Ihr habt’s nicht verstanden

Mich hat ein Kontakt angerufen und mir mitgeteilt, dass ein Kamerahersteller die PEN-F zerlegt hat, um rauszukriegen, warum die Knipse so Kult ist. Und, O Wunder, da ist viel Technik in einem winzigen Gehäuse. Klar, die Technik ist von Anno Tobak, kurz nach Ende des analogen Zeitalters, als man noch den Wagner gefragt hat, wenn man auf der Suche nach neuen Features war. Aber das Gehäuse ist hübsch, die Integration der Technik in den Body ist genial.

Bauen wir nach, nur halt mit modernerer Technik. Wird garantiert ein Knüller. Retro mit moderner Technik, very sexy. Mein Kontakt hat nachgefragt: Tolle Idee, habt ihr auch nen Künstler gefragt, was ihr da an neuen Features reinbaut? Antwort: “Künstler? Wozu brauchen wir da nen Künstler?”.

Ein Hersteller hat für seine Kamera jetzt eine Möglichkeit geschaffen, dass die Leute ihre Farbeinstellungen ins Netz laden können, so dass andere die dann runterladen können. Da sitzt noch wer dazwischen, der dafür sorgt, dass da keine schweinischen, oder politisch unkorrekten Farben hochgeladen werden (blau, braun) oder dass gar das Beispielbild böse ist, aber da kann man sich dann Farbeinstellungen runterladen. Bei anderen Herstellern heißt das “LUT” Look-Up-Tables.

Eine geniale Erfindung. Ich lade mir das Farbdesign von der Toilettenszene von Full Metal Jacket runter und fotografiere dann meine Family damit. Krasse Wurst. Und weil’s so lustig ist, lade ich mir noch ein halbes Dutzend andere Farbeinstellungen oder b/W-Einstellungen runter. Farbeinstellungen gibt’s bei der PEN-F mehrere Fantastilliarden und b/w-Einstellungen 4 Millionen. Runterladen, draufladen, Fotos knipsen, die aussehen wie die von dem, von dem ich die Einstellung geladen haben.

Goil.

Warum macht man das? Damit man gleich vor Ort sieht, dass die Farbeinstellungen blöderweise nicht zum Motiv passen? Oder weil tatsächlich irgendjemand glaubt, dass ein Motiv nur deshalb preiswürdig ist, weil es genauso farbverfälscht wurde wie ein anderes Foto, das gut aussieht?

Nein, eine fremde “LUT” macht keine besseren Bilder. Im Allgemeinen nur Schlechtere. “Color Grading” beim Film war früher kein Selbstzweck sondern diente dazu, Fertigungsunterschiede der Filme auszugleichen, unterschiedliche Charakteristika von Objektiven auszugleichen. Kubrick war der Meister darin, falsche Filme zu verwenden, bzw mit Farbfiltern zu arbeiten, um Stimmungen zu transportieren.

Die PEN-F kann genau das. Stimmungen transportieren. Wenn der Fotograf eine Stimmung hat, die er in Farbe umsetzen kann. Eine Stimmung “runterladen” funktioniert nicht. (Okay, es soll Leute geben, bei denen das klappt.)

Eine PEN-F ist keine Knipskamera. Keine Poser-Kamera. Sie ist kein Sport-Monster und keine Lowlight-Kanone. In der Nacht sieht man keine Farben mehr, wie soll man da Farbstimmungen verstärken?

Setzen sie sich mit der PEN-F an eine Blumenwiese oder auf eine Bank in einer pittoresken Kleinstadt. Sehen Sie sich die Blumenwiese an. Da blüht vielleicht Mohn, oder Löwenzahn oder Spitzwegerich. oder Schöllkraut oder Fingerhut. Was ist wichtig? Sind vielleicht die ganzen Blüten gar nicht wichtig, sondern die unterschiedlichen Grüntöne der Kräuter? In der Kleinstadt: gibt es Fensterläden? Hat die Stadt eine Farbe? Vielleicht sind die Häuser alle aus den gleichen Steinen gebaut? (Aberdeen ist zum Beispiel komplett grau.)

Powis Circle in Aberdeen. Mittlerweile ist die Hecke höher, es gibt mehr Sat-Schüsseln und die weiße Schüssel im Hintergrund ist verrostet, die Mülltonnen an der Straße sind Rollcontainer. Aber sonst hat sich nichts geändert. Ach ja, die Haustüren sind mittlerweile rot gestrichen. Wenn wir schon bei Rot sind: Gras ist eigentlich irrelevant, es gibt in dem Bild nur ein wichtiges Motiv:

Genau. Und bevor wer fragt, ja, das ist die Ente, mit der ich heute noch rumkurve. Hier 1992 in Schottland.

Ja, das ist natürlich nicht mit ner PEN-F gemacht, das war meine geliebte Exakta. Also kann man das doch alles im Nachhinein machen? Ja, klar kann man das. Aber warum haben Impressionisten in der Natur gemalt? Warum ist Monet in den Wald gelatscht um dort zu malen? Die hatten alle Studios, in denen sie viel bequemer hätten malen können. Warum sitzen immer wieder Leute in der Natur und malen, obwohl irgendwelche Spezialisten ankommen und schlaue Sprüche absondern wie “Das Grün stimmt aber nicht.” oder “Da gehört noch ein Fenster hin!”.

Darum geht es nicht. Es geht darum, wie man eine Situation erlebt, was ist wichtig an einer Szene, was transportiert mein Wollen und meine Stimmung, was will ich ausblenden, was will ich richtig, richtig böse machen. Ja, kann man hinterher machen. Aber man kann es mit der PEN-F eben auch vor Ort machen.

Man kuckt anders. Welche Farbe ist das, wo laufen Lichter, wo laufen Schatten. passt die Perspektive. Ich habe da im Vordergrund Wiese, die gehört dazu, aber das rote Norwegerhaus ist mir wichtiger. Wenn ich die satte, grüne Wiese so lasse, dann kommt das etwas angeranzte Häuschen als Idylle raus, ich will aber zeigen, dass es leer steht, dass hier Verfall ist, also nehme ich die Sättigung aus dem Gelbgrün, und auch aus dem Rot, dafür blau rein. Und ein bisschen lila, dass die lila Blümchen mit dem Haus konkurrieren können.

Und dann noch etwas die Highlights runterregeln, damit da die dräuenden Wolken noch was zu sagen haben.

Hatte ich da vor Ort miese Stimmung? Jo. Es war einfach blödes Wetter und ich war schon wieder auf der Rückreise. Genau so ist das Bild. Die PEN-F macht das mit. Sie bildet ab, was ich denke, meine Stimmungen, die Dinge, die mir wesentlich sind. Ich sehe mehr, finde Farben, finde Dinge. Beschäftige mich mit Gründen – warum begeistert mich die Aussicht? Was bedrückt mich an diesem Motiv, warum macht mich jenes froh? Ich fotografiere Dinge, an denen ich sonst vorbeigelaufen wäre und andere Motive, die ein “Must” sind, lasse ich liegen, weil sie mir buchstäblich nicht in den Kram passen.

Und ja, meine Durchschnittsgeschwindigkeit beim Gehen reduziert sich auf einen Kilometer die Stunde. Wenn da ne Gruppe dabei ist, ist das nicht möglich. Nach ein paar hundert Metern kommt die Standardfloskel “Wir holen Dich am Rückweg wieder ab.”

Die PEN-F ist wie ein Skizzenblock. Man setzt sich hin, kramt alles raus und versucht, das Motiv in den Griff zu kriegen. Man lässt weg, betont Dinge, die einem wichtig sind, steht auf, schaut, ob eine andere Perspektive besser ist, und manchmal reißt man wutentbrannt das Blatt vom Block, weil man auf ein Blendermotiv reingefallen ist – oder weil man dieses Motiv nicht meistert.

Spielt da die Autofokusgeschwindigkeit oder die Serienbildgeschwindigkeit eine Rolle? Nein. Was einen ankotzt ist, wenn man die passende Farbe nicht dabei hat. Wenn da eine Blume mit Wahnsinnsblau ist und man sie nicht herausheben kann, ohne gleich die halbe Wiese einzufärben.

Es gibt tausend Dinge, die ich gerne hätte. Die Möglichkeit, vor Ort Teile des Motivs als Skizze anzulegen. Bei dem Haus oben die Wiese als grobe Skizze, das Haus fein ausgearbeitet, aber nur die verwitterte Farbe farbig, See und Himmel mit anderem Weißabgleich, dass sie bläulich werden. Unmöglich? Ach wa….

Aber ihr habt’s nicht kapiert, was diese Kamera ist.

Und es hilft nichts, wenn ihr Sie größer und teurer macht und eine LUT-Austauschplattform aufbaut. Verkauft PEN-F-Sitzkissen, damit sich die Fotografen hinsetzen und über sich und ihre Motive nachdenken.

3 Replies to “Ihr habt’s nicht verstanden”

  1. “… Ja, kann man hinterher machen. Aber man kann es mit der
    PEN-F eben auch vor Ort machen.”

    Ich würde es präziser sagen: Vor Ort ist die “vor-Ort-Stimmung”
    vorhanden. Zu Hause kann diese Stimmung schon wieder weg sein,
    sodass es dann passieren könnte, dass man sich zu Hause bei der
    Farbgestaltung eines Fotos anhand des Mainstreams orientieren
    würde, d.h. die Pen-F stellt vor Ort Möglichkeiten zur Verfügung,
    die man sich hinterher nicht mal mit Geld kaufen kann.

    P.S.:
    Als Künstler schlage ich folgende Person vor:
    https://oly-e.de/mitglieder/olyknipser/

    P.P.S.:
    Hat “der Kontakt” auch einen Link zum PAT-Blog geschickt?

    1. Es gibt Firmen, die den Blog lesen und spannend finden. Und es gibt Firmen, die den Blog für irrelevant halten. Aber im deutschsprachigen Raum haben dann doch viele schon mal davon gehört…

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