Kennt jeder: Klassentreffen. Es gibt Leute, die finden das gruselig und andere, die können gar nicht genug davon kriegen. Als Fotograf ist man dann natürlich für Gruppenbilder und Porträts zuständig und man versucht irgendwie die älteren Herren und Damen so abzulichten, dass sie ein bisschen wie früher auskucken. Läuft.
Wir hatten vor kurzem Klassentreffen und vorher eine Führung durch unsere alte Schule vom aktuellen Direktor, der jünger war als wir – wenn auch nicht viel. Der Schuppen ist mittlerweile der lokale Hochbegabten-Tempel und er hat uns begeistert von einem Jungen erzählt, der mit zehn Mathe-Abi gemacht hat und jetzt in den Mathestunden frei hat um in Erlangen per Fernstudium Mathe zu studieren. Die Mathe-Schulaufgaben muss er allerdings trotzdem noch mitschreiben. Anweisung vom KuMist.
Warum erzähl ich das? Der Herr hat uns auch erklärt, wie die Zukunft des Berufslebens aussieht und dass er seine Schüler darauf vorbereitet.
Dass man in Zukunft nicht mehr schreiben wird, die Schrift von Schülern sei sowieso nicht lesbar und Schreibmaschinenkurse gibt’s nicht, die Schüler würden nur mit zwei Daumen auf dem Handy schreiben. Also müsse man den Leuten beibringen, ihre Texte zu diktieren. Das sei im Trend, denn die DATEV hätte ihm erklärt, dass selbst Vorstände nicht mehr lesen würden, die würden nur noch Videopräsentationen bekommen.
Nun sind diese ehemaligen Schüler des Klassentreffens alle kurz vor 60 oder schon. Die sind im Berufsleben – tief drin – und alle ziemlich erfolgreich. Das sind keine Eltern von zehnjährigen Kindern, die bestenfalls in der mittleren Abteilungsleiterebene rumkrautern und denen man noch die Story vom Pferd erzählen kann. Ich habe während der Rede die eingefrorenen Gesichter meiner KlassenkameradInnen fotografiert.
Alle haben pflichtschuldigst applaudiert. Als dann die ziemlich unmotivierte Führung zu Ende war – wir hätten dem Herrn über seine Penne deutlich mehr erzählen können, als er uns – habe ich ihn mir geschnappt und ihm erklärt, dass er da wohl ein bisschen einer Story von den DATEV-Marketingheinis aufgesessen ist. Es mag Vorstände geben, die nicht lesen. Aber das sind dann Nasen, die dort sitzen, weil irgendwer nen Pappkameraden braucht, dem man den Mist am Ende an den Hals hängen kann. Und siehe da, gleich kamen noch ein paar dazu, die ihm auch erklärten, dass er ziemlichen Quark erzählt hat und seinen Kindern bitte Lesen und Schreiben beibringen sollte.
Aber es braucht immer erst einen, der sich hinstellt und sich unbeliebt macht.
Und klar, der Direx gendert – nur kann er’s halt nicht. Ein paar falsch verwandte Sternchen und “Innen” in ner Powerpoint reichen halt nicht. Da muss die komplette Sprache umgestellt werden, Satzbau, Inhalte, teilweise müssen bei Ausdrücken, die nicht gegendert werden können, Synonyme gefunden werden. Und das Ganze muss dann noch so flüssig vorgetragen werden, dass das Ziel der Kommunikation – Verständnis – bei Leuten erreicht wird, die “Gendersprech” nicht können. Die niemanden als “Person” bezeichnen würden, weil das zu unserer Zeit eine arrogante Beleidigung war.
Aber auch hier: keiner reißt den Mund auf. Erst wenn man sich hinterher als Autor outet, mit über 40 Büchern, alle nicht gegendert, dann kommt die Wut raus. Hannemann, geh Du voran, Du hast die größten Stiefel an…
Ich habe es in letzter Zeit so oft erlebt, dass Leute meinten, irgendwelchen Dummfug nachplappern zu müssen, nur weil das gerade “woke” ist. Und sonst eventuell ein(e) selbsternannte(r) Wokenesswächter(in) einen Shitstorm entfesselt, der den Job kosten könnte. Wenn sich dann jemand dazustellt und freundlich aber bestimmt sagt, dass das nicht so ganz mit der eigenen Lebenswirklichkeit übereinstimmt, dann stellt sich meistens raus: O Wunder, das stimmt bei niemandem.
Interessant war eine andere Story, die er erzählt hat. Ein Schüler sei eine Woche lang mit einem “Bad Religion”-T-Shirt in die Schule geschlappt. Das sind so Motive wie ein Verbotsschild mit einem Kreuz oder dergleichen. In der U-Bahn hat das keine Sau interessiert, aber von seinen Mitschülern habe er Prügel angedroht bekommen. Der Direx beklagte deshalb die “Opfermentalität” der Schüler. Es sei “in” benachteiligt und unterdrückt zu sein. Zum Beispiel von wem anderes, der ein T-Shirt trägt. Er wolle da jetzt in seiner Abiansprache was dazu sagen.
Bisschen spät, Aldaa….