Letzthin habe ich von meiner Frau eine Kurznachricht aus dem Frühdienst bekommen: „Frühdienst hat gerade angefangen und schon ein Leben gerettet.“

Was mache ich? Die existenzielle Bedeutung der Hobbyfotografie nähert sich asymptotisch der Nulllinie. Ich will jetzt nicht die Nummer mit den Selfie-Toten aufmachen. Weltweit 5 Selfietote im Monat sind angesichts der täglichen Raserei auf unseren Straßen und der Billionen Selfies irrelevant – außer für die Toten selbst.

Im Vergleich zu einer „simplen“ Krankenschwester, die in der Notaufnahme arbeitet, ist die Bedeutung eines Fachautors und Bloggers also eher bescheiden. Wenn ich Dusel habe, verschaffe ich Leuten mit Geld ein paar erfüllte Stunden. Das war’s. Das höchste der Gefühle für einen Fotografen ist schon, wenn er mit seinen Fotografien die Erinnerung an einen lieben Menschen erhalten kann und bei der Aussegnung vorne am Sarg kein hochskaliertes Passbild steht. Marylin Monroe wäre ohne Fotografie und Film längst nicht mehr existent – kennt heute noch jemand die Schauspieler, die den „Sommernachtstraum“ uraufgeführt haben? Immerhin von Heinrich Gudehus, der bei der Uraufführung des Parsifals dabei war gibt es Fotos – als hammerschwingenden Siegfried aus dem „Ring“. Der Fotograf des Bildes? „Gemeinfrei“.

Vor ein paar Tagen habe ich ein Buch geschenkt bekommen über Edward Sheriff Curtis, der in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts im Auftrag von J.P. Morgan (Genau der. Eigentümer von Morgan Stanley und JPMorgan Chase &Co.) Indianer geknipst hat. Er war 30 Jahre dafür unterwegs, vieles von ihm ist überhaupt erst in den letzten Jahren wieder aufgefunden und restauriert worden. Er starb verarmt. Man wirft ihm heute vor, dass er nicht die Indianer fotografierte, wie sie in den 20ern waren, sondern wie er sie gerne gehabt hätte. Der romantische Wilde. So ein bisschen Remington, nur als Foto. Im Lendenschurz mit Speer auf Fischejagd. Die einen Natives sagen nun „Wenigstens einer hat das festgehalten“ und die anderen sagen „das war alles nur Fake, Stereotype.“ Wie man’s macht, isses verkehrt.

Das mir vorliegende Buch ist lausig – der Text fragwürdig, die Reproduktionen der Fotos beeindruckend schlecht – rororo-Taschenbuch von 1983. Hatte es Sinn, dass Curtis da durch die USA und Kanada gereist ist, und zum Beispiel Riten der kanadischen Indianer gefilmt hat, obwohl die Riten wie auch das Filmen strengstens verboten waren? Er wollte seinerzeit seinen Film in den USA zeigen – und ging damit pleite. Die einzige Kopie, die es davon gibt, hat einer aus dem Müll eines Kinos gezogen. Jetzt ist der restaurierte Film Teil des kulturellen Erbes Amerikas. Hilft das der aktuellen Situation der Native Americans? Nope.

Die Sinnfrage….

9 Replies to “Sinnfrage”

  1. Die gleiche Frage stellt man sich als ITler. Klar, man trägt irgendwie dazu bei, die Welt am Laufen zu halten. Aber hilft das der Welt? Sie so am Laufen zu halten, wie sie ist…

  2. Da habe ich ja fast einen Lotto 6er gemacht!
    Immerhin habe ich es vor einigen Jahren von der schnöden IT in die Massendigitalisierung von Video und Audio aus Rundfunkarchiven und musealen Sammlungen geschafft. Da helfe ich wenigstens mit, das dort gesammelte kulturelle Erbe zu erhalten, indem ich weltweit Anlagen für die Digitalisierung von AV Medien konzipiere und die Prozesse für eine effiziente Bearbeitung definiere. Die Medien selbst verfallen durch Alterung und teils unzureichenden Lagerbedingungen. Die Abspielgeräte sind nur noch gebraucht zu haben und Ersatzteile sind Mangelware und auch das Wissen zur Reparatur schwindet. Es liegen weltweit noch viele Bänder in den Regalen, die auf die Digitalisierung warten. Einige davon sind wichtige Dokumente der Zeitgeschichte. Noch ca. 10 Jahre, und vieles ist unrettbar verloren.
    Das Erinnern bewahren ist zumindest ein großer Fortschritt gegenüber den oft sehr zweifelhaften Projekten, die ich früher in der IT abzuwickeln hatte.

  3. Ein Fotografen-Kollege von mir hat schon alles fotografiert, was nicht wie ein schwarzes Loch unfotografierbar ist…
    Von Produkten (so groß wie LKW bis Makro) bis zu Promis.
    Seit einigen Jahren macht er nur noch Kinderfotografie in Kindergärten und Schulen.
    Eine Auftraggeberin hat ihn mal in meinem Beisein gefragt, warum er sich jetzt auf Kinder verlegt hat, wo er doch so gut im Agentur-Geschäft etabliert war. Er hat, fast ein bisschen verlegen, geantwortet:
    Mit Kinderbildern „produziere“ ich Freude – zumindest bei den Eltern oder Großeltern.
    Das war seine Antwort auf die Sinn-Frage. Nicht ganz schlecht, finde ich.
    Martin

    1. Dann hat er riesig Glück mit seiner Nische.

      Schulfotografie läuft eigentlich anders. Da werden junge Frauen (wirken in der Schule nicht so gefährlich wie Männer) mit Kamera und blauem Hintergrund zum Niedriglohn in die Schulen geschickt. Dort wird im Akkord alles durchgeknipst, was nicht fehlt. Danach wird jedes Kind als Foto-Tableau, Fotomagnet und so weiter gedruckt. Das alles kommt zur Auswahl zu den Eltern. Was die nicht kaufen, geht zurück und kommt in den Müll (sehr viel). Es entsteht oft mehr Kaufdruck als Freude, die der Fotograf aber auch nicht mitbekommt, weil der Lehrer das Material weitergibt. Schulfotografie ist sehr anstrengend, weil man die Motive noch nie gesehen hat, die nicht fotografiert werden wollen oder kompliziert tun mit ihrem Duckface und trotzdem muss man eine Art von positivem Kontakt in den zwei Minuten herstellen, damit das Foto so gut wird, dass es vielleicht verkauft werden kann. Und das 100 Mal in drei Stunden.

      Anders rum kenne ich es auch. Da wurden Fotos nicht gekauft, die ich dann später in der Zeitung als Raubkopie wieder gefunden habe. Steiner Schule kann auch so.

      1. Tja, Rüdi,
        der Kollege und ich arbeiten für einen (offensichtlich) sehr guten Jahrbuch- und Schulfotografie-Verlag.
        In den Schulen unterwegs sind wir derzeit nur Männer (Zufall, es waren auch mal Frauen dabei), der jüngste der Stammcrew ist letztes Jahr 50 geworden, Niedriglohn bekommen die anderen, wir schreiben sehr ordentliche Rechnungen (klar, mehr geht immer *grins*).
        Druck auf Verdacht gibt es nur noch für Schulen, die das wirklich wollen (und wo die LehrerInnen aus dem Abziehbilder-Kleben wirklich ein Event machen). Sonst gibt es den QR-Code zum Online-Katalog und die Eltern bestellen on demand (ob das ökologischer ist, wenn jede einzelne Bestellung auf einen eigenen Transport geht sei dahingestellt).
        Offensichtlich hält sich meine „Duckface“-Quote in sehr überschaubaren Grenzen, denn ich werde gut gebucht, trotz Mann, fast 60 und ordentlicher Gagen-Forderung.
        Anstengend: ja! Zwei Minuten: nein! Wir „machen“ im Team, einer Gruppe, einer Portraits, drei Schulklassen in einer Schulstunde. Also habe ich im Schnitt 30 Sekunden pro Portrait – also pro unterschiedlichem Mensch. Und, wie gesagt, offensichtlich stimmt die Qualität, denn es wird gut bestellt. Auch bei der on demand Version.
        Klar, einen gewissen Prozentsatz „Raubkopien“ gibt es auch. Wie faktisch in jedem Fotografendasein…
        Ja, Schulfotografie ist ein hartes Brot. Und es gibt die Billigheimer, die ihre Leute ausbeuten. Und/oder einen sehr ordentlichen Verkaufsdruck in den Schulen erzeugen (bis hin zur Bestechung).
        Aber es gibt auch seriöse Qualitätsarbeit in dieser Branche. Und wenn es diese Nische der Qualität nicht gäbe wäre ich nicht dabei. Wie mein oben zitierter Kollege auch.
        jm2c, Martin

  4. Nicht jeder von uns kann jeden Tag Leben retten.
    Ihnen ist es gegeben, einer nicht unerheblichen Zahl von Menschen die Feinheiten der Fotografie zu vermitteln. Das machen Sie großartig. Dafür verdienen Sie Dank! Meiner jedenfalls ist Ihnen gewiss.

  5. Erinnerungen festzuhalten, vor allem von Momenten die einzigartig sind, rettet zwar kein Menschenleben, macht aber das Leben des Menschen unvergesslich für seine Lieben und Nachkommen. mein liebstes Foto ist eins von meiner geliebten Oma, die 1997 viel zu früh starb. auf dem Foto ist sie so wie ich sie im Herzen trage.
    Und Menschen genau das beizubringen ist wertvoll.
    Viele Menschen sind auf ihre ganz eigene Art eine Bereicherung für andere. manchmal muss man nur genau hinschauen und hören.

  6. Guter Punkt Reinhard, ich würde es aber nicht gewichten im Vergleich mit Krankenschwestern/Polizisten/Feuerwehrmännern etc. Das wäre unfair beiden seiten gegenüber.
    Warum?
    1. Mit emotionalen/wichtigen Momenten schenkt man als Fotograf dutzenden oder gar hunderten Menschen eine Erinnerung über Jahre oder Jahrzente….und selbst wenn es „nur“ Familie/Bekannte/Freunde betrifft
    2. Wenn du Fotograf für Krisengebiete/behinderten Menschen und/oder Tiere bist, gibst du Menschen/Tieren die sonst kein „Gesicht“ hätten eben ein Gesicht und eine Geschichte
    3. Gerade in dem heutigen digitalen Zeitalter, wenn du gut bist in dem was du tust (Foto/Video), bist du derjenige der enorme Aufmerksamkeit generieren kann, durch starkes/emotionales Foto-/Videomaterial.

    Und das über Jahre und Jahrzente hinweg.

    grüße

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