
Man kennt das. Die Sonne scheint, es ist hell und die Belichtungszeiten sind kurz. Und dann ziehen Wolken auf und es wird duster. Es gibt keine Schatten mehr, die Belichtungszeiten werden länger. Binsenweisheit
Es gibt jedoch Situationen, in denen das nicht zutrifft. Da wird das Licht bei Bewölkung unter Umständen sogar heller. Ich habe in Ludwigsburg die Probe auf’s Exempel gemacht.

Hier liegt Damwild unter einem Baum im Schatten. Ich habe auf das Damwild belichtet und dann noch eine zweidrittel Blende abgezogen, weil sonst das Gras angefangen hätte, auszufressen. Aufnahmezeitpunkt 15:46. 11,3 Lichtwerte, Knackblauer Himmel, pralle Sonne
Etwa eineinhalb Stunden später hatte es zugezogen, ein Gewitter zog auf. Da ist dieses Foto entstanden:

Der geneigte Leser erkennt das Grün im Vordergrund und vergleicht mit dem obigen Bild: gleicher Ort. Die Tiere liegen immer noch unter dem Baum im Schatten – 11,3 Lichtwerte. Wie man sieht, sind die Tiere deutlich besser belichtet. Wir haben also durch die Bewölkung im Schatten nicht etwa weniger Licht, sondern mehr Licht.
Wie kommt’s?
Die Lösung ist simpel: Licht in Schatten ist grundsätzlich indirektes Licht, also Streulicht. Auf dem Mond haben wir brutale, schwarze Schatten, weil da eben nicht viel streut. Im Fall des Parks haben wir dunkles Laub, dunkle Bäume und Gras. Keine wirklich tollen Reflexionsflächen. In Städten sieht das anders aus, da ist immer irgendwo eine Hauswand, die von der Sonne beschienen wird. Was also im freien Land an Licht in den Schatten ankommt, kommt vom blauen Himmel. Und das ist halt im Vergleich zur Sonne nicht viel – gerade wenn man so einen satt dunkelblauen Himmel hat.
Sobald nun der Himmel gleichmäßig dünn bewölkt ist, fällt die Sonne als Hauptlichtquelle aus und das Licht der Sonne wird durch die Wolken gestreut und wir haben eine riesige Softbox, die problemlos auch unter die Bäume Licht liefern kann. Während eine Softbox aber erheblichen Lichtverlust hat, weil man ja nur eine Punklichtquelle hinter einem weißen Tuch hat, die man, damit das nach was aussieht, mit Reflexionsflächen stark streuen muss, ist der Abstand der Sonne zu den Wolken überall identisch. Das bedeutet, jeder Punkt der Wolke strahlt eine nahezu identische Lichtmenge aus. Und solange der Lichtverlust durch die Wolke nicht dramatisch ist – dicke Wolken reflektieren große Mengen des Sonnenlichts auch wieder zurück ins All – kann es passieren, dass Schatten nicht nur heller werden, als bei praller Sonne, sondern eben auch weit angenehmeres Licht bekommen.
Die übliche Nummer: Porträts macht man am besten bei bewölktem Himmel.
Ansonsten ist die Binse: es gibt kein schlechtes Licht. Es gibt nur Licht, das für das geplante Motiv nicht passt. Der Spruch “Zwischen zehn und zwei hat der Fotograf frei” – Nö. Man kann auch zur Mittagszeit prima Bilder machen. Halt andere.
Man kann den Effekt auch in einem ganz anderen Kontext beobachten: ich habe ein 60W-Solarpanel, mit dem ich eine kleine Powerstation auflade. Mein West-Balkon hat erst nachmittags Sonne. An sonnigen Tagen geht da vormittags absolut gar nichts. An (mäßig) bewölkten Tagen kommen immerhin ein paar wenige Watt. Nicht lohnend, aber man sieht den Unterschied.
F.C. Gundlach hat mittags bei praller Sonne an den Pyramiden von Gizeh Mode-Fotos gemacht.
Muss man wollen (auch als Model). Und wissen, was man tut. Gundlach wollte und wusste…
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Letzte Woche durfte ich mittags ein Open-Air-Event fotografisch dokumentieren. Überwiegend Wiese, allerdings teilweise von großen Bäumen beschattet. Anders als Gundlach konnte ich meine “Models” nicht dirigieren, sondern musste die Szenen so nehmen, wie sie nun mal waren. Da hab ich mich doch tatsächlich über jedes Wölkchen gefreut. Und über Gradation “AUTO”.
jm2c, Martin
So isses. Es gibt kein “schlechtes” Licht. Ggf. muß man halt “andere” Bilder machen. Wie fast immer gilt auch hier: Das Problem – wenn es eines gibt – sitzt hinter der Kamera.
Hallo Reinhard,
bist Du gerade in der Gegend Ludwigsburg?
Wenn noch Interesse an einem Test mit “definierter Verwacklung” für das 100-400 besteht, darfst Du dich gerne per Mail bei mir melden.
Gruß, Matthias
Ich bin eigentlich selten an dem Ort, über den ich gerade blogge. Und auch Ludwigsburg ist schon wieder mehrere Tage her…