Olympus und die Presse…

Seit eineinhalb Jahren blogge ich jetzt hier – und heute muss ich mal über was anderes schreiben, sonst platze ich.

Vor fast einem Monat ist Michael Woodford bei Olympus seinen Posten als CEO losgeworden und seitdem „nur noch Direktor“. Seit dieser Zeit ist eine Medien-Schlammschlacht ohne Beispiel entbrannt. Dabei geht es von Anfang an nicht um irgendwelche Fakten sondern einzig und allein darum, dass „die Japaner“ einen „angelsächsischen Aufklärer“ gefeuert hätten. Wirtschaftskrimi! Drama, Baby! Kein Klischee ist zu billig um nun bedient zu werden, der Spiegel hat in seinem Artikel von gestern die Ernennung von Woodford zum CEO mal kurz vom 1.4. auf den 1.10 verlegt – weil man dann von „14 surrealen Tagen an der Spitze von Olympus“ phantasieren kann. Jegliche journalistische Sorgfaltspflicht ist in Deutschland baden gegangen. Warum das so ist? Keine Ahnung. Das WallStreet-Journal im vielgescholtenen Amerika berichtet jedenfalls investigativ, objektiv und mit belastbaren Fakten.
Ich will die Ereignisse jetzt so auflisten, wie sie sich mir aus den bisher zugänglichen Quellen darstellen. Ich verkneife mir dabei eine Verlinkung, auch weil einige der Quellen nur für Abonnenten zugänglich sind – und die Quellen auch in den Threads von oly-e.de und im oly-forum.com verlinkt sind.

1990: „Japankrise“. Die durch das Plaza-Abkommen mit USA, D, UK und F ausgelöste Yen/Immobilien-Spekulationsblase platzt. Japanische Immobilien verlieren drei Viertel ihres Wertes, Banken und Lebensversicherer gehen Konkurs, reihenweise bringen sich Unternehmenschefs um. Die Rücklagen von Olympus lösen sich in Luft auf. Das „verlorene Jahrzehnt“ der japanischen Wirtschaft beginnt. Der Vorstand von Olympus arbeitet nach der Methode „Augen zu und durch“. Eine Realisierung der Verluste ist keine Option, das Unternehmen steht auf dem Spiel, also gibt es in der Bilanz keine Wertberichtigungen der Papiere.

2006. Die geplatzten Werte von 1990 sind immer noch in der Bilanz – nur dass sie buchungstechnisch, trotz niedriger Zinsen, immer mehr wert werden. Die zwischenzeitlich vergessene Bombe wird immer größer, denn jederzeit kann jemand auf die Idee kommen, diese „Assets“ zur Erhöhung des verfügbaren Cashs verkaufen zu wollen. Der Vorstand entdeckt die toxischen Zahlen und entscheidet sich, die Altlasten endlich zu entsorgen. Im Vorfeld der Übernahme der britischen Gyrus wird ein alter Freund, der seit 1999 eine Beratungsfirma auf den Cayman Islands hat, gefragt, ob er nicht eine halbe Millarde nicht überwiesen bekommen haben will. Der Mann versteht, um was es geht, stellt seine Firma zum Nicht-Empfang der 620 Millionen Dollar zur Verfügung und nach Nicht-Empfang macht er die Firma dicht.
Auch drei weitere Freunde in Japan erklären sich bereit, kleinere Beträge nicht zu bekommen. Als schließlich nach zwei Jahren die ganzen in der Japankrise vernichteten Werte auch buchhalterisch aus der Welt geschafft sind, sind die Bilanzen von Olympus wieder sauber und man kann wieder gut arbeiten. Es werden neue Produkte entwickelt, Olympus ist auf einem guten Weg.

März 2011. Der Olympus-Vorstand will restrukturieren. Überall im Unternehmen haben es sich Schreibtischtäter bequem gemacht und blockieren Innovationen und schnelle Entscheidungen. Doch ein japanischer Vorstand fängt nicht an, einfach Leute ‚rauszuwerfen, die vielleicht ja auch jahrzehntelang gute Arbeit geliefert haben. Also holt man sich einen westlich orientierten Sanierer – der Europa-Chef Woodford scheint geeignet.

Und der Brite fängt gleich richtig an: Er verbreitet Aufbruchstimmung. Ein Meeting jagt das nächste, er will Olympus voran bringen.

Sommer 2011. Olympus hat das Erdbeben überstanden, die neuen Produkte schlagen richtig ein, da liest Woodford in einer kleinen Zeitung, dass bei der Übernahme der britischen Firma Gyrus mehr als eine halbe Milliarde Dollar verschwunden seien sollen. Er liest in den Bilanzen nach und stellt fest: tatsächlich. Und kurz darauf wurden auch noch drei japanische Firmen übernommen, deren Wert man wenige Monate später drastisch nach unten korrigiert hat. Er rechnet zusammen und kommt auf eine Gesamtsumme von über einer Millarde Dollar. Dem Sanierer, der in den Abteilungen den Leuten wegen viel kleinerer Beträge auf die Zehen treten muss, kommt die Galle hoch. Er fragt bei seinem Vorgänger nach, im Board, im Finanzvorstand. Er erfährt nichts. Entweder die Leute wissen nichts, oder sie geben ihm zu verstehen, dass er das alles gar nicht wirklich wissen will. Er stellt fest, dass die größte Summe an eine nicht mehr existente Firma auf den Cayman-Islands überwiesen wurde. 620 Millionen Dollar. Weg.

Oktober 2011. Woodford wird klar, dass er da auf eine große Sache gestoßen ist, und bekommt es mit der Angst zu tun. Die einzige Organisation, die er für fähig hält, mal schnell eine Millarde verschwinden zu lassen, ist die Mafia. Er schreibt auf, was er herausgefunden hat, lässt von Pricewaterhause ein Gutachten erstellen, dass eine Provision von 35% einer Firma extrem unüblich ist und schickt seine Hausarbeit an jeden in CC, der ihm einfällt. Das ist für ihn seine Lebensversicherung – sie können ihn nicht aus dem Weg schaffen. Doch der vermeintliche Mafiaboss, dem er eine goldene Brücke gebaut hat, um aus der Sache herauszukommen, teilt ihm mit, dass man auf seine Dienste in Zukunft verzichten wolle. Woodford, der nun endgültig davon überzeugt ist, dass das ganze Board unter einer Decke steckt und die Ninjas schon in seinem Hotelzimmer warten, flieht aus Japan und wendet sich sofort an die Presse, bevor ihn die Auslandskiller erwischen.

November 2011. Der alte Freund des Vorstandes, der mit der Beratungsfirma auf den Cayman-Inseln, lässt sich scheiden, überschreibt seiner Ex-Frau sein gesamtes Vermögen und taucht unter. Olympus durchforstet auf Druck der Großaktionäre die Unterlagen und stellt fest: es gibt keine Mafia-Verbindungen, es gibt keine überhöhten Zahlungen an Berater, es gibt nicht mal zu teuer eingekaufte Unternehmen. Es gibt nur Luftbuchungen inexistenten Geldes. Da dies verboten ist, muss der Olympus-Vorstand zugeben: wir haben unsere Bilanz gefälscht.

Die Börsenaufsicht ermittelt nun – das ist ihre Pflicht – und dabei geht es vor allem darum, wem durch die Bilanzfälschung ein tatsächlicher Schaden entstanden ist. Und genau hier wird es etwas schwierig. Im Normalfall wird eine Bilanz gefälscht, um einen höheren Wert vorzuspiegeln als vorhanden ist: dabei werden Investoren und vor allem Banken betrogen. In diesem Fall wurde aber die Bilanz gefälscht, um den Wert des Unternehmens zu berichtigen. Der ursprüngliche „Sündenfall“ von vor zwei Jahrzehnten ist dagegen längst verjährt.

Doch mit diesen Vorgängen kann die deutsche Presse nichts anfangen. Da ist ein vermeintlicher Wirtschaftskrimi mit einem strahlenden Aufklärerhelden und irgendwelchen Typen im fernen Japan, deren Namen man sich eh nicht merken kann. Dass der Aufklärer mittlerweile in England sitzt, sieht, was er angerichtet hat und die Olympus-Mitarbeiter um Verzeihung bittet – geschenkt. Endlich eine Weltfirma, die man bashen kann, ohne dass die Anzeigenabteilung ihr Veto einlegt.

Die Wirklichkeit sieht anders aus, weniger strahlend, aber menschlicher. Es ist eine Story von Leuten, die persönlich ins Risiko gegangen sind, persönlich Verantwortung übernommen haben um anderen Leuten den Hintern zu retten. Ältere Herren, die „All-In“ gehen um anderen Leuten den Job zu erhalten, obwohl sie wahrlich nicht an der Misere schuld sind. Wir bräuchten auf dieser Welt mehr von diesen Leuten, in der westlichen Welt hat sich leider ein anderer Typus breit gemacht.

Und damit hier noch ein Bild ist: eines aus der E-P2 von vorgestern. Denn trotz „Bilanzskandal“ kann man mit dem Zeug, das Olympus herstellt, ganz hervorragend arbeiten.


Update: musste ja so kommen: die Leute, die da kriminelle Machenschaften sehen wollen, glauben mir kein Wort, sind aber auch zu faul, den entsprechenden Links auf oly-e und im Oly-forum zu folgen. Man glaubt es nicht, man muss manchen Leuten wirklich alles vorkauen.
Asienkrise
Um was es wirklich geht (Wall Street Journal)
Der Freund von den Cayman-Inseln.

Wer jetzt noch vergleichen will, was Herr Woodford meinte, herausgefunden zu haben, kann ja gerne den entsprechenden Brief lesen:
Woodford-Letter

So. Und ein besonderer Schlaumeier warf mir vor, dass Woodford zwar seit 1.4. COO war und erst ab 1.10. CEO und ich demzufolge mit meiner Spiegel-Basherei danebenliege, aber dann möge der mir bitte erklären, was der Unterschied zwischen einem Chef, der für alles zuständig ist und einem Chef, der für alles zuständig ist, ist. Ausser dem hübschen Titel „President“. Denn die amerikanischen Titel sind so überhaupt nicht auf die Struktur bei Olympus übertragbar.

—Update vom 18.11.2011

Nachdem nun die NYT gemeldet hat, dass Olympus laut einem internen Memo, dass sie aus nicht genannter Quelle bekommen haben, vielleicht Zahlungen an wen geleistet haben könnte, der vielleicht mit der Mafia zu tun haben könnte und es sich dabei um die Summe von 4,9 Mrd Dollar dreht, die allerdings nirgendwo auftaucht, will Woodford dringend nach Japan, um den Ermittlungsbehörden zur Verfügung zu stehen.

Ich glaube, ich habe in diesem Film irgendwo den Anschluss verpasst. Auf einmal, wo es doch um die Mafia geht, hat Woodford keine Angst mehr. Und er ist sich sicher, die Behörden unterstützen zu können, obwohl er keine Unterlagen hat, kein japanisch kann, und doch laut seiner eigenen Aussage, von allem nichts gewusst hat.

Vielleicht hat die Mafia ja wirklich ihre Finger im Spiel – aber anders als sich das die NYT so denkt….

—- Update vom 18.11.2011

http://z3n.tv/2011/11/16/goldman-sachs-makes-26-million-from-olympus-scandal/
Das Bild wird klarer – und ich scheine mich geirrt zu haben.

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