
Am Wochenende bin ich mal wieder durch Nürnberg gestreift – eigentlich rein zufällig, ich war auf der Suche nach einem Geldautomaten. Kamera dabei und ich bin aus dem Staunen nicht mehr rausgekommen. Ja, klar, Galeria Kaufhof ist dicht. Sieht man. Ein ganzer Block mitten in der Innenstadt – leer. Außenrum optimistische Plakate: “Die Zukunft beginnt jetzt” etwas kleiner: “Seien sie gespannt, wir sind es auch.”
Direkt daneben:

Das war mal der Hertie. Und dann war es alles mögliche. City Point. Oder so. Jetzt ist es auch leer. Ein riesiger Stahl/Beton-Klotz.
Noch ein Klotz: Das Admiral Kinocenter.

Nein, das ist nicht in China. Das ist in Nürnberg. Das sah mal so aus:

Als da noch Filme gezeigt wurden. Rechts daneben ein Villeroy & Boch-Laden. Gibt’s nicht mehr. Kurz mal nach links gedreht:

Blick zur Burg: Das riesige Eckhaus beherbergte mal einen richtig großen Spielwarenladen. Den Obletter. Auf diesem Foto von vor 15 Jahren. Da war immer so ein mechanischer Teddy über der Tür, der Seifenblasen gepustet hat. Jetzt ist da eine Filiale von Thomas Sabo drin. Und im ersten Stock ist jetzt die städtische Pest:

Ein Piercing-Studio. Die Friseure sind mittlerweile so zahlreich geworden, dass die Hälfte bereits wieder zugemacht hat. Überall natürlich Nagelstudios. In der Mohren-Apotheke, eine der ältesten Apotheken Deutschlands – seit 1442 – , ist jetzt ein Second-Hand-Laden drin.

Die Apotheke ist jetzt in der Herderstraße. Und natürlich Online. Denn Online ist total viel besser.
Die Ostermayr-Passage, in der noch vor ein paar Jahren ein cooles Cafe war:

da sieht es jetzt so aus:

Alles geschlossen. Die “Galerie Ostermeyr” – hinter der sich das oben abgebildete Cafe verbirgt – ist ein ambitioniertes Projekt, das im Herbst letzten Jahres öffnen sollte. In der gesamten Passage gibt es noch eine Änderungsschneiderei. Alles andere ist leer. Auch Peter Hahn, der an der Hauptstraße noch eine riesige Fensterfront hat, sieht so aus:

Die vielfältigen Möglichkeiten als Peter Hahn-Kunde sind aktuell etwas beschränkt.
Es gibt in der Innenstadt sogar noch einen Fotohändler, Foto Seitz, auch mit ellenlanger Tradition. Da findet sich im Schaufenster sogar eine gebrauchte E-M1. Und ein neues Fishcap. Ein gebrauchtes FT 35mm f/3,5 mit MMF, eine Mju Zoom und eine Mju III 115. Auf Untersetzern mit “OLYMPUS”-Schriftzug.
Ich bin dann in Ermangelung von Magenfüllung in’s “Frittenwerk” gestolpert und habe eine “Quebec-Puotine” bestellt. Die Pampe wurde in einem Lucky Luke-Comic (“Schikane in Quebec”) erwähnt und da wollte ich das mal testen. Man zahlt, bekommt daraufhin eingebleut, dass man nun “Sherlock” heiße und warten solle, bis das Essen fertig ist. Eine Minute später ruft der gleiche Mann dann “Sherlock” und überreicht mir den Karton mit Pommes, gewürfeltem, geschmacklosen Käse und aromatisierter, verdickter “Bratensoße”. Wenn DAS das Nationalgericht in Quebec ist, dann verstehe ich, dass die keine Schmerzen damit haben, in Zukunft amerikanische Hamburger zu essen.
In dem Computerladen, in dem ich mal Filialleiter war, ist jetzt ein Telefonladen mit DHL-Paketshop drin. Aber immerhin, es gibt ihn noch.
Wenn man dauernd in der Innenstadt unterwegs ist, dann vermute ich, dass einem der Absturz nicht auffällt. Wenn man, so wie ich, nur alle fünf Jahre mit der Kamera durchmarschiert, dann ist es erschreckend.
Dieser “Absturz” fällt mir seit Jahren immer von neuem auf, wenn ich zurück von Polen nach Deutschland komme. Dort sind sogar noch abgelegene Kleinstädte voll mit Leben, mit einer bunten Vielfalt an Einzelhandel und guter Gastronomie.
Vor 10-20 Jahren hatte man Angst vor den Outlet Centern auf der grünen Wiese. Der wahre Feind des Einzelhandel sind aber die Internetshops.
Die Innenstädte sterben aus. Die Goldgruben “Paläste” werden zu Leichenhallen der Wirtschaft.
Schönen Gruß
Werner
Das ist ja nicht nur in Nemberch so, sondern überall landauf, landab. Den strukturellen Wandel hin zum Onlinehandel konnten die Einzelhändler wohl nur verlieren. Allerdings fehlen die Konzepte für die Innenstädte. Bei uns hier träumen die Hausbesitzer (zwischen 70 und 90 Jahre alt) von Ladengeschäften im EG und Wohnungen darüber, ohne nur einen müden Euro zu investieren. Allerdings darf die Stadt auch keine FuZo einrichten, da die Eigentümer auf Parkplätzen vor den (nicht mehr vorhandenen) Läden pochen. Die Konzepte der 50er Jahre funktionieren eben nicht mehr. Da wird es auch wohl nichts bringen, wenn die Eigentümer steuerlich entlastet werden…
Ich habe auch keine wirklich gute Idee, aber ich denke, man sollte die Innenstädte zu einem Wohlfühlraum für die Menschen machen, die dort wohnen. Bei uns fühlen sich leider nur Autos wohl.
Fotografisch werden die Innenstädte aber wohl zunehmend zu “lost places”!
Das Admiral Kino wird/wurde gerade umgebaut. Der Eingangsbereich ist wirklich schön geworden, da lohnt sich ein Blick und ein Foto. Was du fotografiert hast, wird (so vermute ich) der neue Gastrobereich. Und der ist wohl noch in der Mache.
Beste Nachricht des Tages. Ich hatte schon gedacht, nach dem Atlantik, dem Casa, dem Komm-Kino und dem Atrium wäre das nächste Kino meiner Jugend über die Pegnitz gegangen…
das Casa gibt es noch
Kuckst Du. Zwar schon lange nicht mehr unter Webern, sondern als Verein. Aber immerhin.
das ist aber schon sehr lange so und es funktioniert.
Ohhhhh, Poutine. Welch Delikatesse. Aber nur richtig gut wenn man sie in einem kleinen Laden in Montreal Kanada bestellt und isst: Patati Patata.
Scheint’s noch zu geben, ob’s noch wie vor 16Jahren dir is(s)t. Wer weiß… sollte es noch wie damals sein und jemand da mal vorbeikommt: Kamera nicht vergessen. Ob man dann das Poutine-Abenteuer wagt kann man dann ja immer noch vor Ort entscheiden.
Grüße
Alex
OK. Wenn ich demnächst nach Montreal komme….
Interessant ist, wie das auf den Fotos wirkt. Ich wohne hier in Berlin direkt neben einem geschlossenen C&A. Erst Asylunterkunft, dann Zuflucht für Obdachlose, Drogenszene, Vermüllung teils bis zur Höhe der Türklinke begleitet von den dazu passenden Gerüchen. In den noch verbliebenen Kaufhäusern kämpfen die Lebensmittelabteilungen im Keller (sofern noch vorhanden) gegen den neu eingezogenen Lidl im Erdgeschoss.
Bei flüchtiger Betrachtung strahlen die Nürnberg-Bilder erstmal eine (für uns Berliner) anheimelnde Ruhe aus. Bei intensiver Betrachtung fragt man sich, wie das in ein paar Jahren wohl aussehen mag – wie bei uns in Berlin? Du hast einen tollen Zeitpunkt für die Aufnahmen erwischt, es scheint, als wären die Gebäude erst gestern verlassen worden. Ich bin da hin und her gerissen. Das hat ja fast noch was von so einem verlassenen mondänen Badeort. Man glaubt, das Leben kehrt mit den ersten Sonnenstrahlen wieder zurück und alles beginnt von neuem.
Hoffen wir es…
Berlin-Mitte, ich benötige einen Ersatz für einen Seitenständer am Hinterbau. Drei Fahrradläden (keine Discounter), alle mit Werkstatt sind in der Nähe. Der erste: habe ich leider nicht da, kann ich ihnen bestellen. Der zweite hat ein unbrauchbares no-name Produkt. Der dritte hat den schlechteren von den beiden, nach denen ich vorher im Internet nachgesehen hatte. So ein Einzelhandel wird kaum überleben können.
So ist es doch überall in Deutschland. Es gibt für mich inzwischen null Reiz in die Innenstadt von Hannover zu fahren. Interessante, gute Läden sind verschwunden, ein paar große seelenlose Ketten bestehen weiter mit Ach und Krach. Mit Friseuren und Fressläden kann man sich hingegen tot schmeißen, es wird mir auf immer ein Rätsel sein, wie die alle überleben können. Das Publikum, das inzwischen die Mehrheit in der Innenstadt bildet, tut den Rest dafür diese möglichst zu meiden.
Sehr bedauerlich und bei uns seit letztem Herbst auch so. Ja, die Innenstädte werden dadurch für die Menschen weniger attraktiv, was sich auch auf andere Läden niederschlägt. Bei uns gibt es Pläne, dass ein Teil der Stadtverwaltung in das Gebäude des Kaufhofes einzieht. Bürgernähe sozusagen, jedoch zumindest auf den ersten Bilck ungewöhnlich.
Moin,
in Emden, da kommt ich alle paar Monate mal hin, sieht es sehr ähnlich aus.
Aber, dürfen wir uns wirklich beschweren, mit Amazon prime account, Tesla an der Ladedose und
Streaming-Account? Dann gibt es halt Trump und tote Innenstädte.
Ob da “clevere Konzepte” allein wirklich etwas gegen ausrichten können?
Gruss,
Dirk
Ich darf mich beschweren. Ich habe keinen Amazon Prime-Account, keinen Tesla und kein Streaming.
Gerade gestern hat mir wieder jemand gesagt, ich solle meine Bücher doch über Amazon vertreiben. Nope. Never. Ever.
nicht an allem sind die genannten Verursacher schuld. Es will ja kaum noch jemand im stationären Handel arbeiten, passt nicht zur Work-Life-Balance. Wo keine Fachkräfte mehr sind, gibt es auch keine Fachgeschäfte mehr. Obendrein dann noch Ladenmieten die jenseits von Gut und Böse liegen. Ein Teufelskreis.
Was vereinzelt noch zu finden ist, sind kleine Läden in denen der Eigentümer selbst hinter der Theke steht und dann keinen Nachfolger findet.
Es gibt auch noch einige Läden, bei denen das Geschäft im Eigentum des Ladenbetreibers ist, so dass die Ladenmieten nicht das Problem sind.
Generell ist das alte Problem: “Gier frisst Hirn”. Immobilienbesitzer verlangen irre Mieten, hoffen ihre Altläden rauszukicken und lukrative Ketten zu bekommen, die kommen entweder nicht, oder machen pleite, und dann stehen die Läden entweder leer oder es landen austauschbare Läden drin. Matratzen, Friseure, Nagelstudios.
Wegen dem Verkaufspersonal: Kriegt man. Man muss es bezahlen und ausbilden. Und eine langfristige Perspektive bieten. Für einen Pop-Up-Store kriegst Du kein Personal. Wenn man in den Laden reinstolpert und schon sieht – der macht in zwei Jahren wieder zu- Warum soll man sich da bewerben?
Corona hat Verkaufspersonal und Servicepersonal gezeigt, was sie ihrem Arbeitgeber wert sind. Arbeitgeber, die ihre Leute durch diese Zeit gebracht haben und fair waren, die haben keine Personalprobleme.
Dystopische Bilder, die die Tristesse Nürnbergs – und das steht ja für viele deutsche Städte – in krasser Weise verdeutlichen.
Lösungsmöglichkeiten mag es geben – die würden aber radikale Schritte erfordern z. B. im Bau- und Immobilienrecht. Dazu wäre wohl eine Persönlichkeit vom Range eines Atatürk nötig.
Man muss wohl ein gewisses Alter erreicht haben, um solche Veränderungen – obwohl doch eigentlich unübersehbar – überhaupt wahrzunehmen. Ich war zuletzt vor 20 Jahren in der Nürnberger Innenstadt. Als ich jetzt diese aktuellen Bilder betrachtete, erinnerten sie mich spontan an Ostberlin vor 40 Jahren… So wird ein Artikel über Fotografie unversehens zum Politikum.
Ich komme jedes Jahr im Frühjahr wegen einer Messe nach Nürnberg und habe das gleiche Gefühl wie Du.
Und wenn man in Nürnberg Innenstadt als Auswärtiger dann irgendetwas kaufen will, ein paar Schüsseln wollte ich, oder was vernünftiges zu Essen, dann ist das bei mir nicht von Erfolg gekrönt. Aber hey im Bahnhof gibt es eine Hofpfisterei-Filiale. Ach ja Bahnhof: Alle 5 – 10 Minuten fragt eine*r “Haste mal nen Euro?”
Tristesse, ja.
München ist übrigens auf dem selben Weg, hier befeuert durch den Gier-Wettbewerb des Freistaates und einem gewissen Benko.
In München dasselbe. Da wird auch schon in der Lokalpresse entsprechend berichtet, wie katastrophal das durch die nun leerstehenden riesigen Häuser von Hertie und Kaufhof unmittelbar dort sowie darum herum drastisch bergab ging. Leerstand, darin hausende Obdachlose, Müll …
Und auch weiter weg in der Fußgängerzone jede Menge Mobilfunkläden und gesichtslose Massen-Standard-Kleiderketten-Läden (von Mode kann man da ja nicht mehr reden) u.ä. – die Fachgeschäfte werden immer weniger. Kautbullinger, Sport-Schuster usw. sind schon verschwunden.
Ja, in ein paar Jahren können wir da Fotos von “lost places” machen. Wohnen kann und will da auch niemand.
Wo es tatsächlich noch besser ist: Landshut, Wasserburg am Inn (ich lebe in Südbayern). Freising und Erding gehen auch noch. Aber das sind ja auch alles keine Großstädte.