Die Lichtfeldkamera – nie mehr scharf stellen, alles hinterher am PC. Einfach draufhalten und fertig.
Ich habe im Augenblick eine Lytro-Lichtfeldkamera da. Und ich bin Fotograf – kein Gadget-Guru einer Lifestyle-Zeitschrift.
Das hier ist die Lytro.
Die mitgelieferte Doku zeige ich nicht, dazu bräuchte man ein Mikroskop. Gleich mal die ersten Sachen, die man nirgendwo richtig erfährt: wenn man die Fotos irgendwie zu Papier bringen will, gibt’s aus der Lytro-Software immerhin die Möglichkeit, 8-bit JPGs zu exportieren. Mit vollen 1080x1080Pixeln. Die Kamera bastelt also aus einem 11-MP-Sensor ein 1MP-Bild. Das Ganze mit einem Objektiv mit Blende 2 und einer Anfangsbrennweite von etwa 30mm FT (also 60mm Kleinbild). Dazu ein 8fach Zoom, also eine Endbrennweite von ca 220mm FT. (wohlgemerkt – diese Daten muss man sich im Internet zusammensuchen. In der “Bedienungsanleitung” steht nichts dergleichen.)
Man hat einen “Creative-Modus”, in dem man per Tipp auf den Winzbildschirm sogar den Fokus grob verteilen kann. Der Trick der Lytro ist ja, dass man das nicht nur beim Knipsen, sondern auch hinterher kann. Hier ein Beispiel:
Einmal Fokus auf die Biene.
und einmal auf den Hintergrund. Gleiches Foto. Und wenn man den Fokus statt auf die Biene, beim Knipsen hinter die Biene legt, dann wird der Hintergrund noch etwas schärfer.
Bedienung:
Der Zoom wird durch ein mehr oder minder wirksames Streicheln (!) der Kamera mehr oder weniger exakt verstellt. Weißabgleich einstellen? Blende? Fehlanzeige. Dafür kann man die ISO zwischen 80 und 3200 und die Belichtungszeit einstellen. Wenn man herausbekommt, dass man zuerst im Menü den manuellen Modus freischalten muss, um dann durch einen Wisch von oben an die Tippmenüs heranzukommen. Das Ganze ist etwas lästig, da man im manuellen Modus per Tipp auf den Bildschirm den Fokus festlegen muss – und dabei gerne wieder versehentlich in der ISO-Einstellung landet. Wurstfinger wie ich sollte man nicht haben, denn dann sieht man beim Tippen auf den Bildschirm nichts mehr vom Motiv.
Wer davon träumt, endlich bei einem Bild einfach nur draufhalten zu können und dann den Fokus frei wählen zu können: Verloren. Stellen Sie sich eine Kamera vor, die zehn Bilder macht, alle mit einem geringfügig verschobenen Fokus. Sie können also je nach Brennweite einen gewissen Bereich abdecken. Die Lytro macht nichts anderes. Wenn Sie mit dem Tele eine Blume aufs Korn nehmen, bekommen Sie das Grünzeug dahinter nicht scharf. Und wenn sie das Grünzeug erwischt haben, wird die Blume immer unscharf bleiben.
Das hier ist mit Tele gemacht. Auf den ersten Blick ganz nett, aber eine Fokusverlagerung auf den Hintergrund geht natürlich nicht. Und leider ist das Bild als solches auch nicht scharf. Für Web-Briefmarken ganz nett, aber sonst?
Die Naheinstellgrenze entspricht dem, was man von einer Kompakten erwartet: im “Weitwinkel” kommt man nah ran, beim Tele darf es dann schon einen Meter und mehr sein. Über so etwas wie “Abbildungsmaßstab” reden wir besser nicht, immerhin kann die Kamera einen Gegenstand von 2,5cm Länge bildschirmfüllend abbilden. Allerdings braucht der AF der Kamera da schon erheblich (ja, auch die Lytro braucht einen Autofokus, einen manuellen Fokus gibt es nicht.)
Größtes Problem: die Fotos entsprechen in etwa dem, was vor zehn Jahren die 640×480 Handy-Kameras zuwege gebracht habe. ISO 80 ist in etwa so wie ISO 25600 bei der E-M5 bei Rauschunterdrückung “Stark”. Sie sind wirklich toll, um damit 540×540 Werbevideos für die Lytro-Kamera zu drehen. Aber ansonsten: ein Schärfeverlagerungsfeature ist eine tolle Sache, wenn es eine Schärfe geben würde, die es sich zu verlagern lohnen würde.
Blümchen und urbane Motive kommen ja ganz nett (solange man am “kurzen” Ende keine Architektur fotografiert, die Tonnenverzerrung ist für eine Normalbrennweite abenteuerlich) – aber Fell oder Gras ist eine blanke Katastrophe. Hier sieht man, dass die Lytro-Bilder in Wirklichkeit eben nicht mal 1080×1080 Pixel haben, sondern von 540×540 hochgeblasen werden.
Wenn man damit Insekten grob scharf bekommen könnte, und den Rest könnte man dann mit Verlagerung machen.
Aber was aus dieser Kamera ‘rauskommt, hat mit Fotografie nichts zu tun. Die nicht mitgelieferte Software, die man sich erstmal aus dem Internet laden muss, ist noch viiiel langsamer als der Olympus Viewer – hat dafür viel weniger Möglichkeiten. RAW-Bearbeitung gibt’s natürlich nicht. Man kann zwar in ein “RAW-File” exportieren, aber das ist das Lytro-RAW-File. Und das kann eben nur die Lytro-Software verarbeiten.
Ach ja: Akku tauschen bei der Lytro? Nö. Speicherkarten gibt es sowieso nicht. Es sind 8GB eingebaut. Die haben zu reichen, oder man investiert gleich für 100 Euro mehr in 16GB. Ach ja. Ein einziges RAW-Lichtfeldbild hat 15 Megabyte.
Fazit: ein Lifestyle-Spielzeug. Egal welche fotografische Anwendung ich habe: eine simple Kompakte macht das besser. Eine Olympus TG2 ist billiger, um Klassen besser, schneller – und wasserdichter. Und über ein PEN Double-Zoom-Kit reden wir erst gar nicht.
Ausblick: gehört den Lichtfeldkameras die Zukunft? Schließlich waren ja auch vor zwanzig Jahren die Digitalkameras eher grobschlächtig.
Kuckst Du: die Lytro mit 540×540 gegen eine Kodak DC40. 18 Jahre liegen dazwischen. Der Preis ist ähnlich (ca 500 Euro) , die Aufösung ist ähnlich. (DC40: 756×504) und ich habe seinerzeit mit der DC40 meine erste digitale Reportage abgeliefert. Auch die DC40 kannte keine Speicherkarten. Man musste die Bilder per seriellem Kabel auf den Computer schaufeln. Das war aber egal, es war trotzdem schneller als die analoge Knipserei.
Aber was kann die Lichtfeldtechnik besser als die herkömmlichen Kameras?
Damit eine Lichtfeldkamera eine PEN ablösen kann, muss sie mindestens an die Auflösung und die Dynamik der jetzigen PEN herankommen. Und sie braucht einen größeren Schärfebereich. Das Problem dabei ist: der Sensor braucht dafür mindestens die zehnfache Auflösung – wir reden also von Auflösungen von 160 Megapixeln auf einem FT-Sensor – und wir brauchen Objektive, die diese Auflösung auch liefern. Und das Ganze muss auch noch bezahlbar sein – und dann haben wir noch ein paar kleinere Probleme mit der Beugung zu lösen. Es ist also eher zu erwarten, dass die Lytros das bleiben, was sie sind: stylisches Spielzeug. Man sollte also schauen, dass man noch eine bekommt, bevor sie wieder vom Markt verschwinden. Wenn man sowas sammelt.
Derzeit wird die Lichtfeldtechnik im 3D-Bereich gehypt. Aber 3D-Brillen sind bereits mit Shutter-Technik gefloppt – und die Lichtfeldtechnik ist nicht leichter. 2014 will Lytro eine Videokamera herausbringen, mit der man das Video nachträglich refokussieren kann. Eine phantastische Idee, wenn das mit der Qualität der E-M5 passiert – und in FullHD. Mit anständigen Objektiven und einer Kamera, die man auf ein Stativ schrauben kann und bei der man nicht zwangsläufig beim Auslösen verreißt.
Haltet mir in zwanzig Jahren diesen Blog unter die Nase und sagt mir “Du hast Dich geirrt – die Lytro war ein Meilenstein.” Würde mich freuen. Aber ich bin da eher spektisch.
Update: Lytro stellte im März 2018 die Geschäftstätigkeit ein.