina Faso eingestellt haben.

Das mache ich aber nicht. Ich will Dinge schreiben, die mir wichtig sind. Die ich lustig finde. Spannend.

Und die, soweit es mir möglich ist, der Wahrheit verpflichtet sind.

Straight and honest.

Titelbild: „Lies have no legs“. Im Englischen haben die Lügen gar keine Beine. Aber Excire hat wohl ein Problem mit dem Spruch…

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