Orthodoxes Griechenland

Es gibt in Griechenland ein halbes Dutzend orthodoxe Kirchen. Die Unterschiede sind für die jeweiligen Anhänger sicher wesentlich, für mich als Atheisten – ich blick da nicht durch. Ich habe versucht, es mir von einer Griechin erklären zu lassen, aber ich hab’s trotzdem nicht verstanden. Trotzdem durfte ich am Pfingstmontag (natürlich dem griechischen Pfingstmontag, der nach dem julianischen Kalender berechnet wird und am 24. Juni war) an einem orthodoxen Gottesdienst teilnehmen und war ziemlich geflasht.

Als evangelisch und katholisch sozialisierter Deutscher war schon mal verrückt, dass der Altarraum abgeschlossen war und die Priester in diesem Altarraum scheinbar ihr eigenes Ding gemacht haben.

Hier konnte man mal einen Blick auf den Altar werfen, normalerweise ist da der Rücken eines Priesters davor. Der Typ in dem gelbgrünen T-Shirt gehört da übrigens nicht hin, denn das ist die Seite der Frauen. Frauen links, Männer rechts.

Ab und zu kommt ein Priester aus dem Tor, schwenkt ein Kreuz und geht wieder zurück. Es ist übrigens wichtig, dass die überall hängenden Leuchter schwingen, es gibt da extra jemand, der Dinge, die rumhängen, anschubst. Wenn die Zeremonie am Altar fertig ist – es wird übrigens dauernd gesungen und deklamiert, und zwar von den Priestern am Altar und im Kirchenraum – kommt ein Priester heraus und erklärt, warum man den Gottesdienst abgehalten hat, in dem Fall, was es mit Pfingsten auf sich hat.

Diese Predigt wird völlig frei gehalten und da wird auch kein Mikrofon verwendet und der Priester steht da auch nicht auf einer Kanzel, sondern lediglich zwei Treppenstufen höher mitten in der Kirche – das bedeutet, er muss in alle Richtungen predigen. Was er auch tut.

Wenn die Predigt rum ist, wird der Schrein einmal um die Kirche rumgetragen:

Und dann wird gegrillt und jeder bekommt zu Essen und zu Trinken.

Soweit alles wie im Bilderbuch. Spannend wird es bei den Details. Denn beim Gottesdienst ist das so, dass man reingeht. Oder rausgeht. Oder sitzt, steht, kniet. Oder mit dem Handy filmt. Oder fotografiert. Oder sich Kerzen von vorne holt. Oder irgendwelche anderen wichtigen Dinge macht. Zum Beispiel einen dummen, schüchternen Touristen wie mich auffordert, doch endlich mit der Knipserei zu beginnen, das wäre völlig OK.

Manche küssen Ikonen, andere lassen das bleiben. Einer spielt mit einem Rosenkranz rum, wieder einer geht ungeniert vor der Predigt und die Türe ist während des ganzen Gottesdienstes offen, es stehen Leute im Eingang und gehen irgendwann rein, andere gehen von drinnen zum Eingang und bleiben dort stehen, manche Frauen haben ein Tuch über dem Kopf, andere nicht, und es ist völlig egal, niemand stört sich an was. Und ja, anständige Klamotten sind angesagt. Lange Hosen, und bei Frauen Schultern bedeckt. Der Rest ist egal. Knallbuntes Sommerkleid? Völlig OK.

Es gibt hier keinen Gruppendruck und keine Gesangbücher – bitte aufschlagen bei Lied 385, gibt’s nicht – der Glauben ist etwas ausgesprochen persönliches. Niemand wird komisch angekuckt, weil er anders glaubt.

Die Jungs, die bei der Prozession mit den Kreuzen und Fahnen rumlaufen sind angehende Priester – aber die haben keine Messgewänder an, sondern Jogginghose und T-Shirt.

Man denkt immer, die orthodoxe Kirche wäre so mit Gold und Prunk und viel Pathos – ja, das sicher auch, aber diese Kirche ist unglaublich nahbar. Ich habe bei diesem gemeinsamen Essen Dinge erlebt – auf einmal hatte ich die Gabel des „Big Priests“ mitsamt einem Soutzukakia in der Hand: „aufessen!“ – die ich fast nicht glauben konnte.

Ich habe mich erkundigt, welchen Rang der „Big Priest“ hat, aber es gab nur eben diesen englischen Ausdruck. Tatsächlich ist der „Big Priest“ Metropolit, also Erzbischof und heißt Efthimios – „Der Herzliche“.

Das ist Metropolit Efthimios. Der Junge ist übrigens selbst auf den Mann zugelaufen und hat ihn umarmt. Nach dem, was wir mit einem anderen Priester, den wir später dann in einem Restaurant wieder getroffen haben, erlebt haben (den, der die Predigt gehalten hat, dann allerdings im schwarzen Alltagskleid) verstehe ich das. Diese Menschen strahlen das aus, was einen Priester ausmachen sollte: Güte. Und sie sind zutiefst menschlich. Die Witze, die er gerissen hat, sind hier nicht übersetzbar, weil sie eben sehr griechisch sind. (Diese Kirche ist übrigens russisch-orthodox. Griechisch-Orthodoxe Priesterkleidung wird mit einem Band zusammengehalten, bei den russisch – orthodoxen ist es nur ein Knopf.)

Nach einem solchen Erlebnis sieht man die Orthodoxie mit anderen Augen. Ja, man kann Religion prinzipiell ablehnen – kein Thema. Aber die Orthodoxie in Griechenland funktioniert. Allerdings völlig anders als die evangelische und katholische Kirche. Wobei man bei den Letzteren ja nicht mehr vom Funktionieren sprechen kann.

Orthodoxie ist in Griechenland ein Stück der Lebenswirklichkeit. Es ist untrennbar verbunden mit dem griechischen Lebensgefühl. Viele Touristen denken, unter einem Olivenbaum sitzen und Siga-Siga sagen, sei alles, was man wissen müsse. Vielleicht noch nen Straßenhund kraulen und Retzina schlürfen.

Nein, man muss nicht in die orthodoxe Kirche gehen, auch wenn es sehr viele gibt und die auch durchaus gut gefüllt sind, sind an Pfingsten deutlich mehr Griechen am Strand als in der Kirche. Aber man sollte verstehen, wie Orthodoxie funktioniert. In Deutschland habe ich einen Erzbischof nur in der Zeitung gesehen – in Griechenland drückt er mir zwei Souvlaki-Spieße in die Hand. Das ist Kirche und Religion, die kein Glaubwürdigkeitsdefizit hat. Die Priester sind in Griechenland Teil und Mitte der Gesellschaft – wie bei ihren Predigten. Viele deutsche Touristen, die den Berg Athos besuchen, sind erstaunt, dass es dort nicht wie im Mittelalter zugeht. Priester haben auch Smartphones. Überraschung. Das tut dem aber keinen Abbruch, denn es geht nicht um die technische Ausstattung. Es geht darum, den Menschen zu erreichen, menschlich zu sein.

Nur zur Info: das Essen und Trinken war für alle gratis.

13 Replies to “Orthodoxes Griechenland”

  1. „Die Unterschiede sind für die jeweiligen Anhänger sicher wesentlich, für mich als Atheisten – ich blick da nicht durch.“

    Ich hab kürzlich gelesen, dass sich so um 2000 jemand mal die Mühe gemacht hat, die Anzahl der christlichen Glaubensrichtungen zu zählen. Er kam auf 34000. Wahrscheinlich sind es inzwischen noch ein paar mehr. Für eine Offenbarungsreligion hat sich der Offenbarer offenbar recht missverständlich ausgedrückt.

    Mir als Agnostiker kommt das entgegen, die Vielfalt ist mir eher sympathisch. Traurig ist halt, dass einzelne dieser Konfessionen sich im Besitz der alleinigen und endgültigen Wahrheit wähnen.

    Besonderen Dank für diese Art von Artikeln, solche Blicke über den Tellerrand machen PAT aus!

    1. Die Vielfalt alleine der christlichen Glaubensvariationen zeigt die unermeßliche Phantasie der Menschheit, wenn es um die Deutung von unerklärlichen Fragen zu Welt und Kosmos geht.
      Global gesehen gibt es ein Standardwerk von Barbara C. Sproul aus den 90er Jahren (Primal Myths. Creation Myths around the World), das zweibändig auch in Deutsch als „Schöpfungsmythen der östlichen und westlichen Welt“ erschienen ist. Klappentext: „Die Auseinandersetzung mit zum Teil exotischen Anschauungen…“ Das Buch ist spannender als jeder Krimi.
      Tatsächlich werden weltweit wohl jeden Tag neue Gottesbilder erfunden, während andere vergehen. Die Resilienz und Erfolgsaussichten der einzelnen Theorien sind abhängig von Zufall, Zeitgeist, politischer und wirtschaftlicher Protegierung und sind ein Analogon zu mehr oder weniger geglücktem Marketing einzelner Kamerahersteller.
      Was in obigem Artikel sehr gut herausgearbeitet ist, ist die Empathie, Menschennähe und Menschenliebe, die einige (wenige) Religionen heute noch zu bieten imstande sind.
      Der geistige Sportverein, der Giordano Bruno auf dem Scheiterhaufen verbrannt hat, gehört nicht dazu.

      1. Das mit der Empathie ist für mich hier das Entscheidende. Diese Empathie taucht nicht nur in dem auf, worüber hier berichtet wird, sondern auch im Bericht selbst. Und das hat mir heute gute Stimmung gemacht – das Internet ist nicht bekannt dafür, dass man dort Dinge liest, die gute, positive Stimmung machen.
        Ich halte Religion, teilweise Eugen Drewermann folgend, im Wesentlichen für ein psychologisches Thema. Religion ist ein zutiefst menschliches Bedürfnis. Das organisierte Christentum hat es in 2000 Jahren gründlich vermasselt, dieses Bedürfnis in einer für die Menschheit positiven Weise zu erfüllen. Und das, wie Drewermann zeigt, obwohl die christlichen Rituale eigentlich gut geeignet wären, dem Menschen den notwendigen psychischen Halt zu geben – denn sie basieren auf viel älteren Ritualen, die seit tausenden von Jahren funktionieren und dem Menschen helfen, mit seiner Situation klar zu kommen. Leider hat das Christentum daraus eine besserwisserische Kopfgeburt endgültiger „Wahrheiten“ und Regeln gemacht, die Menschen trennen und wechselseitig ausschließen.
        Trotzdem haben Menschen diese Bedürfnisse – und sie greifen nach dem, was für sie erreichbar ist.

  2. „Es gibt in Griechenland ein halbes Dutzend orthodoxe Kirchen.“
    Nicht einmal jemand, der Griechenland überhaupt nicht kennt, nimmt Ihnen so etwas ab. Vielleicht haben Sie aber verschiedene Kongregationen gemeint (?)
    Allein in Thessaloniki (dessen Qualitäten Ihnen offensichtlich fast völlig entgangen sein dürften, einige Kirchen davon sind sogar im Range des UNESCO-Weltkulturerbes, z.B. auch das ehemalige Latomos Kloster, das Ihnen lediglich eine Aufnahme von 5 Stühlen wert war.) gibt es mehr als ein Dutzend davon.
    Noch eine bescheidene Foto-Kritik von mir: Die Innenaufnahmen in der Kirche gehen trotz des überstrahlenden Lichts der Fenster sehr viel besser …….
    Aber immerhin ist Ihnen die Volksnähe der orthodoxen Kirche („Orthodoxie ist in Griechenland ein Stück der Lebenswirklichkeit. Es ist untrennbar verbunden mit dem griechischen Lebensgefühl.“ Sehr schön formuliert!) aufgefallen.

    1. O Gott. Gibt es ernsthaft jemanden, der denkt, ich hätte physikalische Kirchen gemeint, wenn ich in einem Artikel vorher geschrieben habe, dass überall welche rumstehen? Ernsthaft?
      Wegen der Latomous-Kirche: Ich habe da ein paar mehr Fotos, aber ich zeige die nicht. Und ja, da gibt es viel mehr Kirchen. Aber als Journalist habe ich die Freiheit, meine Schwerpunkte zu setzen. Sie dürfen gerne auf ihrer eigenen Website einen umfassenden Überblick über alle Kirchen Thessalonikis geben, mit Fotos aus allen Blickwinkeln mit ausführlicher Beschreibung. (Die Griechen schreiben die Latomos-Kirche übrigens mit einem „u“ mittendrin. Die Wikipedia ist da nicht sehr perfekt.) Aber das ist hier nicht Thema.
      Und die Innenaufnahme der Kirche ist genau so gewollt. Mitsamt der Überstrahlungen. Weil es nicht um Architekturaufnahmen geht.

  3. Danke für den lustigen Kommentar. als ob es um Gebäude ginge 😀
    Thessaloniki hat viele Kirchen(gebäude), ganz klar.
    Aber darum geht es in dem Artikel üüüberhaupt nicht.
    Wer allein die Bilder von Reinhard in diesem Artikel betrachtet, erfasst sofort worum es geht.
    Ist ihnen ja zum Schluss auch gelungen.
    Allein schon das „überstrahlende Licht“ drückt den Sinn des Artikels aus.
    In diesem Sinne wünsche ich einen schönen und tiefsinnigen Sonntag!

  4. Ein sehr interessanter Artikel.

    Um solch detaillierte Informationen bzgl. der Kultur
    zu bekommen, muss ich normalerweise den TV-Sender
    ARTE einschalten.

  5. Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben!
    (m/w/d)

    Kirche als große Gemeinschaft zu erleben, zumindest da, wo sie noch als Gemeinde funktioniert, ist ja keine Einbahnstraße. Dass du, lieber Reinhard, den für deine Gegend zuständigen Bischof nur aus der Zeitung kennst könnte vielleicht etwas damit zu tun haben, dass du dich eher selten auf Festen rumtreibst, wo er sich auch rumtreibt?!
    Ich kenne „meine“ Bischöfin schon persönlich. Wir haben uns auf diversen Veranstaltungen getroffen. Sie hat mir bis jetzt zwar noch keinen Fleischspieß angedreht, aber Kaffee und Kuchen *lach*…

    Aber grundsätzlich gebe ich dir Recht:
    Die beiden großen Kirchen in Deutschland (ich meine nicht die physikalischen Gebäude) sind unnahbare Bürokratiemonster geworden und werden genau daran zugrunde gehen!

    Ausnahmen bestätigen die Regel.

    jm2c
    Martin

  6. Hallo Reinhard,

    you made my day.

    Das was du hier so schön in Worte gefasst hast und mit bewußt ausgewählten Bildern zeigst, habe ich in einem viel kleineren Rahmen in dem orthodoxen Kirchengebäude ( 😉 ) kurz vor Ostern in Bad Kissingen erlebt.
    Eine unwahrscheinlich bemühte, sehr freundliche, sehr empathische Frau, die uns durch die ganze Kirche samt Kellerräume (mit Bibliothek und weiterem Essraum) geführt hat und uns alles erklärt hat und sich alle Zeit der Welt für uns genommen hat.

    Und dort kommen Russen und Ukrainer und … zusammen und es wird allen geholfen.
    „Alle sind Menschen und Kinder …“

    Zum Abschied hat sie uns noch wunderbar ein Lied gesungen und uns gesegnet. Da spielte unsere Konfession/Glaubensrichtung nicht die geringste Rolle.
    Sowas hätte ich gerne viel, viel früher in meinem Leben erleben dürfen.

    VG
    Claus

  7. Ich habe schon lange kein Foto mehr gesehen, das so viel menschliche Wärme und Herzlichkeit transportiert wie das von Metropolit Efthimios, dem Jungen und der Mutter mit Kleinkind. Berührend. Dies gilt auch für Ihren Textbeitrag, den ich gleich dreimal an einem einzigen Tag gelesen habe. Herzlichen Dank dafür.

  8. Herzlichen Dank für diesen berührenden und erhellenden Ein- und Ausblick in eine ganz andere Welt. Schön, wie Du immer wieder Dinge so schlicht und gleichzeitig ganzheitlich auf den Punkt bringen kannst!

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