Manchmal kommen hier Fragen rein, da denkt man, die kann man flott beantworten oder die sind so seltsam, dass man denkt, da will einen jemand auf den Arm nehmen.
Letzthin hatte ich die Frage „Ich habe jetzt ein Oly 12-200 und wollte mit 200mm ein Sonnenblumenfeld fotografiern. Da ist nur noch die erste Reihe scharf. Früher, mit der Pana, war das anders. Und wenn ich die Brennweite kürzer mache, dann ist es auch scharf.“
Also habe ich ein paar Ergebnisse meines Schärfetiefenrechners hingeschickt und dachte, Fall erledigt.
Die Nummer hat mir aber keine Ruhe gelassen, denn diese simple Frage hat halt mit allen möglichen Dingen zu tun. Schärfentiefe, Abbildungsmaßstab, brennweitenabhängige Hintergrundunschärfe, die ganze Latte halt. Und wenn einem das nicht mal wer richtig erklärt hat, dann kann man mit irgendwelchen Zahlenwerten aus dem Schärfentieferechner (Was ist das???) nichts anfangen. Wenn ich mit dem Auto an der Ampel nicht wegkomme, hilft es mir nichts, wenn mir jemand das Leistungsgewicht meines Fahrzeugs und den Reibungskoeffizienten der Reifen auf Asphalt schickt.
Also fangen wir mal ganz simpel an, Die Sonnenblumen im Titelbild sind mit 200mm und Blende f/4 gemacht. Ganz klar, scharf ist nur eine Sonnenblume. Nun als Kontrast, 11mm und Blende f/22:
Was ist nun da passiert? Hier ist von vorn bis hinten alles scharf. Und jetzt wird es total strange:
Das sind wieder 11mm Brennweite, aber Blende f/4. Und auf einmal sind die Sonnenblumen weiter hinten und die Bäume am Horizont unscharf. Der Grund ist simpel. (Ja, es wird jetzt stark vereinfacht, aber dieser Artikel ist heute mal nicht für die Nerds.) Dieses f/4 bedeutet: f ist das Kürzel für die Brennweite und 4 ist der Nenner in diesem Bruch. Also 11mm durch 4 ist 2,75mm. Die Blende im Objektiv hat also beim unteren Bild ein Loch von knapp 3mm, durch das „das Bild durchmuss“. Bei Blende 22 ist das Loch noch 11mm/22 = einen halben Millimeter groß. Und je kleiner das Loch, desto schärfer das Bild.
Wenn ich nun nicht im Modus „Blendenvorwahl“ (A) sondern in einem anderen Automatikmodus fotografiere, wählt die Kamera, je nach Lichtverhältnissen, die Blende selber, ich habe also keinerlei Einfluss darauf, ob das Sonnenblumenfeld nun scharf oder unscharf wird. Das sucht sich die Kamera raus.
Und ja, der Unterschied zwischen offener Blende und geschlossener Blende ist jetzt gar nicht sooo groß. Nehmen wir mal andere Brennweiten:
Doppelte Brennweite. Ja, hinten ist es deutlich unschärfer. Das haut einen aber noch nicht vom Stuhl. 50mm:
Hier haben wir 50mm und f/16. Die Bäume am Horizont sind deutlich größer, aber eben auch unschärfer. Das ist die berühmte „Telestauchung“. Hier das gleiche in f/4:
Da wird schon alles hinter der ersten Sonnenblume unscharf. Was auffällt: die Blumen in zweiter Reihe sind deutlich größer als bei den Bildern mit kurzer Brennweite. Plötzliches Wachstum? Nein. Ich bin zum Fotografieren mit längerer Brennweite weiter weg gegangen, damit die Blume vorne dran halbwegs die gleiche Größe hat. Dinge die näher sind, wirken größer, als Dinge, die weiter weg sind. Bei 11mm bin ich etwa einen halben Meter an der Sonnenblume dran, die nächste Blume ist bereits eineinhalb Meter weg. Wenn ich aber selbst von der ersten Blume zwei Meter entfernt bin, dann ist die zweite Blume drei Meter weg. Und je weiter ich weg gehe, desto irrelevanter wird der Unterschied zwischen dem Abstand von der ersten zur zweiten Blume.
Hier sind wir schon bei 100mm f/4. Und das Titelbild waren eben die 200mm und Blende 4. Da sieht man deutlich, dass die zweite Blüte tatsächlich großer ist, als die erste Blüte.
Und jetzt kommen wir eben zu einer Tatsache, die ziemlich unbekannt ist. Der Bereich, in dem ein Bild scharf ist, hängt vom Abbildungsmaßstab ab. Je näher ich bei gleicher Brennweite an die vordere Blume rangehe, also je größer ich diese auf dem Sensor abbilde, desto kleiner wird der Bereich, in dem das Bild scharf ist. Das kann ich durch ein Schließen der Blende wieder – in Grenzen – ausgleichen, aber wirklich ausschlaggebend sind die Brennweite und der Abstand, eben der „Abbildungsmaßstab“. Fotografiere ich statt des Sonnenblumenfeldes etwa einen Parkplatz und bilde ein einzelnes Auto so groß ab, wie hier eine Sonnenblume, dann ist der ganze Parkplatz durchgehend scharf – simpel, weil der Abbildungsmaßstab um ein vielfaches geringer ist.
Und warum ist nun das Bild mit langer Brennweite so viel unschärfer als das Bild mit kurzer Brennweite? Simpel: die Sonnenblumen im Hintergrund sind bei langer Brennweite und großem Abstand viiiiel größer als bei kurzer Brennweite und kurzem Abstand. Anders ausgedrückt: Der Abbildungsmaßstab der Blumen im Hintergrund ist auf einmal viel größer. Und je größer der Abbilungsmaßstab, desto geringer ist der Bereich im Bild, der scharf ist. Bei extremer Brennweite und extremem Abstand zum Feld sind auch die Sonnenblumen am Ende des Feldes so groß wie die Sonnenblume vorne dran und entsprechend so unscharf, dass sie nicht mehr als Blumen erkennbar sind.
Wenn ich also „freistellen“ will, ist der Trick, nicht etwa die Blende „aufzureißen“ – was gar nicht so viel hilft -, sondern den Abbildungsmaßstab des Hintergrundes zu verändern. Also: Abstand zum Hauptmotiv und lange Brennweite. Will ich dagegen ein Bild, das von vorne bis hinten scharf ist: näher ran, kurze Brennweite, Hintergrund klein machen, den Abbildungsmaßstab des Hintergrunds also verkleinern.
Für den Anfänger bedeutet das: Man verabschiede sich von der Programmautomatik (P wie „Profi“) und gewöhne sich „A“ an. Und: ein Zoom bedeutet nur, dass man keine Objektive wechseln muss, nicht, dass man sich nicht mehr bewegen muss. Etwas „heranzuzoomen“ beeinflusst den Hintergrund. Das kann gewünscht sein. Oder auch nicht.
Aber man sollte wissen, was man tut.
Eigentlich müsste man es auch so veranschaulichen können:
Wenn ich Titelbild (200mm, f/4) und drittes Bild (11mm, f/4) nehme und eine der Sonnenblumen im Hintergrund „croppe“: um die Blüte am Bildschirm ungefähr in gleicher Größe zu sehen, muss ich die vom 11mm-Bild um etwa 400% vergrößern – und dann ist sie etwa genauso „unscharf“ wie die Blüte auf dem 200mm-Bild (aber natürlich unschön unscharf).
D.h. die Information, die von einem gleich großem Objekt in gleicher Entfernung in der Realität da draußen auf dem Sensor landet, ist Brennweiten-unabhängig immer gleich. Nur dass sie bei 11mm in einem wesentlich kleineren Teil des Sensors und damit auch des Fotos landet – und uns deshalb „scharf“ erscheint; mehr Details könnten wir eh nicht sehen,
Oder ist das jetzt Blödsinn, was ich mir da zusammenreime?
Was hast Du gemacht? Du hast durch die Vergrößerung den Abbildungsmaßstab vergrößert.
Aber, und das habe ich jetzt nicht angesprochen, weil es eine andere Baustelle ist und der Artikel eben NICHT für die Nerds ist: Eine längere Brennweite liefert tatsächlich eine unschärfere Abbildung außerhalb der Schärfeebene als eine kürzere Brennweite, selbst wenn man die Änderung des Abbildungsmaßstabes ausgleicht. Diese ganzen Effekte sind aber vor Ort am Motiv überhaupt nicht mehr exakt zu berechnen, deshalb rein akademisch. Da kann man sich in Foren wunderbar die Köpfe einschlagen, vor Ort arbeitet man mit Daumenregeln und dem prinzipiellen Verständnis von Abständen und Bildwinkeln. Es ist schon ein Fortschritt, „P“ in Rente zu schicken und auf den Abstand zum Motiv und von diesem zun Hintergrund zu achten.
Hallo MG und Reinhard, Euer Dialog zeigt ganz deutlich was mir so wichtig an pen-and-tell ist. Nicht selten vertieft eine Nachfrage oder eine andere Betrachtungsweise eines Users noch den Inhalt eines Artikels (Lernzielkontrolle). Das ist eine prima Ergänzung/ Auffrischung zum Erlernten aus Fachbüchern, wenn man für sich selbst erstmal versucht die Fragen zu beantworten. In einem Forum hingegen würde das in einer wirren Diskussion untergehen.
Das Problem ist aber nicht P an sich. Ich verwende immer P und wenn es mir um die gezielte Anpassung der Blende/Zeit-Kombination bzgl. Schärfentiefe geht (oder, auf die andere Seite, Bewegungsunschärfe oder eben nicht), dann benutze ich die P-Shift-Funktion … ganz einfach, habe ich immer griffbereit auf dem vorderen Einstellrad.
Ich (ich persönlich, ich will das nicht missionieren) arbeite als Voreinstellung immer mit P, weil ich so schneller für Schnappschüsse gerüstet bind und die Chance steigt, bei einem Schnellschuss eine brauchbare Blende/Zeit-Kombination zu bekommen. Ich fotografiere oft „nebenbei“ und habe dann wenig Zeit zur Vorbereitung.
Danke für die Anregung. Ich denke, das sollte ich mal bei einem Frag PAT thematisieren. Denn genau diese Argumentation habe ich bei Seminaren häufig. Und ich bin jedes Mal in der Lage, zu zeigen, dass P nicht schneller ist als A. Aber A in vielen Fällen die besseren Bilder liefert. Das hat mit unserem Sensorformat zu tun. Bei Kleinbild hat P mehr Berechtigung, weil ich dort mit Offenblende so gut wie immer Kompromisse eingehen muss – Schärfeleistung des Objektics, Schärfentiefe ist zu gering. Bei mFT kann man selbst mit f/2 durchgängig fotografieren, sowohl Schärfe als auch Schärfentiefe passt für fast alle Situationen. Abblenden ist sehr selten notwendig. P blendet aber fast immer ab, was ich erst mit Ps korrigieren muss – was länger dauert als gleich auf A und Offenblende.
Eigentlich sollte man das doch irgendwie in den Kopf bekommen, allein ich verstehe es nicht vollständig. Da kann ich mir noch so viel Mühe geben. Wichtig ist aber, sich es beim Fotografieren auch noch bewusst zu machen. Ich werde es also noch zehnmal lesen und versuchen, irgendwie dahinter zu kommen. Das muss doch machbar sein.
Es gibt nur eine Möglichkeit, das zu kapieren: Selber ans Sonnenblumenfeld gehen und das ausprobieren. Solange man diese Effekte nur theoretisch behandelt, kriegt man das nicht in das Bild im Kopf, das man braucht, um das Bild mit der Kamera zu machen. Man kann sich genau ausrechnen, mit welcher Geschwindigkeit und in welchem Winkel man mit einem Hammer von definiertem Gewicht auf einen Nagel hauen muss, um den ins Brett zu kriegen. Aber um den Nagel dann tatsächlich ins Brett zu hauen, braucht es Übung und Muckis.
Und nicht vergessen: auch an der digitalen Systemkamera gibt es eine Abblendtaste. Da dunkelt im Gegensatz zu früher das Sucherbild nicht mal ab 😉
Hallo Frank, Danke für Deinen offenen und ehrlichen Kommentar. Ich denke genau das was Du beschreibst unterscheidet uns Amateure von einem ausgebildeten Berufsfotografen. Selbst nach zig Jahren Lernen aus Fachbüchern und dem Irrglauben, dass das Lesen eines Artikels allein dir schon hilft das (vermeintlich) Erlernte in der Praxis auch anzuwenden. Ich sitze auch nach 39 Jahren Amateurfotografie immer mal wieder vor einem Bild am Monitor und überlege warum habe ich in der Situation es nicht noch besser gemacht, das eigentlich vorhandene Wissen nicht abgerufen. Vieles ist in Fleisch und Blut übergegangen und man bekommt auch in schwierigen/ stressigen Situationen ein technisch einwandfreies Bild. Aber wenn ich dann lese, dass Amateure Hochzeiten „machen“ wollen… Vielen ist gar nicht bewusst, was sie dabei trotz ihrer technischen >>> Perfektion <<< eben nicht abrufen können. Das macht Fotografie für mich zu einem interessanten Hobby, eben weil noch immer Luft nach oben ist, ohne dass dabei Frust entstehen muss.
„[…] unterscheidet uns Amateure von einem ausgebildeten Berufsfotografen […]“
kommt auf die Definition von ‚Amateur‘ an.
Ich habe in meinem (fotografischen) Bekanntenkreis nur einen, der Fotografie als ‚Job‘ macht. Der ganze grosse Rest und ich sind ‚professional photographers by track and amateurs by vocation‘. Das, was in Foren so rumkraucht, das hat überwiegend Kameraelektronik als Hobby. Und keinen Schimmer vom Rest. So, als würden wir uns hier über die Bruchfestigkeit von Füllhalterfedern unterhalten. Interessiert Schriftsteller … erschreckend, aber dann tut ss halt der Bleistift, solange der nur irgendwie einigermassen spitz gehalten werden kann. Oder der Bic-Kuli. Lass ihn schmieren, so what ?
Denn wie Reinhard schreibt : „Es gibt nur eine Möglichkeit, das zu kapieren: Selber […]“. So. Und *nur so*. Neugier, machen. Und machen. Selber. Und nochmal. Vielleicht ein klein bisschen anders. Und machen. Hmm, wieder ein klein bisschen anders. Oder zurück auf Anfang. Und nochmal … Dann kommt man auch hinter dieses ganz geheime Geheimnis der ‚Brennweitenkompression“ und entscheidet selber, ob für die Praxis das letzte Quentchen Umrechengenauigkeit von Bedeutung ist oder peng. Für meinen einen ist es schnurz. Aber diese Situationen am Monitor – die kenne ich auch 😉 Kenntnisse können einrosten, wenn die nicht denn und wenn raktiviert und wieder mal ‚geübt‘ werden. Ist so. Täglich. Mehr als zwei Minuten.
Hallo zusammen,
wenn ich ein schönes Motiv habe (oder glaube, es zu haben), wo das Licht gerade passt, spiele ich auch gerne mal mit der Schärfentiefe, Blende, Schärfe vorne, Schärfe mitte, Unschärfe vorne (Hohes Gras) oder auch die Blende zu auf f/8 – f/10 mit Fokus im nahen Drittel, um ggf. die Hyperfokaldistanz auszunutzen. Meist gibt es dann von dem Standort so um die 20-30 Bilder pro Richtung. 2 Davon sind davon idR brauchbar. Rest alle ähnlich aber nichts Besonderes, quasi zum Lernen. Als Laie sehe ich oft die Wirkung hinterher am großen Bildschirm dessen, was ich erreichen wollte. Ich kann mir zwar viel denken beim Umsetzen, aber wenig kontrollieren, zudem spiele ich da auch mal gerne mit den Einstellungen. Also Masse für ein bisschen Klasse. Obwohl ich weiß, was ich tun möchte. Und immer min. ein Schuss in Reserve, falls der Fokus doch nicht passte oder eine seltsame Verwacklung drin ist (Stabi, ich, Wind und manchmal … hä(?) wenn ich die Verschlusszeit ansehe). Mühsam ist halt dann die Arbeit hinterher am Rechner. Die Entscheidung: Was behält man, was wirft man in die Tonne.
Kompression kann man schön bei Schlössern üben wie in München Nymphenburg, Schleißheim oder Kassel (Wenn ein Dokumenta- Gebilde nicht gerade die Sicht blockiert…). Da gibt es schöne Korridore, wo man mit Teles das Gewässer, Wege und die Landschaft komprimieren kann. Mitten auf eine Brücke oder Weg und gib ihm. Muss man halt im Frühjahr hin, wenn die Gewässer noch nicht grün/braun sind vor lauter Algen (München) und die Wege nicht so staubig sind, dass man bis zum Bauchnabel grau ist (Kassel). Gibt schöne Effekte. Nichts, was es zwar nicht schon 1 Million mal gibt. Aber der persönliche Erfolg macht dann trotzdem Spaß.